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"Und die Täter werden immer unverschämter"

Der Vorsitzende der SPD-Fraktion im Sächsischen Landtag, Martin Dulig, hielt am 11.7 im sächsischen Landtag bei einer Debatte „Weltoffenes und tolerantes Sachsen – Gegen Hass und Gewalt“ eine bemerkenswert engagierte Rede, die wir an dieser Stelle als Gastkommentar dokumentieren. Weil selten ein Politiker zugibt. "Ja, es stimmt: Wir haben große Probleme mit rechtsradikalen Kräften".

Von Martin Dulig

Sachsen ist ein tolerantes und weltoffenes Land. Bei uns ist jeder willkommen. Ob er hier lebt und arbeitet, als Investor ein Unternehmen gründet oder wenn er aus seiner Heimat fliehen musste. Jeder kann hier eine neue Heimat finden. Wir strecken jedem Menschen unsere Hand entgegen und bieten ihm einen Platz in unserer Mitte an. Wir wollen ein Land guter Nachbarn sein. Das galt und gilt ausnahmslos. Mit den Ereignissen nach dem EM-Halbfinale war Sachsen aber wieder nicht für seine Toleranz und Weltoffenheit in den Schlagzeilen, sondern für das Gegenteil. Hier in Dresden in der Neustadt wurden türkische Imbisse überfallen, Scheiben eingeschlagen, Angestellte und Besucher verprügelt. Ich bin übrigens sehr froh, dass meine Kollegen Jurk und Brangs die Betroffenen besucht und sich entschuldigt haben. Entschuldigt im Namen all der anständigen Sachsen, die diese Taten verabscheuen.

Ja, es stimmt: Wir haben große Probleme mit rechtsradikalen Kräften. Es gibt in Sachsen leider Menschen, die mit Gewalt ihre Ziele durchsetzen wollen. Das ist zwar eine kleine, radikale Minderheit. Aber sie sorgt immer wieder für große Aufmerksamkeit, auch weit über unsere Grenzen hinaus. Sie wollen Toleranz und Weltoffenheit abschaffen. Diesen Menschen stellen wir uns entschlossen in den Weg. Wer versucht, eine rechtsradikale und menschenverachtende Ideologie auch noch mit Gewalt durchzusetzen, muss die ganze
Härte des Rechtsstaats zu spüren bekommen.

Straftaten mit rechtsextremem Hintergrund wie die Überfälle in Dresden sind in Sachsen leider an der Tagesordnung. Auch Anschläge auf Büros von Abgeordneten dieses Parlaments häufen sich. Und die Täter werden immer unverschämter.

Sie haben nicht irgendwo zugeschlagen. Es war die Neustadt, die für ihre Toleranz bekannt ist. Eine Hochburg derjenigen, die gegen Rechtsextremismus kämpfen. Die Taktik der Angriffe ist klar: Jeden einschüchtern, der anderer Meinung ist.

"Hier im Parlament sitzt der parlamentarische Arm dieser Verbrecher"

Und hier im Parlament sitzt der parlamentarische Arm dieser Verbrecher. Hier sitzen die, die sich über eingeworfene Scheiben und zusammengeschlagene Besitzer von Dönerbuden freuen. Natürlich nicht öffentlich. Lieber zu Hause oder im Kreise ihrer fremdenfeindlichen Freunde. Ist auch besser so. Ich will mir das zufriedene Grinsen von Herrn Gansel beim Anblick einer brennenden türkischen Fahne erst gar nicht vorstellen. Die sauberen Herren Apfel und Gansel tun aber so, als hätten sie mit Gewalt nichts zu tun. Sie stellen sich viel lieber als Opfer da. Heulen uns bei jeder Gelegenheit die Ohren damit voll, dass es eine - und ich zitiere das nicht gerne – „Pogromstimmung“ gegen die NPD gibt. Die Realität sieht dagegen vollkommen anders aus.

Es ist doch längst bewiesen, das die NPD die Schlagkraft der braunen Kameraden draußen im Land nur allzu gerne nutzt – und das im wahrsten Sinne des Wortes. Der Schulterschluss zwischen NPD und freien Kräften wird immer enger.

