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"Es ist schon enttäuschend..."

Bei den Kommunalwahlen in Sachsen erlitten die Grünen erneut eine herbe Niederlage, sie kamen auf knapp 3 Prozentpunkte. Die NPD hingegen stabilisierte sich über der 5-Prozentmarke. Woran das liegen kann und welche Schritte jetzt folgen müssen, reflektiert die Leipziger Bundestagsabgeordnete von Bündnis90/DIE GRÜNEN, Monika Lazar im MUT-Interview.


Die Fragen stellte Leon Freude

Frau Lazar, frustriert es nicht, dass Bündnis90/DIE GRÜNEN auf keinen grünen Zweig kommen, die NPD aber gerade dabei ist sich zu etablieren? Gibt es in Sachsen kein grünes Potential?

Es ist schon enttäuschend, dass die NPD sich erfolgreich etabliert. Uns ist aber bewusst, dass ihre Erfolge auf Demagogie und Lügen aufgebaut sind. Sie versprechen den Menschen in einer schwierigen Zeit einfache Problemlösungen. Bündnis 90/Die Grünen tun dies nicht. Wir sind ehrlich zu den Wählerinnen und Wählern, versprechen keine „blühenden Landschaften“, sondern formulieren realistische Ziele. Viele Menschen wissen das zu schätzen, grünes Potential ist in Sachsen durchaus vorhanden. Im Jahr 2004 wünschten sich ja ausreichend viele Menschen auf dem Wahlzettel, von uns im Landtag vertreten zu werden.

Auch der bündnisgrüne Kommunalwahlkampf wurde an der Basis engagiert geführt. Leider ist es uns nicht in ausreichendem Maße gelungen, unsere bündnisgrünen Wählerinnen und Wähler zu mobilisieren. Das müssen und können wir beim nächsten Mal verbessern.

Außerdem ist zu beachten, dass Bündnis 90/Die Grünen stärker in den größeren Städten gewählt werden. Das trifft in Ost- wie in Westdeutschland zu. Die Kreistagswahlen fanden alle im ländlichen Raum statt, wo wir es besonders schwer haben. Dort ist es wichtig, mit glaubwürdigen KandidatInnen anzutreten, dann können wir auch dort Erfolge erzielen. Leider fehlen uns aber häufig gerade in den ländlichen Gebieten ausreichend Mitglieder, um flächendeckend im Alltag vertreten zu sein. Wenn dann der oder die KandidatIn zur Wahl dann aus einer Nachbarregion kommt, erreichen wir oft nur die Stammwählerschaft, die auf dem Lande leider noch geringer als in der Stadt ist. Wir werden in Sachsen und in Ostdeutschland noch einige Jahre brauchen, um an das „Westniveau“ von Bündnis 90/Die Grünen heranzukommen.

Die NPD kam im Schnitt auf 5,1 Prozent und ist damit fünft- bzw. sechststärkste Kraft in Sachsen - welche Auswirkungen wird das ganz praktisch auf die Kommunalpolitik haben?

Durch das Ergebnis gewinnt die NPD regional an sichtbarer Präsenz und kommunaler Verankerung. Die Mandate sichern ihr für die kommenden Jahre eine öffentliche Plattform in der Kommunalpolitik, wo sie Positionen und Vorhaben offen vertreten kann. Besonders ärgerlich ist, dass dafür finanzielle Mittel vom Staat fließen, die für weitere Öffentlichkeitsarbeit und Werbung genutzt werden. In der Bevölkerung führen die Stimmenzuwächse dazu, dass die NPD Menschen zunehmend als normal wählbar erscheint.

Inwiefern sich inhaltlich tatsächlich Auswirkungen in der Kommunalpolitik zeigen, hängt maßgeblich vom Verhalten der anderen Parteien ab. Trotz starker Wahlergebnisse ist auch die NPD bei Entscheidungen auf Mehrheiten angewiesen. Demokratische Parteien müssen sich konsequent weigern, gemeinsam mit der NPD Vorhaben umzusetzen. So können sie die Rechtsextremen isolieren und de facto kommunalpolitisch handlungsunfähig machen. Wo jedoch aufgrund von Naivität oder Pragmatismus mit der NPD zusammengearbeitet wird, fassen auch rechtsextreme Inhalte in der Kommunalpolitik Fuß. Daher sind Aufklärung und gemeinsame Strategien vor Ort noch wichtiger geworden. Die NPD muss ohne Ausnahme geächtet werden. Schulterschlüsse mit ihr darf es – auch bei sinnvollen Vorhaben - nicht geben.


