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Eine neue Serie von Mut-gegen-rechte-Gewalt. Experten reflektieren: Was war 2007 der größte Rückschritt -und Fortschritt in der Arbeit gegen Rechtsextremismus? Und was muss 2008 dringend angepackt werden? Hier die Bilanz von Reiner Schiller-Dickhut, dem stv. Geschäftsführer des Bündnis für Demokratie und Toleranz, der kritisiert: "Know-how und Soziales Kapital gingen verloren"
Zur Frage 1: Was war für Sie ein Fortschritt in der Arbeit gegen Rechtsextremismus 2007?
Drei Punkte möchte ich hervorheben:
a) Die ostdeutschen Bundesländer, die sich bisher eher „zurückgehalten“ haben, nehmen nun die Problematik Rechtsextremismus ernst und/oder setzen auch eigene finanzielle Mittel ein; dies ist indirekt auch eine Folge davon, dass an die bisherigen Bundesförderprogramme Civitas und Entimon – von denen vielleicht manche glaubten, dass sie Eintagsfliegen seien – nun Anschlussprogramme aufgelegt worden sind. Die Verstetigung ist wichtig, ohne damit beiseite zu wischen, dass von Experten und auch aus unserem Beirat Kritik an Elementen dieses neuen Programms geäußert wurde. Einen ähnlichen Effekt haben wir auch in vielen westdeutschen Bundesländern, in denen nun in allen Ländern einzelne lokale Aktionspläne und Beratungsnetzwerke finanziert werden.
b) Die Zahl der - salopp gesagt - „Ist bei uns kein Problem“-Kommunen ist aus unserer Sicht weiter zurückgegangen. Zahlreiche Kommunen entwickeln qualifizierte Maßnahmen und Programme zur Stärkung von Vielfalt und Toleranz und gegen Rechtsextremismus. Sie haben ihre Bemühungen, sich zu koordinieren, erheblich gesteigert. Das Bündnis für Demokratie und Toleranz hat hierzu mit seiner Kommunaltagung „Praxisorientierter Umgang mit rechtsextremistischen Aktivitäten“ am 9. und 10. Februar 2007 einen nicht unwesentlichen Beitrag geleistet. Was Demonstrationen und Immobiliennutzung seitens rechtsextremer Kräfte angeht, hat diese Tagung zur Qualifizierung und Vernetzung zweifellos beigetragen. Die Kommunen Verden und Pößneck beispielsweise, in deren Einzugsbereich das führende NPD-Mitglied, Rechtsanwalt Jürgen Rieger, Liegenschaften erworben hatte, sprechen sich offensichtlich und sehr erfolgreich in ihrem Vorgehen ab, ihm diese Immobilien zu entziehen oder deren Nutzung einzuschränken. Zeichen für eine stärkere Vernetzung der Kommunen sind auch die bayernweite Tagung Ende Oktober 2007 mit über 200 Teilnehmern, an deren Organisation wir uns beteiligt haben, und eine Kommunalkonferenz in Sachsen mit über 900 Teilnehmern.
c) Die gemeinsame Verlautbarung der ostdeutschen Bundesländer, der Bundesministerien des Innern (BMI) und für Familie, Senioren, Frau und Jugend (BMFSFJ) und der Kommunalen Spitzenverbände von Ende Juni 2007, in der Leitsätze und konkrete Präventions- und Bekämpfungsansätze gegen Rechtsextremismus zusammengestellt sind, ist aus unserer Sicht ebenfalls sehr erfreulich. Im gleichen Sinne ist – auch als Verpflichtung für zukünftiges Handeln – die „Gemeinsame Erklärung zur Unterstützung der bundesweiten Initiative ‚Orte der Vielfalt’ zu nennen, die von über 20 großen bundesweiten Verbänden und Organisationen unterzeichnet wurde.
Antwort auf Frage 2: Was war für Sie ein Rückschritt in der Arbeit gegen Rechtsextremismus?
Ein Rückschritt war sicherlich, dass – regional sehr unterschiedlich - etliche erfahrene und bewährte, v. a. zivilgesellschaftliche Projekte in der Kontinuität ihrer Arbeit unterbrochen wurden. Dadurch gingen Know-how, gewachsene Kooperationsstrukturen und soziales Kapital verloren.
Antwort auf Frage 3: Wo sehen Sie dringenden Handlungsbedarf 2008?
