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"Fatale Wirkung"

Was nach dem ernüchterndem Urteil im Halberstadt-Prozess dringend zu tun ist.  Ein Jahr nach dem rechtsextrem motivierten  Überfall auf das örtliche Theaterensemble ist am 9.6. zu diesem Thema in  Halberstadt eine Podiumsdiskussion geplant.  Im Vorfeld ein Kommentar von Rainer O. Neugebauer, Professor für Sozialwissenschaften an der Hochschule Harz und Mitglied des Bürger-Bündnisses für ein gewaltfreies Halberstadt.

Fast ein Jahr nach dem Überfall rechter Schläger auf das Theaterensemble hat das Amtsgericht das Urteil gefällt. Der hakenkreuztätowierte, mehrfach vorbestrafte Hauptangeklagte erhielt zwei Jahre Freiheitsstrafe ohne Bewährung. Drei Mitangeklagte wurden freigesprochen, weil man ihnen keine konkrete Tatbeteiligung nachweisen konnte. Dies entspricht rechtsstaatlichen Prinzipien, ist aber trotzdem schwer auszuhalten, denn am 9. Juni 2007 sind die Künstler des Nordharzer Städtebundtheaters von mindestens 8 bis 10 Gewalttätern zusammengeschlagen worden. Fünf Ensemblemitglieder wurden verletzt, zwei davon potentiell lebensgefährlich. Einige Opfer leiden immer noch an den Folgeschäden. Vorher gelang es einer couragierten Sängerin noch, durch eine überlegte verbale Abwehr einen ersten drohenden Angriff zu unterbinden.

Die herbeigerufene Polizei war der Situation in keiner Weise gewachsen, die Polizeiführung sprach selbst von einem chaotischen Einsatz. Die Staatsanwaltschaft hat zwar zügig Anklage erhoben, aber ihr sind gravierende Ermittlungsfehler unterlaufen. Im Gegensatz zur Polizei hat es allerdings bei der Staatsanwaltschaft nicht einmal einen Ansatz von Selbstkritik gegeben. Als dann noch das Gericht keine Anzeichen für eine gemeinschaftlich geplante Tat erkennen wollte, nahm ein überaus problematisches Verfahren seinen unguten Lauf. Auch die hartnäckigen Bemühungen der Nebenklägeranwälte, durch eine Vielzahl von Beweisanträgen die Ermittlungsfehler zu korrigieren, waren leider erfolglos. Am Anfang dieser Versäumnisse von Polizei, Staatsanwaltschaft und Gericht steht allerdings das Versagen der Bürgergesellschaft. Denn in dem Gerichtsverfahren wurde auch deutlich, dass es schätzungsweise 20 bis 50 Zeugen am Tatort oder in dessen unmittelbaren Nähe gab. Niemand hat sich freiwillig gemeldet, die wenigen ermittelten Zeugen haben angeblich alle nichts gesehen.

"Nicht wenige fühlen sich entmutigt"

Die Wirkung des Prozesses ist zunächst fatal. Fatal als erstes für die Opfer, die zum Teil das Vertrauen in den Rechtsstaat verloren haben, vor allem aber immer damit rechnen müssen, ihren Peinigern in Halberstadt über den Weg zu laufen. Fatal ist die Signalwirkung an die gewaltbereiten Rechtsextremisten, die sehen, wie leicht man davonkommen kann. Fatal ist die Wirkung des Prozesses auch auf die Bürger, die vor Ort gegen Neo-Nazis und den Rechtsextremismus kämpfen, denn nicht wenige fühlen sich entmutigt. Wir dürfen aber den rechten Schlägern und ihren propagandistischen Ziehvätern, den Neo-Nazis und der NPD, nicht das Feld zu überlassen. Deshalb kann der Ausgang des Prozesses für Halberstadt und den Harzkreis nur bedeuten, dass die Zivilgesellschaft in ihren Anstrengungen nicht nachlassen darf, zumal es in den vergangenen zwölf Monaten weitere, teilweise gefährlichere Übergriffe von rechten Gewalttätern gegeben hat. Vor allem aber, und darauf hat zur Eröffnung des Domschatzes der Bundespräsident nachdrücklich hingewiesen: Der Kampf gegen den Rechtsextremismus muss auch in der Politik und der Verwaltung nachhaltig verankert sein.