Die Zustimmung für die NPD hat sich stabilisiert – welche Gründe gibt es für diese Verfestigung?

Da wirken viele Gründe zusammen. Ein wichtiger Faktor ist die offensive und im erklärten Anspruch „volksnahe“ Strategie der NPD. Da die Nazi-Partei sich nie in Regierungsverantwortung bewähren musste, kann sie den Wählerinnen und Wählern „das Blaue vom Himmel“ versprechen und wird so zum neuen „Hoffnungsträger“.

Hinzu kommt, dass die NPD sich in den vergangenen Jahren strategisch mit anderen Nazi-Organisationen und –Gruppen vernetzt hat. Durch offene „Nationale Listen“, auf denen z.B. Kandidaten der rechtsextremen Skinheadszene standen, wurde der Wählerkreis erweitert. So konnte die NPD sich bereits eine breite, heterogene Stammwählerschaft aufbauen. Entscheidend für die Wahlerfolge waren der flächendeckende Antritt und die damit verbundene umfangreiche Plakatierung auch in Regionen, die von den anderen Parteien vernachlässigt wurden.

Eine wichtige Zielgruppe neben der Stammwählerschaft sind die Protestwähler. Viele Wahlkampfthemen hat die NPD speziell auf diese Gruppe ausgerichtet. Dazu zählen sozialpolitische Probleme wie Arbeitslosigkeit, „Ausländer- und Grenzkriminalität“ oder regionaler Ärztemangel.

All diesen Initiativen steht leider das Versagen der demokratischen Parteien gegenüber, den Problemen und Wünschen vieler Menschen im Land genügend Aufmerksamkeit zu schenken. Es genügt nicht mehr, GEGEN die NPD und ihre rechtsextremen Positionen Stellung zu beziehen. Wichtig ist, FÜR eine attraktive Demokratie mehr zu tun und die Menschen zur Mitgestaltung zu inspirieren.


Die Nichtwähler haben der NPD ungewollt Schützenhilfe geleistet – wie kann es sein, dass die Hälfte der Wahlberechtigten sich dem demokratischen Prozess entzieht und mit welchen Mitteln kann man sie wieder zurück an die Urne holen?

Wir müssen uns selbstkritisch fragen, warum sich ein Teil der Bevölkerung (darunter viele junge Leute) gerade von einer Nazi-Partei gut vertreten fühlt. Offenbar existiert ein Glaubwürdigkeitsdefizit bei den demokratischen Parteien. Manche trauen ihnen keine Lösungen für die komplizierten Probleme unserer Zeit mehr zu. Die offensichtliche Handlungsunfähigkeit der großen Koalition im Bundestag hat diesen Eindruck sicher weiter verstärkt. Diese Verunsicherung strahlt natürlich auch auf eine Kommunalwahl aus. Das fehlende Vertrauen erheblicher Teile der Bevölkerung in die Politik zeigte sich deutlich an der geringen Wahlbeteiligung.

Die Politik muss wieder zu einem echten Dialog mit der Bevölkerung finden. Das heißt: nicht nur aus dem „Elfenbeinturm“ heraus agieren, sondern vor Ort gehen und den Leuten zuhören. Das heißt auch: sensibler werden, zum Beispiel nicht Rentenkürzungen beschließen und dann Diäten erhöhen wollen. Menschen wollen Anerkennung und Wertschätzung spüren. Das fehlt etwa einem Hartz-IV-Empfänger oder einer arbeitslosen alleinerziehenden Mutter. Die NPD betätigt sich in solchen Fällen erfolgreich als „Kummerkasten“, ohne wirklich Alternativen zu bieten. Die demokratische Politik muss ihre Lethargie abschütteln und mehr Möglichkeiten zu einer menschenwürdigen Teilhabe schaffen, sozial und kulturell. Denn nur so kann bei Nichtwählerinnen – und wählern das Gefühl wachsen, dass der eigene Beitrag in unserer Gesellschaft zählt, an der Wahlurne und auch sonst.


