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"Willkommen im Land der Nestbeschmutzer!"

Am 8. April öffnete die Amadeu Antonio Stiftung ihre Türen. Anlass war der 5. Geburtstag des Internetportals www.mut-gegen-rechte-gewalt.de, das 2003 in Kooperation mit dem Magazin stern entstand. 55 Bilder geben einen Einblick in die Redaktionsarbeit: zeigen Verzweiflung, machen Mut. Die Ausstellung wurde vom Innenminister Sachsen-Anhalts Holger Hövelmann eröffnet, der sich anschließend den Fragen der stern-Redakteure Uli Hauser und Martin Knobbe stellen musste.


Von Franziska Schwarzmann und Jan Schwab

Thema des Salons: „Bei näherem Hinsehen - 55 Bilder aus 5 Jahren www.mut-gegen-rechte-gewalt.de“. Holger Kulick, Fotograf und Journalist der MUT-Redaktion, hat die Fotos ausgewählt. Sie veranschaulichen, womit sich die MUT-Redaktion tagtäglich beschäftigt. Vieles davon ist beängstigend, macht fassungslos - gerade auch deshalb, weil viele inzwischen ganz offen und unverhohlen ihre Menschen verachtende Ideologie zur Schau stellen.

Kleines Kind wirbt für die NPD

Da gibt es beispielsweise ein Foto, das in einem Regionalzug aufgenommen wurde und einen glatzköpfigen Neonazi zeigt. Auf seinem Hinterkopf weht in den Farben schwarz-weiß-rot eine eintätowierte Reichskriegsflagge, das dunkle T-Shirt trägt in großen weißen Lettern die Aufschrift "Waffen-SS". Rechtsextremismus ist aber inzwischen längst nicht mehr nur Männersache: Die junge Frau, die auf den ersten Blick mit ihrer Punkfrisur auch zur alternativen Szene gehören könnte, trägt einen Pulli mit der unmissverständlichen Aussage: "Blut und Boden sind mehr als der Tod". Neonazis propagieren auf Demonstrationen offen den "Nationalen Sozialismus" und danken ihren Großvätern für deren Einsatz im Zweiten Weltkrieg. Sogar die ganz Kleinen werden für rechte Propagandazwecke benutzt: Davon zeugt das Bild eines kleinen Kindes, das mit einem NPD-Luftballon ausgestattet durch die Stadt läuft. Grund zur Beunruhigung macht im digitalen Zeitalter vor allem aber auch das Internet. Dort werden beispielsweise T-Shirts zum Verkauf angeboten, die Niedersachsen und Mecklenburg-Vorpommern zur "Befreite Zone" bzw. "No Go Area" erklären. In Chat-Foren suchen national gesinnte, "politisch aktive" Mädels nach Gleichgesinnten.

Brauner Dreck raus aus Halberstadt!

Bilder wie diese machen wütend - doch aus Wut wird Mut, wenn man die vielen engagierten Menschen sieht, die sich dem "braunen Volk" entgegenstellen: Da kehren beispielsweise die Bürger von Halberstadt den "braunen Dreck“ einer Nazidemonstration aus der Stadt. Bunt bemalte Demonstrantinnen wehren sich mit Ideenreichtum gegen Rechtsextremismus in der bayerischen Stadt Wunsiedel, wo Neonazis seit vielen Jahren dem Hitler-Stellvertreter Rudolf Heß gedenken. Der Musiker Udo Lindenberg unterstützt das Wurzener Netzwerk für Demokratische Kultur, die Bands "Silbermond" und "Brothers Keepers" erteilen am 8. Mai 2005 gemeinsam mit zehntausenden Berlinern Rassismus und Rechtsextremismus eine klare Absage. Und dass Engagement für Demokratie nicht immer eine bierernste Angelegenheit sein muss, verdeutlicht ein lustiger Slogan, den Holger Kulick auf einer Demonstration im Berliner Stadtteil Treptow entdeckte: "Der Fuchs ist schlau und stellt sich dumm, beim Nazi ist das andersrum".

"Rechtsextremismus ist ein gesamtdeutsches Problem"

Um Engagement gegen Rechtsextremismus, aber auch um Versäumnisse in diesem Bereich und eine mögliche Wiederaufnahme des Verbotsverfahrens gegen die NPD ging es in der Diskussion mit dem Innenminister von Sachsen-Anhalt, Holger Hövelmann. Stolz sei er darauf, dass die Szene ihn hasse, sagte der Innenminister. Ein Problem habe er allerdings damit, wenn ihn Initiativen gegen Rechtsextremismus kritisierten. Und: Rechtsextremismus könne man langfristig nur in den Griff bekommen, wenn man es als gesamtdeutsches Problem auffasse, betonte Hövelmann: „Oft wird mir der offensive Umgang vorgeworfen. Ich würde dafür sorgen, dass schlecht über Sachsen-Anhalt geredet werde. Diese Ausstellung gehört nicht nur nach Berlin, sondern auch nach Magdeburg, Dresden, aber genauso nach Köln und Wiesbaden. Rechtsextremismus ist ein Problem der gesamten Bundesrepublik. Wir müssen gemeinsam etwas machen, um erfolgreich zu sein, oder wir werden es einfach nicht sein.“

Erneutes Verbotsverfahren?

