Ein Hintergrundgespräch mit dem Historiker und NPD-Experten Werner Treß über die politischen Verhältnisse in Brandenburg wenige Wochen vor den Kommunalwahlen, die Möglichkeiten und Grenzen zivilgesellschaftlichen Engagements und die Notwendigkeit staatlichen Handelns in der Auseinandersetzung mit Rechtsextremismus. Im Umgang mit der NPD hält Treß die Zivilgesellschaft für überfordert.
Werner Treß ist seit 2006 wissenschaftlicher Mitarbeiter am Moses Mendelssohn Zentrum in Potsdam. Für das Buch "Rechtsextremismus in Brandenburg - Handbuch für Analyse, Prävention und Intervention" analysierte er im letzten Jahr die Strategie und Taktik der NPD vor den Kommunalwahlen im Herbst 2008.
MUT: Am 28. September werden in Brandenburg die Kommunalparlamente gewählt. Nach den Wahlerfolgen der NPD in Mecklenburg-Vorpommern und Sachsen ist erneut ein gutes Abschneiden der rechtsextremen Partei zu befürchten. Sie haben die Strategie der NPD eingehend analysiert. Wie hat sich die Partei in Brandenburg aufgestellt, damit im „Kampf um die Parlamente“ ein weiteres Etappenziel erreicht werden kann?
Treß: Nach heutigem Informationsstand tritt die NPD bei den Kommunalwahlen auf Kreisebene nur in vier Landkreisen und der kreisfreien Stadt Cottbus an. Die DVU, die offenbar immer nur dann munter wird, wenn es Wahlen gibt, ist mit der Aufstellung ihrer Kandidatenlisten viel schneller gewesen. Bisher vermeldet die DVU in sieben Landkreisen und einer kreisfreien Stadt anzutreten, wobei sie teilweise auch NPD-Mitglieder auf ihren Listen kandidieren lässt. Wenn Sie bedenken, dass das Land Brandenburg aus 14 Kreisen und vier kreisfreien Städten besteht, dann ist zumindest das Aufgebot der NPD nicht nur Ausdruck ihrer strukturellen Schwäche, sondern auch ihrer Niederlage, bevor die Wahlen überhaupt stattgefunden haben. Das allseits befürchtete Antreten der NPD bei den Landtagswahlen in Brandenburg 2009 dürfte damit auch vom Tisch sein.
Die Organisationsstruktur der NPD in Brandenburg entspricht eben noch lange nicht den Verhältnissen, auf welche die Partei in Sachsen oder Mecklenburg-Vorpommern zurückgreifen kann. Es fehlt ihr auf allen Ebenen an geeignetem Führungspersonal, die Wirkung auf die Öffentlichkeit ist schwach, ein Einsickern in die Mitte der Gesellschaft nicht gelungen. Über dem sogenannten Drei-Säulen-Konzept, das den Kampf um die Straße, den Kampf um die Köpfe und den Kampf um die Parlamente umfassen soll, hatte der NPD-Landesvorsitzende Klaus Beier in Brandenburg bereits 2006 den Ausbau der eigenen Organisationsstruktur zur obersten Priorität erhoben. Dieser „Kampf um den organisierten Willen“, der auch als vierte Säule bezeichnet wird, hat aber bis auf wenige Regionen kaum verfangen. Eine Schlappe für Herrn Beier und ein Erfolg für alle Akteure, die in Brandenburg mit langen Atem Präventionsarbeit gegen Rechts leisten!
MUT: Wie stellt sich dieser Organisationswille bisher dar?