In Mecklenburg-Vorpommern scheint fast die gesamte Partei nur noch aus Aktivisten von freien Kräften und Kameradschaften zu bestehen.

In Sachsen hat das schon mit den Skinheads Sächsische Schweiz begonnen und setzt sich heute fort. Der beste Beweis dafür sind die Kommunalwahl in Sachsen. Die NPD hat ganz ungeniert auf Skinheads als Kandidaten zurückgegriffen.

Es sind aber nicht nur Skinheads, die für die NPD kandidieren. Der Einzug der NPD in alle Kreistage ist auch eine Folge ihrer lokalen Verankerung. Die Kandidaten der NPD sind vor Ort bekannt. Schließlich werden bei Kommunalwahlen in erster Linie Personen gewählt. Wenn beim Dorffest der NPD-Vorsitzende die Würstchen grillt und die braunen Kameraden Bier ausschenken – wen wundert es dann noch, wenn die NPD ins Rathaus einzieht? Ich wundere mich nur darüber, dass nicht endlich alle Verantwortlichen aufwachen. Wo bleibt der Aufstand der Anständigen? Denn verantwortlich sind wir alle – nicht nur wir Politiker. Verantwortlich sind alle anständigen und redlichen Sachsen. Und ja, wir sind die Mehrheit. Darum dürfen wir es nicht zulassen, dass eine radikale Minderheit so tut, als vertritt sie die „schweigende Mehrheit.“

"Eine Schande für Sachsen"

Darum dürfen wir nicht schweigend und tatenlos zusehen, wie Rechtsextremisten den Ruf Sachsens immer und immer wieder in den Dreck ziehen. Darum müssen wir aufstehen und laut und deutlich sagen: Wir wollen euch nicht. Ihr gehört nicht in unsere Mitte. Ihr seid eine Schande für Sachsen.

An Attacken wie in Dresden dürfen wir uns nicht gewöhnen. Häuser anzuzünden, Menschen anzugreifen oder den Hitlergruß zu zeigen, sind keine Kavaliersdelikte. Wer so etwas tut, stellt sich außerhalb der Gemeinschaft. Der ist ein Verbrecher, den die Härte des Gesetzes treffen muss - und zwar schnell und unmissverständlich.

Es geht uns nicht darum, bestehende Gesetze zu verschärfen. Denn unsere Gesetze sind vollkommen ausreichend. Aber der Staat muss in der Lage sein, diese Gesetze auch konsequent durchzusetzen. Und das gelingt nur, wenn genug gut ausgebildete und hoch motivierte Polizisten ihren Dienst tun. Nach der Debatte vom Mittwoch bin ich aber überzeugt, dass hier das Richtige getan wird. Auch die Aufstockung der Soko Rex erhöht den Druck auf die rechtsextreme Szene. Und das muss auch so sein.

Jedem, der sich in der rechten Szene am Rand der Legalität bewegt, muss sehr schnell klargemacht werden: Wenn du so weitermachst, gehst du ein hohes Risiko ein. Das kann dich deinen Schulabschluss, deine Lehrstelle, deinen Arbeitsplatz und im Ernstfall deine Freiheit kosten. Die jungen Männer müssen schnell merken, dass sie den falschen Weg eingeschlagen haben. Dann erhöhen sich die Chancen, dass mehr Jugendliche vom rechtsextremen Glauben abfallen.

"Wir brauchen dafür ein landesweites Aussteigerprogramm"

Das bedeutet aber ein viel früheres Eingreifen der Polizei. Sie muss so früh wie möglich ihre Muskeln zeigen und präventiv tätig werden. Und wir müssen uns um die kümmern, die aussteigen wollen. Sie werden aus ihrem gewohnten Umfeld herausgerissen und stehen unter starkem Druck. Sie müssen mit der Angst leben, dass sich die alten Kameraden rächen. Deswegen dürfen wir Sie nicht allein lassen. Wir brauchen dafür ein landesweites Aussteigerprogramm.