Zur aktuellen Debatte um ein mögliches erneutes NPD-Verbotsverfahren erklärte Hövelmann, dass ihn die jüngsten Ereignisse sehr verärgert hätten. Er hätte die entsprechende gemeinsame Materialsammlung der Länder Berlin, Schleswig-Holstein, Rheinland-Pfalz und Brandenburg gerne veröffentlicht. Doch die Drohung des Innenministeriums, das Prüfverfahren einzustellen, habe für ihn eine zu große Bürde dargestellt.

Die Internetplattform www.mut-gegen-rechte-gewalt.de bietet seit April 2003 aktuelle Informationen und Hintergrundberichte über Rechtsextremismus, Rassismus und Antisemitismus in Deutschland, aber auch über engagierte Menschen und Projekte, die sich mit Ideenreichtum, Geduld und Einsatzbereitschaft dagegen zur Wehr setzen.

Initiatorin und Organisatorin der Salons ist Ida Schildhauer, die sich seit vielen Jahren im Kreis der Freunde und Förderer für die Stiftung engagiert. Die Ausstellung kann noch bis 22. Juni in den Räumen der Amadeu Antonio Stiftung besichtigt werden (Linienstr. 139, Berlin-Mitte). Eine Anmeldung ist erforderlich: 030. 240 886 25, oder: sebastian.brux (at) amadeu-antonio-stiftung.de.


Das Interview mit Holger Hövelmann, Innenminister des Landes Sachsen-Anhalt:

stern: Auch wenn Sie die Materialsammlung gestern nicht veröffentlicht haben, Herr Hövelmann, gestatten Sie mir doch die Frage: Wie viele V-Leute gibt es denn diesmal?
Hövelmann: Beim ersten Verbotsverfahren waren es ungefähr 1/7.
Heute haben Berlin, Schleswig-Holstein, Rheinland-Pfalz und Brandenburg eine Materialsammlung. Sie berücksichtigen in ihren Materialien die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichtes (BVerfG).

Reicht das Material aus, um die Verfassungswidrigkeit zu begründen?
Die Verfassungsfeindlichkeit ist belegbar, schon allein über öffentliche Äußerungen. Das Ziel der NPD ist die Abschaffung der Demokratie.
Problematisch ist nur, dass wir auch aktiv kämpferisches Verhalten belegen müssen. Pläne, die über das bloße reden hinausgehen. Und es gibt hinreichend Verflechtungen zwischen NPD-Strukturen und Straftaten aller Art.

Aber was spricht denn überhaupt für ein Verbot? Es gibt doch auch viele Argumente gegen ein Verbot. Nicht zuletzt würde der Rechtsextremismus in den Untergrund abwandern.

Die NPD wird versuchen, in mehr Parlamente zu kommen. Diese Gesellschaft wird erst dann wach, wenn die NPD nicht in 2, sondern in 10 Parlamenten sitzt.
Außerdem haben wir in dieser Demokratie absolute Parteienprivilegien. 2 von 3 Euro, die die Partei ausgibt, finanzieren wir alle: die Steuerzahler.

In Pretzien gibt es Eltern beim Verfassungsschutz, deren Söhne in der NPD sind. Wer ist da denn wer?
Pretzien steht als Beispiel, wie eine rechtsextreme Kultur schleichend eine Stadt erobert hat. Ich frage mich auch, wie das passieren kann, ohne dass es jemand merkt. Ich weiß nicht, warum es immer erst knallen muss.

Haben Sie als Innenminister die Macht, das zu verhindern?
Wir brauchen eine Gesellschaft mit Reinigungskräften. Verfassungsschutz und Polizei können nicht überall sein. Es wäre ein Rumdoktoren an Symptomen, wenn Polizei und Justiz alles machen würden.

Wie, meinen Sie, kriegt man eine Sensibilisierung der Polizei hin?
Ich habe einen Brief an alle Staatsschützer geschrieben. Wir haben ein Schulungsprogramm eingeführt. Man muss jedoch zugeben, dass es ein langer Prozess ist.
Und nur mal ein Beispiel: Selbst wenn man der Polizei eine Fehlerquote von 1% nachweisen könnte, dann waren das 2000 Fälle, in denen die Politik Fehler gemacht hat. Aber was soll das? Auch wir brauchen ein gewisses Maß an Fehlertoleranz genauso wie den selbstkritischen Umgang mit der Aufarbeitung von Fehlern.

Warum müssen wir uns denn verantwortlich fühlen?
Wir brauchen beides. Gesellschaftliche und politische Verantwortung. Warum müssen wir uns als Politiker entschuldigen, dass wir Verantwortung der Bürger verlangen?


Das Interview führten Uli Hauser und Martin Knobbe.

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im gespräch mit Minister Hövelmann