Treß: Zum Beispiel durch die erst im Juni erfolgte Neugründung des „NPD-Kreisverbandes Dahmeland“, der wesentlich vom im Vorjahr gegründeten „NPD-Ortbereich Königs-Wusterhausen“ aus aufgebaut wird. Hier hat die NPD jetzt für die Kommunalwahl im Landkreis Dahme-Spreewald eine Kandidatenliste präsentiert, an der sich zeigt, dass die Partei weiterhin versucht, auch bürgerliche Wählerschichten zu erreichen – etwa durch die Kandidatur eines „selbständigen KFZ-Meisters“ oder eines äußerlich seriös wirkenden „ehemaligen Polizisten“. Wenn solche Leute durch ihr politisches Auftreten keinerlei persönliche Nachteile befürchten, dann scheinen sie über ein akzeptierendes soziales Umfeld zu verfügen, das wiederum den Nährboden für rechte Wählerstimmen bereitet. Hinzu kommt ein verstärktes Engagement der extremen Rechten im vorpolitischen Raum, d.h. einer Mitwirkung in kommunalen Initiativen, in Elternvertretungen oder Sportvereinen. Die Partei selbst versucht Veranstaltungen mit hohem Freizeitwert durchzuführen – Kinderfeste oder Sportveranstaltungen – und suggeriert auf diese Weise, hier sei eine ehrliche und volksnahe Partei am Werk.
Doch gleichzeitig sucht man die Zusammenarbeit mit den ‚Freien Kameradschaften’ für den außerparlamentarischen Kampf. Die NPD versucht also, sich sowohl als Partei, wie auch als Sammlungsbewegung zu etablieren, um das gesamte rechte Spektrum abzudecken. Dieses reicht von Rechtskonservativen bis zur radikalen Neonaziszene mit ihren Jugendsubkulturen.
MUT: Es besteht somit ein Widerspruch zwischen dem biederen Image, das sich die Partei zu geben versucht, und der Nähe zu den Freien Kameradschaften?
Treß: Der Widerspruch zwischen Partei und Sammlungsbewegung wird unter anderem durch einen forcierten Aufbau der NPD-Jugendorganisation ‚Junge Nationaldemokraten’ (JN) aufgehoben. Viele JN-Stützpunkte in Sachsen oder Sachsen-Anhalt entsprechen personell den lokalen Kameradschaften. Gleichzeitig aber hat die Partei dort dennoch Erfolg, mit ihrer Verbürgerlichungsstrategie in der Mitte der Gesellschaft Fuß zu fassen oder zumindest als harmlos angesehen zu werden.
Und das schlägt sich dann auch in solch horrenden Wahlergebnissen nieder, wie sie die NPD bei den Kommunalwahlen in Sachsen in einigen Regionen erzielt hat. Das Eindringen in die Kommunalparlamente ist ein weiterer bedeutender Fortschritt im Organisationsaufbau der NPD, da eine Fraktion neue finanzielle und organisatorische Möglichkeiten erhält. Betrachtet man das Ausmaß, in dem der Aufbau rechtsextremer Strukturen in Sachsen bereits fortgeschritten ist, kann man nur zu dem Ergebnis kommen, dass die extreme Rechte vielerorts zum integralen Bestandteil des gesellschaftlichen Lebens geworden ist.
MUT: Ist die Situation in Sachsen mit der in Brandenburg vergleichbar?
Treß: Nein! Da gibt es frappierende Unterschiede. Nehmen Sie nur das Beispiel des Urteils beim Landgericht Dresden vom 6. August gegen die Mitglieder der Nazi-Kameradschaft „Sturm 34“. Es ist mir unbegreiflich, wie ein Richter angesichts derart bandenmäßig geplanter, politisch motivierter und brutal durchgeführter Gewaltstraftaten den Tatbestand der „Bildung einer kriminellen Vereinigung“ gemäß § 129 StGB nicht anerkennen will. Es ist mir ebenso unbegreiflich, wie der Sächsische Innenminister Albrecht Buttolo nach diesem Urteil davon sprechen kann, es wäre ein „richtiges Signal ins Land gesendet“ worden. In Sachsen werden seit langem die falschen Signale gesendet – von einem schwachen Innenminister, einer laschen Justiz, durch eine über Jahre unterfinanzierte Präventionsarbeit und durch eine Zivilgesellschaft, die sich in manchen Regionen von den Milieus der Rechten kaum noch unterscheidet.