Welche Projekte sind nach dem erschreckenden Landtagswahlergebnis 2004 angestoßen bzw. verstärkt worden und wie sind sie nach dieser Wahl zu bewerten? Wie wird man weitermachen, welche strategischen Änderungen müssen vorgenommen werden?

In Reaktion auf die NPD-Erfolge 2004 wurde das staatliche Programm „Weltoffenes Sachsen für Demokratie und Toleranz“ gegründet. Es unterstützt Organisationen und Initiativen, die die demokratische Kultur stärken und so einen Beitrag gegen Rechtsextremismus leisten. Möglicherweise würde ohne diese Arbeit der Rechtsextremismus bei noch mehr Menschen auf Akzeptanz stoßen. Das Landesprogramm ist heute mehr denn je nötig und sollte politisch und finanziell noch stärker als bisher unterstützt werden.

Gleichzeitig muss die Kommunikation zwischen Landes- und Kommunalebene verbessert werden, um inhaltlich zielgenauere, effizientere Gegenstrategien zu entwickeln.

Dringend notwendig ist der Ausbau von demokratischer Bürgerbüro-Infrastruktur besonders in den Regionen, in denen derzeit nur noch die NPD aktiv ist.

Wir müssen auch die LehrerInnen-Fortbildung zur Auseinandersetzung mit Rechtsextremismus erweitern und modernisieren. Gerade junge Menschen sind beeinflussbar und müssen gegen Nazi-Argumente gewappnet werden. Denn die NPD verbreitet ihre Ideologie z.B. durch die Schulhof-CD gezielt unter Schülerinnen und Schülern mit dem Ziel, jungen Parteinachwuchs zu rekrutieren.

Welche Maßnahmen können ganz praktisch gegen die institutionelle NPD, aber auch den sich allgemein etablierenden Rechtsradikalismus ergriffen werden?

Um die institutionelle NPD abzuschaffen, müsste ihr Verbot erfolgen. Ein Verbotsverfahren wäre aus verfahrenstechnischen Gründen derzeit nicht Erfolg versprechend und würde den Rechtsextremismus nicht zurückdrängen. Man darf nie aus den Augen verlieren, dass die NPD-Wahlerfolge nur ein Symptom sind – dafür, dass Menschen mit den Inhalten und Zielen dieser Nazi-Partei sympathisieren. Dazu zählen zum Beispiel rassistische Sichtweisen, mit denen die NPD wirbt. Menschen mit Migrationshintergrund werden beispielsweise zur Ursache „deutscher“ Sozialprobleme erklärt.

Wir müssen also die rechtsextremen Argumentationsmuster entlarven und offensiv widerlegen. Das wird aber bei den Menschen nur ankommen, wenn wir gleichzeitig eigene Angebote unterbreiten. Eine wichtige Herausforderung ist dabei, Antworten auf die von der Bevölkerung wahrgenommene Krise der sozialen Marktwirtschaft zu finden. Davon sind in Sachsen alltäglich viele Bürgerinnen und Bürger direkt betroffen und fühlen sich von der „Politik der Mitte“ in ihren Sorgen ignoriert und nicht ernst genommen.

Unerlässlich gegen die Ausbreitung des Rechtsextremismus sind auch kommunale Bündnisse, an denen sich ein möglichst umfassendes gesellschaftliches Spektrum von Menschen aktiv beteiligt. In strukturschwachen Regionen müssen Kultur- und Freizeitangebote für Jugendliche geschaffen und erhalten werden, damit diese nicht mangels Alternativen in Nazi-Szenen abrutschen.

Lesen Sie auch: "Die Lehren aus Sachsen" - Ein Kommentar zur sächsischen Kommunalwahl 2008 von der Aktion Zivilcourage in Pirna.


www.mut-gegen-rechte-gewalt.de

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Portrait Monika Lazar