Wichtig erscheint uns die Verbesserung der Koordination von Aktivitäten verschiedener Organisationen. Das Handlungswissen über ein geeignetes Projekt, was etwa in einem Kirchenkreis oder einer regionalen Gewerkschaftsgliederung präsent ist, muss auch für andere an anderen Orten verfügbar gemacht werden – der Transfer ist sowohl innerhalb als auch zwischen verschiedenen Organisationen notwendig. Und solche bewährten Ansätze müssen mehr als bisher verallgemeinert werden, wofür wir uns engagieren werden. Wir werden auch unsere Anstrengungen verstärken, nachahbare "Best Practice Modelle", die in unserem alljährlichen Wettbewerb "Aktiv für Demokratie und Toleramz ausgezeichnet werden, weiter zu übermitteln und zu übertragen".
Was einzelne gesellschaftliche Bereiche angeht, steht der Schulbereich an einer Weggabelung, deshalb sind dort m. E. Schritte vorrangig. Wir wissen, dass Schule ein zentraler Bereich politischer Sozialisation ist, wir wissen auch, dass die Rechtsextremen dort versuchen zu rekrutieren. Es gibt zwar sehr viele gute Projekte in den Schulen. Aber nach dem Auslaufen des Programms „Demokratie leben und Lernen“ ist es angesichts der föderalen Schullandschaft wichtig, dass institutionelle Impulse für Menschenrechts- und Demokratieerziehung, für Service Learning und ähnliche Ansätze gesetzt werden. Das derzeit einzige bundesweite Netzwerk im Schulbereich, nämlich „Schule ohne Rassismus“ kann – bei allen großen Verdiensten - dies nicht leisten.
Schließlich auf mittlere Sicht: wir wissen aus den Heitmeyer-Studien, dass man nicht bei der Jugendorientierung von Projekten stehen bleiben darf. Es kommt darauf an, bei Meinungsträgern in Verbänden und Vereinen, bei lokalen Eliten anzusetzen. Ein guter Anknüpfungspunkt besteht darin, dass viele Verbände die oben bereits erwähnte Erklärung mit unterzeichnet haben; daran anschließend, müssen – sofern nicht wie in einzelnen Verbänden schon geschehen – nachahmbare und praxisnahe Programme an die Basis gegeben werden. Und gleichzeitig ist es für bereits lange Engagierte wichtig, vor Ort auf Repräsentanten solcher Organisationen zuzugehen, an ihr demokratisches Engagement zu appellieren. Gleiches gilt für Unternehmen. Ein Beispiel: auf unserer Tagung Anfang Dezember in Dortmund „Vielfalt und Toleranz in der Ausbildung“ erfuhr ein in der Uckermark lebender Teilnehmer, der aufgrund seiner Hautfarbe potentielles Opfer ist, dass sich das Unternehmen Arcelormittal in Eisenhüttenstadt im Betrieb und in der Öffentlichkeit eindeutig gegen rechtsextreme Positionen und gegen fremdenfeindliche Übergriffe stellt; er wünschte sich, dass Unternehmen in seiner Region genauso handeln würden.
Besonders wichtig ist jedoch, das jegliches Engagement und Handeln gegen Rechts langfristig und nachhaltig angelegt sein müssen, um das gesellschaftliche Klima entscheidend in Richtung Toleranz und gegen Extremismus zu verändern, damit Vorfälle wie z. B. in Mügeln verhindert werden.
Weitere Antworten:
"Jedem ist klar, dass ein Verbot der NPD allein nicht reicht" - Endstation Rechts >klick
"Wir brauchen vor allem Kontinuität in der Arbeit", Zivilcourage Pirna >klick
"Die Bundesregierung hat keine klare Strategie", Patrick Gensing, npd-blog.info >klick
"Der Staat verschleißt und lähmt Engagement", Bernd Wagner von Exit >klick
"Die Ohnmacht gegen die jugendlichen „Nationalen“ ist gar nicht so groß'' , Philipp Gliesing, ABC-Pößneck >klick
"Know-how und Soziales Kapital gingen verloren", Reiner Schiller-Dickhut, Bündnis für Demokratie und Toleranz >klick
"Der Opferschutz muss dringend verbessert werden", Mario Peucker vom Europäischen Forum für Migrationsstudien >klick
"Opferberatungsstellen werden auch im Westen gebraucht", Simone Rafael, MUT-Portal >klick
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"Für eine unabhängige Beobachtungsstelle - Petra Pau (DIE LINKE) >klick
"Wir ham Yellow Strom, keinen Braun-Strom" - Michael Helmbrecht vom Bürgerforum Gräfenberg >klick
www.mut-gegen-rechte-gewalt.de /
Foto: 1. Mai 2007 in Dortmund/hk
Die Antworten sammelte Holger Kulick