Brandenburg scheint mir in dieser Beziehung wesentlich fortschrittlicher zu sein. Hier ist man im kollektiven Bewusstsein wesentlich weiter. Es gibt ein ausgewogenes Verhältnis von Intervention und Prävention. Von Seiten des Innenministeriums und der Justiz wurde dem treiben solcher Kameradschaften wie dem „Sturm 27“, „Hauptvolk“ oder dem „Schutzbund Deutschland“ nicht lange zugesehen und auch dort konsequent gehandelt, wo es „nur“ um Propagandadelikte ging. Zudem gibt es in Brandenburg eine hinreichende Präventionsarbeit. Die lokalen Aktionsbündnisse und mobilen Beratungsteams sind landesweit koordiniert, untereinander gut vernetzt und leisten eine wirksame Arbeit.
MUT: Wie wirkt sich diese Arbeit denn konkret aus?
Treß: Es gelingt den Neonazis nicht, in der Form am gesellschaftlichen Leben teilzunehmen, wie es etwa in Sachsen der Fall ist. Nehmen Sie das Beispiel von Frau Stella Hähnel, die in der nördlich von Berlin gelegenen Kleinstadt Hohen Neuendorf wohnt. Als Mitbegründerin des ‚Rings Nationaler Frauen’ gehört sie inzwischen zum Bundesvorstand der NPD. Als ihr NPD-Hintergrund bekannt wurde, musste Frau Hähnel 2007 ihre Mitarbeit in einem Familienzentrum beenden. Dabei spielte es keine Rolle, dass sie bis dahin nicht durch fremdenfeindliche Äußerungen oder Ähnlichem aufgefallen war. Die intensive Auseinandersetzung in der Öffentlichkeit führte zu einer Distanzierung von Neonazis, welche die Gemeinde seither nicht mehr als ungestörten Rückzugsraum nutzen können. Es ist also gelungen die Menschen im Land ein Stück weit gegen rechtes Gedankengut und deren Erscheinungsformen zu immunisieren. Gleichwohl bleibt auch in Brandenburg noch einiges zu tun.
MUT: Aus Anlass der Erscheinung des Bandes „Rechtsextremismus in Brandenburg“ hat das „Moses Mendelssohn Zentrum“ in Zusammenarbeit mit dem „Aktionsbündnis gegen Gewalt, Rechtsextremismus und Fremdenfeindlichkeit“ von Oktober bis Dezember 2007 zahlreiche Veranstaltungen in brandenburgischen Gemeinden organisiert. Derzeit findet eine zweite Veranstaltungsreihe statt, die noch bis zu den Kommunalwahlen gehen soll. Sie selbst haben in diesem Rahmen mehrere Vorträge gehalten. Welche Erfahrungen haben sie gemacht?
Treß: Zum einen ist mir positiv aufgefallen, dass in vielen Gemeinden das Problem erkannt, nicht selten sogar im Griff war. Wo sich eine starke Zivilgesellschaft und eine oder mehrere Initiativen mit dem Rechtsextremismus auseinandersetzen, gegen Nazi-Aufmärsche oder NPD-Infotische mobilisieren. Das waren in erster Linie Gemeinden in der Nähe von Berlin oder Potsdam, denen es wirtschaftlich besser geht und wo ein Bildungsbürgertum das Stadtbild nicht von den Rechten dominiert sehen möchte. Die unternehmen dann was.
Dann gab es aber auch Veranstaltungen in Orten, wo das Problem zwar erkannt wurde und auch der Wille da war, etwas zu unternehmen, wo mir dann aber in der Diskussion die geballte Politikverdrossenheit entgegenschlug. Ganz nach dem Motto: Die NPD ist zwar schlecht, aber ihre Wähler haben doch irgendwie Recht. Ich fühlte mich dann oft in die Rolle gedrängt, die Politik der Bundes- oder Landesregierung erklären zu müssen oder die Leute von der Legitimität der Demokratie überzeugen zu müssen. Obwohl viele Bürger sich für Politik interessieren und in die örtlichen Veranstaltungen gehen, um sich gegen den Rechtsextremismus zu engagieren, hatte ich auch den Eindruck, dass einige emotional noch nicht in der Demokratie angekommen waren.
MUT: Was macht eine erfolgreiche Veranstaltung Ihrer Ansicht nach aus?
