Auf den ersten Blick klingt es gut, was die Bayern vorhaben: ein eigenes Versammlungsrecht, das speziell missliebige Neonazi-Aufmärsche einschränken soll. Zum Jahresbeginn hat die Regierung von Günther Beckstein das Gesetz vorgelegt, im Juli soll es von der CSU-Mehrheit im Landtag verabschiedet werden. Dann dürfte es wohl zum Modell für andere unionsgeführte Länder werden. Leider.
Von MAX HÄGLER, taz
Doch die Vorlage hat mehrere Makel: zum einen wäre es falsch, von der Linie abzugehen, die das Bundesverfassungsgericht unter dem Richter Hoffmann-Riem vorgegeben hat: dass der Schutz des Grundrechts für alle Versammlungen gilt - egal, ob sie einem sympathisch sind oder nicht. Die regelmäßigen Aufmärsche der NPD im fränkischen Ort Gräfenberg, wo ein großes Kriegerdenkmal steht, würden damit vielleicht gestoppt. Eine öffentliche Auseinandersetzung mit den Neonazis, die von vielen Gräfenbergern selbst eingefordert wird, würde aber vermieden. Zum anderen besteht die realistische Gefahr, dass sich die Rechtsextremisten vor den Verwaltungs- oder Verfassungsgerichten doch wieder das Recht erstreiten, auf dem Marktplatz von Gräfenberg aufzumarschieren. Der Staat könnte hier also ein ähnliches Debakel erleben wie beim NPD-Verbot.
Dramatisch aber wäre die Auswirkung auf die generelle Versammlungsfreiheit. Letztlich bliebe es den Behörden und den politischen Entscheidungsträgern überlassen, ob sich der Bürger seiner einzigen kraftvollen Artikulationsmöglichkeit bedienen darf. Wer von den Menschen verlangt, sich drei Tage vor einer geplanten Demonstration bei den Behörden zu melden und detailliert die Namen aller Beteiligten zu nennen, der will sie von dieser legitimen Form politischer Beteiligung abhalten. Wer verfügt, dass diese Menschen beinahe schrankenlos gefilmt werden dürfen, und ihnen per Gesetz vage jede "einschüchternde Wirkung" untersagt, der nimmt in Kauf, dass die Menschen aus Angst vor Repressalien zu Hause bleiben.
Ungeachtet der Absichten wird deshalb klar: Ein Versammlungsgesetz wie das bayerische ist feige und verantwortungslos.
Veröffentlicht mit freundlicher Genehmigung des Autors und der taz vom 7.5.2008