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Hitler kopflos

Am Samstag wurde Unter den Linden die nun schon achte Filiale des weltberühmten und mittlerweile auch weltumspannenden Wachsfigurenkabinetts von Madame Tussauds eröffnet. Doch bereits nach wenigen Minuten kam es werbewirksam zum Eklat. Eine Wachsfigur Adolf Hitlers wurde geköpft, über die sich schon in den Tagen zuvor Journalisten und Historiker stritten: Muss das sein? Hitler im Panoptikum als eine von 75 Figuren der deutschen Geschichte, zu denen auch Thomas Gottschalk zählt? Doch dann hat ein Kreuzberger Altpunk erst einmal Fakten geschaffen. MUT sammelt Kommentare.

Von Christopher Egenberger

Vor wenigen Wochen hatte der Regierende Bürgermeister Klaus Wowereit (SPD), der ebenfalls als Wachsfigur in der Ausstellung zu sehen sein wird, bereits seine Bedenken geäußert. Er hatte von den Betreibern nähere Informationen angefordert, wie der Diktator präsentiert werden sollte. „Zwingend ist eine historische Erläuterung. Man muss sehr sensibel mit dem Thema umgehen und eine angemessene Form wählen“, erläutert Senatssprecher Richard Meng. Der Zentralrat der Juden in Deutschland schloss sich den Forderungen an und stellte Bedingungen für die umstrittene Ausstellung der Figur. Laut dessen Generalsekretär Stephan Kramer, dürfe Hitler nicht zu einer Touristenattraktion werden. Grundsätzlich gegen eine Aufstellung sei man aber nicht: „Wenn eine solche Ausstellung […] dabei hilft, unsere Sicht auf Hitler zu normalisieren und ihn zu demystifizieren, dann sollte man es versuchen.“

Dies sehen nicht wenige anders. Johannes Tuchel, der Leiter der Gedenkstätte Deutscher Widerstand, findet es „überflüssig und geschmacklos, Hitler in einem Wachsfigurenkabinett zu zeigen" und Lea Rosh, die Vorsitzende des Förderkreises Denkmal für die ermordeten Juden Europas sagte: "Die Auseinandersetzung mit unserer Geschichte darf nicht zu Konsum und Unterhaltung werden."

Die Betreiber der Ausstellung hatten auf die Bedenken reagiert. In der Ausstellung informieren mehrere Tafeln über den Zweiten Weltkrieg und die Millionen Opfer des Nationalsozialismus. Zudem wird Hitler „weit weg von jedweder Glorifizierung“ nicht auf den Höhepunkt seiner Macht, sondern als gebrochener Mann im Bunker kurz vor seinem Selbstmord dargestellt. Die Figur darf nicht berührt werden und auch das fotografieren ist verboten, damit sich Touristen nicht als Souvenir neben Hitler ablichten lassen. Beides sollte durch Wachpersonal und Videokameras verhindert werden. Ein großer Schreibtisch hätte die Besucher zusätzlich auf Distanz halten sollen.

Die Darstellung Hitlers in Berlin steht damit im deutlichen Kontrast zu derjenigen im Londoner Mutterhaus, wo Hitler bereits seit 1933 gezeigt wird. Allerdings in kämpferischer Pose, Auge in Auge mit seinem Widersacher Churchill. Da sie mehrfach beschädigt und mit Eiern beworfen worden ist, stand die Figur 60 Jahre hinter Glas. Seit 2002 hindert aber nichts und niemand mehr die Besucher daran, sich zum Andenken neben dem Diktator fotografieren zu lassen. Auch mit zum Hitlergruß gestreckten Arm.

Im ältesten deutschen Wachsfigurenkabinett, dem Panoptikum in Hamburg, wird das Abbild Hitlers ebenfalls bereits seit sechzig Jahren gezeigt, ohne dass es zu größeren Protesten gekommen wäre. Die Stadt Berlin, aus der der nationalsozialistische Massenmord befohlen und organisiert wurde, hat sicherlich eine andere symbolische Bedeutung als die Hansestadt. Dennoch wäre das Aufheben, das um die erneute Aufstellung einer Hitlerwachsfigur gemacht wird, kaum denkbar, ohne den Mechanismen einer modernen Medienlandschaft.

Für die Betreiber hat sich der Medienrummel mit Sicherheit gelohnt. So wurde die Eröffnung zu einem Ereignis. Ohne Schlagzeilen wie ‚Hitlers Rückkehr’ am Freitag im Berliner Tagesspiegel hätten wohl weitaus weniger Menschen etwas davon mitbekommen. Während der Eröffnung am Samstag kam es dann bereits nach wenigen Minuten zum Publicity-Höhepunkt, als ein 41-jähriger Kreuzberger über den Tisch sprang und die Hitlerfigur enthauptete. Bei der Aktion wurde auch ein Wachmann im Gerangel leicht verletzt. Frank L. wurde noch im Museum von der Polizei festgenommen. Gegen ihn wird nun wegen Körperverletzung und Sachbeschädigung ermittelt. Der Ex-Polizist betonte anschließend, aufgrund einer Kneipen-Wette so gehandelt zu haben.