Es reicht aber nicht aus, erst dann tätig zu werden, wenn der junge Mann schon in der Kameradschaft ist oder sogar schon eine Straftat begangen wurde. Wir müssen viel früher ansetzen. Wir müssen den Kampf um die Köpfe offensiv führen. Bei vielen ist dort nämlich nur wenig Platz für Weltoffenheit und Toleranz. Und derer werden leider mehr. Wissenschaftliche Untersuchungen bestätigen das. Eine Studie der Friedrich-Ebert-Stiftung kam kürzlich zu der Erkenntnis, dass in Deutschland kein geringer Prozentanteil der Menschen ausländerfeindlich eingestellt sind. Das ist höchst alarmierend.

"Dieser harte Kern weiß genau, was er tut"

Nun wählt deshalb nicht jeder, der so denkt, gleich die NPD. In Sachsen sind es aber genug, so dass es die NPD in alle Kreistage schaffte. Dieser harte Kern weiß genau, was er tut. Das sind keine Protestwähler. Die machen ihr Kreuz nicht aus Versehen bei der NPD. Sie machen ihr Kreuz, weil sie das rechtsextreme und autoritäre Weltbild teilen, dass diese Partei zur einzigen Wahrheit erklärt hat. Ein hoher Anteil davon sind leider junge Menschen. Für sie ist die NPD offensichtlich inzwischen eine normale Partei.

Zum Glück gibt es aber genug Menschen, Initiativen und Projekte, die in diesem Land gegen Fremdenfeindlichkeit, Rassismus und Intoleranz in den Köpfen kämpfen. Ich möchte beispielhaft das Netzwerk Tolerantes Sachsen mit seinen zahlreichen Initiativen nennen. Wir alle stehen fest an ihrer Seite.

Jeder anständige Sachse muss fest an ihrer Seite stehen. Sie brauchen unsere ideelle und finanzielle Unterstützung. Sie müssen wissen: Ihr seid nicht allein.

Das Problem mit fremdenfeindlichen und autoritären Grundstimmungen in der Gesellschaft liegt aber noch tiefer: Hier wie auch anderswo wird an der Leistungsfähigkeit unseres demokratischen Systems zumindest gezweifelt. Viele Menschen stehen abseits, fühlen sich ohnmächtig und sehen sich den Verhältnissen ausgeliefert. Sie fühlen sich machtlos. Sie resignieren. Sie denken, Demokratie ist die Aufgabe von „denen da oben.“ Und wenn „die da oben“ eben nicht das machen, was ich will, dann ist auch die Demokratie nicht gut. Es ist eine alten Binsenweisheit: Demokratie funktioniert nur, wenn alle mitmachen. Denn Demokratie heißt mitmachen. Demokratie ist undenkbar ohne Menschen, die sich einmischen, 7die gestalten wollen und bereit sind, Verantwortung zu übernehmen.

"Mischt Euch ein!"

Es ist mir daher eine Herzensangelegenheit, allen engagierten Menschen im Freistaat meinen Dank auszusprechen:

Dem Kommunalpolitiker, der sich um seine Gemeinde kümmert/Dem Leiter der Sportgruppe, der Gemeinschaft und Teamgeist einübt/Dem aktiven Parteimitglied, der Politik mitgestalten will/Dem Mitglied im Verein, der sich für seine Sache unermüdlich einsetzt/Dem Gemeindekirchenrat, der für Schwache und Benachteiligte da ist/Vielen Dank. Ihr seid die Stützen der Demokratie in Sachsen. Ihr habt großen Anteil daran, dass Sachsen weltoffen und tolerant ist.

Schließen möchte ich meinen Beitrag daher auch mit einer Einladung. Eine Einladung an alle
Sachsen: Mischt euch ein, redet mit, macht mit! Macht das anständige Sachsen stark. Denn wir mögen unser Land und werden es nicht den braunen Schlägertrupps überlassen!


Dokumentiert von www.mut-gegen-rechte-gewalt.de / hk / Foto: Rechtsaußen in Wurzen


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Ausschnitt rechte Demonstranten in Wurzen