Treß: Ein gutes Beispiel für eine gelungene Veranstaltung war Mühlenbeck. Dort waren neben dem Bürgermeister und Landtagsabgeordneten auch zahlreiche Vertreter von Ordnungsamt, Feuerwehr und Sportvereinen anwesend, so genannte Multiplikatoren, welche die Informationen in ihre Organisationen weitertragen. Es ist unheimlich wichtig, dass die Verantwortlichen dort für das Problem sensibilisiert werden, damit sich die NPD nicht in den Institutionen der Zivilgesellschaft einnisten kann.
In vielen Gemeinden fehlt diese Sensibilität jedoch noch, wird die Präsenz von Neo-Nazis nicht selten mit großer Beharrlichkeit verharmlost. Entgegen der Erkenntnis, dass man es längst mit Akteuren eines überregional agierenden politischen Netzwerkes zu tun hat, sieht man Neo-Nazis lediglich im Kontext der jeweiligen Gemeinde und spricht selbst bei gefährlichen Gewalttätern noch von ''den Jungs'', die man ja habe aufwachsen sehen und auf die man glaubt, durch Gespräche einwirken zu können. Solange also vor allem kommunale Verantwortungsträger die Gefahr der aggressiven neo-nazistischen Agitationspraxis nicht ernst nehmen, steht zu befürchten, dass die in den neuen Bundesländern ohnehin mitgliederschwachen demokratischen Parteien ihre kommunale Verankerung und damit den unmittelbaren Kontakt zur Bevölkerung weiter einbüßen werden.
Werner Tress auf einer Veranstaltung in Finsterwalde am 26.2.08.MUT: Wie hat denn die NPD auf diese Veranstaltungen reagiert?
Treß: Die NPD war tatsächlich bei einigen Veranstaltungen durch Vertreter anwesend. Doch verfängt die so genannte Wortergreifungsstrategie in Brandenburg vielfach nicht mehr, also der Versuch, über populistische Thesen in öffentlichen Veranstaltungen Sympathien auf sich zu ziehen und sich erst dann als NPDler erkennen zu geben. Zumeist werden diese Leute schnell erkannt und entlarvt, womit dann auch der taktische Vorteil dahin ist. In Reaktion darauf konnte man ein anderes Vorgehen beobachten, ich nenne es mal eine Informationserschleichungsstrategie. Das sieht dann so aus, dass durch NPDler zwar an den Veranstaltungen teilgenommen wird, aber eben ohne das Wort zu ergreifen. Stattdessen werden sich Notizen gemacht, um dann am nächsten Tag auf Internetseiten oder NPD-Zeitungen wie der „Havelland-Stimme“, die Veranstaltung ins Lächerliche zu ziehen, so nach dem Motto: die größte Lachnummer des Abends war dann der selbsternannte Historiker Werner Treß vom Moses Mendelssohn Zentrum, der mal wieder versucht hat, sein Buch zu verkaufen. Da steckt dann mitunter auch ein deutlicher antisemitischer Unterton drin.
MUT: Was wird mit diesem Vorgehen bezweckt?
Treß: In erster Linie geht es darum, eigene Stärke zu demonstrieren und die politischen Gegner zu entmutigen. Die demokratischen Parteien werden als Angsthasen dargestellt. Ihrer Passivität steht der eigene Wille zur Machtdurchsetzung gegenüber. Ein gutes Beispiel war eine SPD-Veranstaltung im September 2006. Vor den Augen des SPD-Generalsekretärs Hubertus Heil, der gerade versuchte eine Rede zu halten, gelang es einer Reihe von NPD-Aktivisten die Veranstaltung für kurze Zeit unter ihre Kontrolle zu bringen und ein Transparent mit der Aufschrift ''Wer hat uns verraten, Sozialdemokraten!'' zu entrollen. In der Öffentlichkeit entsteht durch solche Aktionen das Bild einer multipräsenten und kampagnenfähigen NPD. Die demokratischen Parteien hingegen erwecken den Eindruck, gegen die Aktionen der NPD wehrlos zu sein. Eine solche Strategie der kollektiven Einschüchterung erinnert im Ansatz an den Saalterror der SA während der Weimarer Republik. Und für solche Aktionen greift die NPD dann bevorzugt auf die ‚Freien Kameradschaften’ zurück.