Die beschädigte Figur wurde vorerst ins Depot gebracht und die Ausstellung für zwanzig Minuten geschlossen. Der genaue Schaden muss noch beziffert werden, könnte für Frank L. aber durchaus schmerzhaft werden. Eine Wachsfigur kostet in der Herstellung etwa 200.000 Euro. Allein das modellieren der Tonform nimmt sechs Wochen in Anspruch. Das Anbringen von Kopfhaar und Augenbrauen aus echtem menschlichem Haar schlägt mit 140 Arbeitsstunden zu Buche.

Frank L. bezeichnet sich laut der Berliner Zeitung als „relativ unpolitischen Menschen“. 1984 hatte er eine Ausbildung bei der Berliner Polizei begonnen, drei Jahre später seinen Dienst nach einem Einsatz gegen eine Demonstration am 1. Mai aber beendet. Nicht aus politischen Gründen, wie er sagt, sondern weil ihm der Job nicht gefallen hat. Im Tagesspiegel liest sich die Motivation des Kreuzberger Altpunkt etwas anders. Er habe seinen Beruf quittiert, nachdem der Protest gegen den Reaganbesuch niedergeknüppelt worden ist. Ob er nun Hartz-4 bezieht und zusätzlich für 1,50 in der Stunde als Altenpfleger arbeitet ist ebenfalls nicht ohne Widersprüche aus den Medien zu entnehmen.

Am Freitagabend soll Frank L. in einer Neuköllner Kneipe beim Kickern mit seinen Kumpels auf die Idee gekommen sein. Er habe sich „tierisch darüber aufgeregt“, dass Hitler nun als Touristenattraktion dienen soll. Da seine Freunde ihm unterstellten, immer nur Reden zu schwingen, aber niemals zu handeln, habe er mit ihnen gewettet, die Figur am nächsten Tag zu beschädigen. Er hat sich dann tatsächlich im direkten Anschluss an die durchzechte Nacht in die Warteschlange Unter den Linden eingereiht.

Durch seine Tat lebt nun die Diskussion wieder auf, ob es richtig war, Hitler in der Ausstellung zu zeigen. Ob sie an ihren ursprünglichen Platz zurückkehren wird, entscheidend die Geschäftsführung im Lauf der Woche. Aufgrund der Öffentlichkeitswirksamkeit ist aber davon auszugehen. Kulturstaatssekretär André Schmitz würde es indes begrüßen, wenn die Figur im Depot bleiben würde, weil es eine „Geschmacklosigkeit“ sei, sie in der Stadt zu zeigen, in welcher der Massenmord beschlossen worden ist. Viele Besucher äußerten sich aber gegenteilig.

Was denken Sie? Was denkt ihr? Soll man Hitler bei Madame Tussauds zeigen? Und was haltet ihr von der Aktion von Frank L.? Hier nun zunächst die Meinungen der Mut-gegen-rechte-Gewalt-Praktikantinnen-und-Praktikanten.


Christopher:
Ein tausendjähriges Reich wollte Hitler errichten und richtete in den zwölf Jahren, die es dann letztendlich waren, einen unvergleichbaren Schaden an. Diesmal war sein Aufenthalt in Berlin noch ein wenig kürzer. Bereits der zweite Besucher hat mit der Wachsfigur des Diktators das gemacht, was die Deutschen mit dem echten zwischen 1933 und 1945 versäumten zu tun. Weil sie sich nicht trauten, weil sie ihn verehrten oder weil sie dabei scheiterten. Daher hat es mir schon ein gewisses Vergnügen bereitet, von Frank L. zu hören.
Dabei stimme ich eigentlich den Betreibern der Ausstellung zu, dass es „eine Lücke“ wäre, Hitler nicht zu zeigen. Die deutsche Zeitgeschichte kann nicht ohne den Nationalsozialismus dargestellt werden. Das ist nicht immer schön und bequem, aber so ist nun mal die deutsche Geschichte. Den nach Berlin kommenden Touristen eine von allen Diktaturen gesäuberte Stadt zu präsentieren, ohne Mauerstreifen und Palast der Republik, dafür mit kitschigen Stadtschloss, empfinde ich als Schwindel.
Aber über die richtige Art und Weise der Darstellung ist auf jeden Fall zu streiten. Wird die Abteilung „Helden und Bösewichte“ dem Jahrhundertverbrecher wirklich gerecht? Ist es wirklich richtig, ihn als gebrochenen Mann zu zeigen? Nach dem Film „Der Untergang“ wurde bereits darüber diskutiert, ob eine derartige Darstellung nicht zu menschlich, zu Mitleid erregend sei. Beim Holocaustmahnmal sollen Schmierereien oder sonstige Meinungsäußerungen nicht entfernt, sondern als Teil der Auseinandersetzung mit der Vergangenheit belassen werden. Könnte man nicht auch die Meinungsäußerung von Frank L. in die Ausstellung integrieren und fortan einen kopflosen Führer zeigen?
Ich denke, dass die Tat von Frank L. zu interessanten Erkenntnissen führen wird. Wie die Deutschen nach bald 70 Jahren über Hitler denken und welchen Ort in der Erinnerung er einnehmen soll. Die Internetseite der Süddeutschen Zeitung bietet dazu teilweise erschreckende Einblicke. Viele attackieren den jüdischen Journalisten Henryk M. Broder, der die Tat „eine tolle Sache“ genannt hatte. Ein Kommentator sieht in ihr gar fast schon den Straftatbestand ‚Störung der Totenruhe’. Der Täter, der dem Steuerzahler auf der Tasche liege und sich dennoch in Kneipen rum treibe, gehöre in Sicherheitsverwahrung, fordert ein anderer. Derartige Beiträge machen deutlich, dass es wohl immer notwenig bleiben wird, den Umgang mit der NS-Geschichte zu debattieren.

