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Drei Fragen der MUT-Redaktion an Bundestagsvizepräsidentin Katrin Göring-Eckhardt (Grüne), die seit dem 2. Mai 2009 auch Präses der EKD-Synode in Deutschland ist:
1. Frau Göring-Eckardt, haben wir uns in Deutschland wieder an Rechtsradikale gewöhnt?
Die Gefahr einer Gewöhnung an Rechtsradikale ist real. Es geht bei dieser Gefahr aber nicht nur um rechtsextreme Gewalttäter, sondern auch um Ausgrenzung und Intoleranz. Rechtsextremes Denken und Handeln ist eben nicht nur ein Problem von kriminellen Gewalttätern, sondern auch ein Problem von Teilen der Gesellschaft, die solchem Verhalten nicht entgegentreten, es billigen oder sogar insgeheim begrüßen.
Die Gefahr der Gewöhnung nimmt insofern tatsächlich zu, gerade auch weil Rechtsradikale sich bemühen, nicht mehr durch Springerstiefel in Erscheinung treten, sondern sich – mal schlecht, mal recht – in guten Manieren versuchen. Doch vom Biedermeier zum Brandstifter ist es oft ein kurzer Weg, das haben viel zu viele Ereignisse sehr schmerzhaft gezeigt.
Haben wir uns an Rechtsradikalismus gewöhnt? Wenn man sich beispielsweise die Äußerungen des Bürgermeisters im sächsischen Mügeln nach der Hetzjagd auf acht Inder in seinem Ort vor Augen führt, wird man auch hier mit „Ja“ antworten müssen. Leider ist Mügeln kein Einzelfall, viele politisch verantwortliche Bürgermeister oder Landräte, aber auch manch Ministerpräsident übt sich angesichts rechter Umtriebe immer noch im Abwiegeln. „Solche Parolen können jedem mal über die Lippen kommen“, sagte Mügelns Stadtoberhaupt und glaubt damit Schaden von seinem Ort abzuwenden. Doch genau durch solche Blindheit und falsche Toleranz wird nicht nur Mügeln, sondern der Demokratie als ganzer ein Bärendienst erwiesen. Aus Angst um den guten Ruf Probleme mit Rechtsradikalismus zu verschweigen oder herunterzuspielen, führt zu einer Gewöhnung an die Extremisten, auf der Straße und in den Köpfen.
Meine Erfahrung ist aber auch, dass bei vielen Menschen und auch politisch Verantwortlichen in den letzten Jahren die Sensibilität zugenommen hat. Es hat zwar einige Zeit gedauert, bis wir in der rot-grünen Koalition die Sozialdemokraten überzeugen konnten, dass es weit mehr Anstrengungen gegen Rechts bedarf. Doch letztlich hatte sich der Bund stärker zu seiner Verantwortung bekannt. Mit entsprechenden Programmen wurden beispielsweise lokale Netzwerke initiiert bzw. unterstützt oder auch Initiativen gezielt gefördert, durch die junge Menschen sich stärker mit der Vergangenheit ihres Ortes auseinandersetzen.
Aber vor allem sind es auch vor Ort immer mehr Menschen geworden, die zeigen, dass für Rechte und rechtes Denken bei Ihnen kein Platz ist. Ich will, dass es noch viel mehr werden.
2. „Gegen Nazis!“ – Wie sagen Sie’s Kinder und Jugendlichen?
Rechtsradikalismus ist nicht allein ein Problem für Kinder und Jugendliche. Egal ob alt oder jung, Mann oder Frau, überall gibt es Menschen, die auf rechte Parolen hereinfallen. Natürlich ist es ganz wichtig, gerade auch mit jungen Menschen, die kaum mehr Kontakt zu Zeitzeugen haben können, immer wieder darüber zu sprechen, wohin Nationalismus, Ausländerfeindlichkeit, Antisemitismus und Intoleranz führen: ob im „Kleinen“ zu Pöbelei, Schlägereien und einer Atmosphäre der Angst oder im „Großen“ zu Völkermord, Vertreibung und Unterdrückung. Da sind Eltern genauso wie Lehrerinnen und Lehrer noch stärker gefragt.