MUT: Im Umgang mit den politischen Gegnern verlässt sich die NPD also in erster Linie auf die Kameradschaften und weniger auf ihre Verbürgerlichungsstrategie?
Treß: Im März 2006 wurde in der Nähe von Storkow ein Wochenendseminar für Deutsche mit Migrationshintergrund von Rechtsextremisten gestört. Schon Tage zuvor hatte der NPD-Kreisverband Oderland auf seiner Webseite unter dem Motto ''Die Weißen kommen'' angekündigt, das Seminar zu ''besuchen''. Wahr gemacht wurde diese Androhung durch mehrere Rechtsextremisten, die mit PKW auf das Gelände der Bildungsstätte vorrückten und von den Veranstaltern Informationen über die Teilnehmer und die Finanzierung des Seminars einforderten. Dieses Vorgehen ist nicht mehr mit der Wortergreifungsstrategie zu erklären. So kurz vor Mitternacht hatten die NPD-Vertreter sicherlich nicht die Absicht, den Seminarteilnehmern die Diskursfähigkeit rechtsextremer Positionen vorzugaukeln. Hier ging es auch nicht nur um die Einschüchterung der Seminarteilnehmer, sondern generell um die Verdrängung einer durch bürgerschaftliches Engagement geprägten demokratischen Lebenskultur.
MUT: Haben Sie auch selbst Erfahrungen mit derartigen Einschüchterungen gemacht?
Treß: Gleich bei meiner ersten Veranstaltung am 1. Oktober 2007 in Königs-Wusterhausen hatte die NPD 70 Mann aus der Kameradschaftsszene mobilisiert. Bei gerade mal 250 NPD-Mitgliedern, die es in Brandenburg gibt, eine beachtliche Mobilisierungsleistung. Sie hatten ein Plakat mitgebracht, auf dem stand „Wer eine dicke Lippe riskiert, bekommt sie auch!“ So was macht sicherlich Eindruck auf die Teilnehmer derartiger Veranstaltungen. Diese Absicht verfolgte die rechte Szene fortlaufend, etwa auch mit T-Shirts, auf denen „Hausbesuche“ steht und eine Kalaschnikow abgebildet ist.
MUT: Wenn man so etwas erlebt und noch dazu seinen Namen in diversen NPD-Publikationen wiederfindet, bereut man dann manchmal sein Engagement? Haben Sie niemals darüber nachgedacht, ihr Engagement zu beenden oder zumindest zu verringern?
Treß: Ich treffe schon einige Vorsichtsmassnahmen, wurde aber bisher noch nicht bedroht. Es gibt aber zahlreiche und immer wiederkehrende Beispiele, von Bürgern, die sich gegen Rechts engagieren und dafür massiv bedroht werden – bis hin zum Mordaufruf. Gefährdet sind aber nicht nur engagierte Bürger. Der bestialische Mord an einem Obdachlosen im brandenburgischen Templin hat erst im Juli wieder auf erschreckende Weise gezeigt, mit welchem Hass und mit welch sadistischer Mordlust wir es in der Neo-Naziszene zu tun haben.
Hier zeigen sich dann auch klar die Grenzen zivilgesellschaftlichen Engagements. Kommunale Aktionsbündnisse können eine Menge gegen Nazi-Aufmärsche oder NPD-Infostände unternehmen: Aber es ist auf Dauer niemandem zuzumuten, sich gegen eine Organisation und ihr Umfeld zu engagieren, die Gewalt androht und - wie die Vorstrafenregister einiger NPD-Funktionäre zeigen - auch anwendet. Hier muss das Gewaltmonopol des Staates greifen und das heißt nicht nur, im Nachhinein einzelne Delikte zu ahnden. Mit einer solch aggressiv-kämpferisch auftretenden Partei ist die Zivilgesellschaft im Zweifelsfall überfordert. Daher plädiere ich für mehr staatliche Repression gegen die NPD.