Hilka:

Hitler ist in Madame Tussauds Wachsfigurenkabinett mit der Begründung ausgestellt, er gehöre zur deutschen Vergangenheit dazu, wenn auch zum dunkelsten Kapitel. Warum heißt die Rubrik, unter der er ausgestellt ist, dann „Helden und Bösewichter“ und nicht „Deutsche Geschichte“?
Meiner Meinung nach sind der Titel „Bösewicht“ und eine kleine Infotafel nicht ausreichend, um mit der NS-Vergangenheit richtig und verantwortungsbewusst umzugehen. Hitler war kein „Bösewicht“ wie Räuber Hotzenplotz, sondern ein Diktator und Massenmörder. Somit gehört sein Abbild wohl eher in ein Museum welches sich mit der Geschichte – zu der er selbstverständlich dazu gehört, das will ich niemals leugnen - wissenschaftlich auseinandersetzt, informiert und aufklärt und nicht in ein kommerzielles Starkabinett, in welches die Besucher strömen, um sich mit den detailgetreuen Abbildungen ihrer Idole zu fotografieren oder ihnen die Hand zu schütteln.
Das kann mit Hitler nicht passieren, darf der Führer doch weder berührt, noch abgelichtet werden. Doch wie soll unauffälliges Fotografieren verhindert werden, wenn es dem Sicherheitspersonal noch nicht mal mehr gelingt, einen Mann zu halten, der über den Schreibtisch springt und die Figur zerstört?
Ich kann die Angst verstehen, dass Adolfs Abbild zur „Neonazi-Pilgerstätte“ werden könnte, sofern die Figur wieder aufgestellt wird. Dass dies manche Menschen wütend macht, und/oder verletzt ist nachvollziehbar.
Sachbeschädigung kann allerdings auf Dauer nicht die Lösung des Problems sein, auch wenn Hitlers Schreibtisch die nächsten Wochen wohl verlassen sein wird.

Leon G.:
Einerseits bin ich der Meinung, dass Hitler einen Teil der deutschen Geschichte darstellt und deshalb auch einen Platz im Wachsfigurenkabinett einnehmen sollte. Ich finde es allerdings wichtig, dass die Figur im richtigen Kontext dargestellt wird. Ich verurteile die vorgefallene Tat nicht, da ich es durchaus verstehen kann, wenn sich Leute von der Anwesenheit der Figur gestört fühlen.
Meine Idee wäre die Restauration der Figur und die Einrichtung einer „Sektion für Schwerverbrecher“, in der sich dann Figuren wie Hitler und andere Bösewichte wiederfinden. Diese Sektion sollte durch Gitter abgesperrt werden und jeder Besucher sollte entscheiden können, ob er rein geht oder sich den Anblick spart. Das bewirkt einerseits, dass sich niemand der Figur nähern kann und niemand die Figur sieht, der sie nicht sehen will. Andererseits wird dem Betrachter eine Art Gefängnis suggeriert und damit eine Verbindung zum verbrecherischen hergestellt.

Leon F.:
Ob Adolf Hitler in das Wachsfigurenkabinett gehört, weiß ich nicht. Sicher bin ich mir, dass es nicht in die Rubrik Helden und Bösewichte gehört und er ohne eine ausführliche Beschreibung nirgends stehen soll. An jedem Ort, wo NS-VerbrecherInnen wie auch immer aus- und vorgestellt werden, müssen sie verurteilt werden. Respekt habe ich vor Frank L., obwohl sein Vorgehen nicht sonderlich differenziert war, hat er die Debatte über Hitler unter anderen Wachsfiguren weiter anfachen können. Er hat gezeigt, dass Ausstellungsbesuchende nicht nur unmündige KonsumentInnen sind, sondern auch Stellung beziehen können.  Hitler den Kopf abzureißen, finde ich gut, besser fände ich es, wenn der Kopf abgerissen bliebe. Das wäre ein Statement von Seiten der Ausstellungsleitung.

www.mut-gegen-rechte-gewalt.de

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Madame Tussauds