Doch „gegen Nazis“ aufzustehen, das heißt vor allem auch „für Demokratie“ einzutreten. Vor einigen Wochen konnte ich Schülerinnen und Schülern in Wunsiedel zur Verleihung des Titels „Schule ohne Rassismus“ gratulieren. Dort hatten Rechtsextreme die sogenannte Schulhof-CD mit rechten Liedern verteilt, doch die Schüler in Wunsiedel haben die CD’s eingesammelt und produzieren jetzt stattdessen eine eigene, echte Schulhof-CD mit Bands und Musikschülern der Schule. Das meine ich mit „für Demokratie“: Beteiligung, Engagement und Zeigen, dass wir stolz auf unsere Vielfalt sind.
Demokratie ist dort, wo Kinder und Jugendliche die Chance haben, Neues zu probieren, wo sie mitsprechen und sich austauschen können, wo sie Ernst genommen werden. Egal, ob bei der Gestaltung ihrer Schule oder in der Freizeit. Wo das gelingt, haben Nazis kaum eine Chance. Denn Nazis wenden sich vor allem an die, die sich ausgeschlossen fühlen in Gesellschaft oder auch Familie. Deswegen müssen wir zeigen, dass jeder Mensch bei uns gebraucht, gefragt und vor allem wertvoll ist. Wenn das gelingt, dann haben die alten und neuen Nazis keine Chance.
3. Was können wir selbst gegen Nazis gegen Rechtsextremismus und Fremdenfeindlichkeit tun?
Jede Menge.
Wir dürfen nicht nur über Zivilcourage sprechen, sondern müssen sie auch leben. Das heißt natürlich, aufzustehen und zu demonstrieren, wenn Rechte die eigene Stadt als Auflaufplatz nutzen. Das heißt aber genauso, den Mund aufzumachen, wenn Menschen im Fußballstadion, im Café, in der Schule oder auf der Arbeit beleidigt oder angepöbelt werden. Denn wie erfolgreich wir Rechtsextremismus die Stirn bieten, darüber entscheidet vor allem unser tägliches Leben, unser täglicher Umgang mit all denen, die für die Nazis nicht dazugehören: mit Behinderten, Homosexuellen, Migrantinnen und Migranten, Menschen, die einfach nur anders denken oder aussehen.
Jeder trägt dabei in seinem eigenen Umfeld täglich aufs Neue Verantwortung. Daran muss man leider auch manche erinnern, die zwar im Blickpunkt der Öffentlichkeit stehen, von einem verantwortungsvollen Umgang mit Bekanntheit aber nicht viel halten. Wenn Oskar Lafontaine gegen „Fremdarbeiter“ wettert oder Kinder gegen Inder ausgespielt werden, dann brauchen wir Widerspruch. Wenn ein Berliner Hiphopper quasi zur Gewalt gegen Homosexuelle auffordert, dann brauchen wir Protest, laut und heftig.
Doch die Auseinandersetzung mit Rechtsextremismus ist nicht nur anstrengend, sie kann auch Spaß machen. Das beweisen immer mehr Projekte und Ideen. Die Straßenfeger, die nach einer Nazidemonstration den braunen Unrat aus der Stadt fegen, sind dafür nur ein gutes Beispiel. Die in Leipzig gegründete „Apfelfront“ gewinnt immer mehr Anhänger und zeigt wunderbar ironisch, wie hohl rechte Parolen sind. In Pößneck, einer Kleinstadt in Thüringen, machen Jugendliche mit Musik und Bandfestivals auf die Probleme ihrer Stadt mit Nazis aufmerksam. Unterstützt werden sie dabei von der örtlichen Sparkasse, die sogar ein Schaufenster für die Initiative zur Verfügung stellt. Solche Allianzen brauchen wir noch viel mehr.
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