MUT: Sie sprechen von einem Verbot?
Treß: Ja! Ich bin der Meinung, dass es nicht ausreicht, die NPD argumentativ zu widerlegen. Dieser Partei geht es nicht um Argumente, sondern um den nackten Willen zur Machtdurchsetzung. Die Bereitschaft zur Gewalt auf dem Weg zur Macht ist ein deutlicher Hinweis auf die aggressiv-kämpferische Grundhaltung der NPD. Selbst höhere Funktionäre fühlen sich zur Gewaltanwendung legitimiert. Nicht nur darin gleicht die NPD den Nationalsozialisten. Für mich stellt die NPD eine Nachfolgeorganisation der NSDAP dar. Auch deren Argumente waren leicht zu widerlegen, aber sie hatten ihre Kampfformationen, insbesondere die SA. Ähnlich wie damals versuchen heute die Kameradschaften, die Zivilgesellschaft einzuschüchtern. In vielen Regionen bereits mit großem Erfolg. Mit der Folge, dass all diejenigen, die sich der NPD in den Weg stellen könnten, irgendwann von dort wegziehen. Ich wiederhole: Insbesondere aufgrund des Wesensmerkmales der Gewaltbereitschaft ist die Zivilgesellschaft mit der NPD auf Dauer überfordert und der Schaden an der offenen Gesellschaft und am Rechtsstaat nimmt jeden Tag zu, an dem die Existenz dieser verfassungsfeindlichen Partei und ihres neonazistischen Umfeldes weiter geduldet wird.
MUT: Ein Versuch die NPD zu verbieten ist bereits gescheitert.
Treß: Das lag ausschließlich an der so genannten „V-Mann-Affäre“ und auch nach wie vor stellen die Verfassungsschutzämter das einzig relevante Hindernis dar, das einem NPD-Verbot noch im Wege steht. Dabei weiß ich gar nicht, wozu überhaupt V-Leute für ein Verbotsverfahren benötigt werden. Die Belege, die ein Verbot begründen würden, liegen auf der Straße: die Wesensverwandtschaft mit dem Nationalsozialismus, die aggressiv-kämpferische Grundhaltung und das offen bekundete Ziel der Beseitigung von Demokratie und Rechtsstaat. Man muss sich nur einmal die verschiedenen NPD-Publikationen ansehen, um eine Verfassungsfeindlichkeit zu belegen.
MUT: Sie selbst haben in Ihrem Aufsatz beschrieben, wie während des letzten Verbotsverfahrens die ‚Freien Kameradschaften’ gestärkt wurden. In den letzten Jahren nun, wo in Brandenburg von staatlicher Seite vehement gegen die Kameradschaftsszene vorgegangen wurde, war dagegen ein Mitgliederrückfluss zur NPD zu beobachten. Ist es überhaupt möglich durch Verbote den braunen Sumpf trockenzulegen oder stellt das Ganze nicht in erster Linie einen Verschiebebahnhof dar?
Treß: Die NPD stellt den Mittelpunkt der Gesamtformation dar und wenn man in diesen Schwerpunkt schlägt, wird das gesamte Netzwerk erodieren. Die Szene würde für Jahre nachhaltig geschwächt werden. In fünf bis zehn Jahren würde sich sicherlich wieder eine neue Partei am rechten Rand etablieren. Diese würde meiner Vermutung nach aber weitaus weniger neonazistisch und geschichtsrevisionistisch sein als die NPD, sondern sich eher an rechtspopulistischen Parteien wie der FPÖ in Österreich, der Lijst Pim Fortuyn in den Niederlanden oder der Front National in Frankreich orientieren. Hier wäre es dann hinreichend, die betreffende Partei argumentativ zu widerlegen oder sich selbst widerlegen zu lassen, so wie es mit Herrn Schill geschehen ist und wie es momentan mit der DVU im Brandenburgischen Landtag geschieht.
MUT: Herr Treß, wir danken Ihnen für das Gespräch.
Das Gespräch führte Christopher Egenberger.
www.mut-gegen-rechte-gewalt.de