"Verstärkte Präventionsarbeit"

Was nach dem Urteil zu tun ist, war auch schon vorher notwendig, nämlich verstärkte Präventionsarbeit gegen den Rechtsextremismus auch seitens der Stadt und des Landkreises. Dazu gehört unter anderem die gekürzten Mittel für die soziale Vereins- und Jugendarbeit wieder zu erhöhen. Es muss ernsthaft über den Einsatz von Streetworkern nachgedacht werden. Das soziokulturelle Zentrum ZORA, das immer wieder Ziel rechter Angriffe ist, braucht stärkere Unterstützung. Der auf Initiative des Bürger-Bündnisses eingerichtete Präventionsrat des Landkreises sollte nach dem Vorbild von Pirna eine hauptamtlich besetzte Koordinierungsstelle einrichten. Diese und andere Maßnahmen sind nur ein erster Schritt und werden sicherlich den nächsten gewaltsamen rechten Übergriff nicht 100%ig verhindern können. Aber vielleicht können diese Maßnahmen in Verbindung mit mehr Zivilcourage dafür sorgen, dass die propagandistische Arbeit der Neo-Nazis erschwert und dass die Schläger in Zukunft konsequenter zur Verantwortung gezogen werden.

EINLADUNG ZUR  PODIUMSDEBATTE


Unter dem Motto „Einmischen & Eingreifen: Solidarität mit den Opfern rechter Gewalt“ veranstalten das Nordharzer Städtebundtheater, das Bürgerbündnis für ein gewaltfreies Halberstadt und die Mobile Opferberatung am 9. Juni 2008 im Kammersaal des Theaters in Halberstadt eine Podiumsdiskussion zum Jahrestag des Angriffs auf Mitglieder des Ensembles des Nordharzer Städtebundtheaters. Daran anschließend wird es mit Live-Musik, DJs und mobiler Verpflegung vor dem ehemaligen Klubhaus eine positive Besetzung des Angriffsorts geben: „No go areas in Halberstadt? We go everywhere!“

Vor einem Jahr wurden vierzehn Mitglieder des Ensembles des Nordharzer Städtebundtheaters in Halberstadt vor der Kneipe „Spucknapf“ von mehreren erkennbar rechten Schlägern angegriffen und teilweise erheblich verletzt. Der Prozess gegen vier mutmaßliche Täter endete nach acht Monaten vor wenigen Tagen mit drei Freisprüchen und einer Verurteilung. Über den Angriff und den Prozess ist viel geredet worden, es gab Gerüchte und Unklarheiten, Zweifel und Kritik. Auch über rechtsextreme Gewalt in Halberstadt ist in diesem Zusammenhang immer wieder gesprochen worden. Die Mobile Opferberatung hat im vergangenen Jahr jeden Monat mindestens eine schwere politisch rechts motivierte Gewalttat in Halberstadt registriert.

Das Bürgerbündnis für ein gewaltfreies Halberstadt, die Mobile Opferberatung und das Nordharzer Städtetheater veranstalten deshalb nun eine gemeinsame Podiumsdiskussion: Um offene Fragen zum Prozess zu beantworten. Um über die Situation von Opfern rechter Gewalt jenseits des Theaterensemble-Angriffs in Halberstadt zu informieren. Und um der Frage nachzugehen: Was muss und kann sich ändern, damit sich potenzielle Opfer rechter Angriffe wieder sicherer fühlen können in Halberstadt? Wer steht den Opfern und denjenigen zu Seite, die aufgrund ihrer Hautfarbe, ihres Äußeren, ihrer Zivilcourage, ihrer politischen Überzeugung, ihrer sexuellen Orientierung, Beeinträchtigung oder ihres sozialen Status im rechtsextremen Weltbild als „minderwertig“ angesehen und zu Feinden erklärt werden? Wie können sich BürgerInnen und Politik gegenseitig unterstützen in der Auseinandersetzung mit Rechtsextremismus?

Als RednerInnen sind eingeladen: Eine AnwältIn der Opfer des Theaterangriffs, Professor Rainer Neugebauer (Bürgerbündnis für ein Gewaltfreies Halberstadt und Prozessbeobachter), Prof. Dr. Hajo Funke (Freie Universität Berlin), Betroffene und VertreterInnen der nicht-rechten, alternativen Jugendszene
Moderation: André Bücker, Intendant Nordharzer Städtebundtheater, Heike Kleffner, Mobile Opferberatung.

Wann: Montag, den 9.Juni 2008, 19:30 Uhr
Wo: Kammersaal, Spiegelstr. 20a, Nordharzer Städtebundtheater Halberstadt
Der Eintritt zu der Veranstaltung ist kostenlos. Die Veranstaltung richtet sich an alle, die Opfer rechter Gewalt unterstützen wollen. Ausgeschlossen von der Teilnahme sind AktivistInnen und SympathisantInnen der extremen Rechten. (Quelle: Miteinander-ev.)



Mehr zum Urteil.

www.mut-gegen-rechte-gewalt.de / Foto: Gesehen in Halberstadt, Kulick

halberstadt-gruenes-hakenkr.jpg

Grünes Hakenkreuz auf einem Stromkasten in Halberstadt