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"Stress ist vorprogrammiert". Eindrücke aus Hoyerswerda.

Junge Leute berichten über die Allgegenwärtigkeit von Neonazis im Alltag von Hoyerswerda. Ein Gastbeitrag der sächsischen Opferberatungsstelle AMAL - die mangels weiterer Förderung derzeit abgewickelt wird...

"Im folgenden Interview kommen junge Menschen aus Hoyerswerda zu Wort, die zum Teil noch in der Stadt leben oder mittlerweile weg gezogen sind. Sie alle eint aber das Engagement gegen rechtsextreme Tendenzen in Hoyerswerda und der näheren Umgebung. Die Interviewpartner waren in der Vergangenheit zum Teil selbst von rechtsextremen Übergriffen betroffen bzw. kennen selbst viele solcher Vorfälle aus dem Freundeskreis. Wir haben sie zu ihrer Sicht auf die Problematik befragt.

1. Viele Menschen asoziieren bei dem Wort Hoyerswerda immer noch Plattenbautristesse und die Erinnerung an das rassistische Pogrom von 1991. Ist dieses Bild aus eurer Sicht gerechtfertigt?

Auch wenn viele der alten und oftmals leer stehenden Plattenbauten mehr und mehr dem Erdboden gleich gemacht werden, gibt es dennoch nach wie vor Gebiete in Hoyerswerda, die ein sehr graues und tristes Bild zeichnen. Auch für uns steht fest, dass es ähnliche Ereignisse wie jene aus dem Jahr 1991 in Hoyerswerda in naher Zukunft wohl nicht mehr geben wird - schließlich mussten alle BewohnerInnen der VertragsarbeiterInnenheime evakuiert und vor dem wütenden Mob aus Neonazis und BürgerInnen in Sicherheit gebracht werden. Die “Ausländer” sind weg, doch Vorurteile und Anschuldigungen seitens vieler BürgerInnen wohl immer noch präsent. Ebenso präsent ist die mangelnde Aufarbeitung der geschehenen Ereignisse und das Wegschauen gegenüber einem stärker werdenden Rechtsextremismus in der Region, dessen Akteure auch vor Gewalt in keinster Weise zurückschrecken.

2. Wart ihr selbst schon mal von rechtsextremer Gewalt betroffen und wie seid ihr damit umgegangen?

Pöbeleien, Bedrohungen, Sachbeschädigung bis hin zu massiven körperlichen Übergriffen sind in Hoyerswerda nach wie vor an der Tagesordnung und auch wir waren in der Vergangenheit schon mehrfach davon betroffen. Gerade junge, alternative Jugendliche haben Angst und meiden mittlerweile immer öfter öffentliche Orte in der Stadt, die oftmals auch beliebte Treffpunkte der Rechtsextremen darstellen. Unserer Einschätzung nach haben vor allem rechte Gewalttaten in Hoyerswerda und der näheren Umgebung in der letzten Zeit nicht nur zahlenmäßig, sondern auch an Brutalität zugenommen. Wir sind der Auffassung, dass mit diesen oftmals auch gezielten Aktionen, Jugendliche, die sich “gegen rechts” engagieren, eingeschüchtert und Mundtod gemacht werden sollen.

3. Hat ein alternativer Jugendlicher mit Einschränkungen zu tun, wenn er in die Disko oder zu einem Volksfest gehen will?

Wenn “alternativ” gekleidete Jugendliche Diskos oder Volksfeste besuchen, ist Stress in den meisten Fällen schon vorprogrammiert. Rechte Strukturen in der Region sind oftmals eng verflochten mit anderen Subkulturen. Diese hegemonial gewordene Struktur offen rechtsgerichteter Jugendkulturen ist seit Jahren gefestigt, wird in der Öffentlichkeit schlichtweg nicht thematisiert und von einigen Veranstaltern sogar gefördert. Während organisierte Neonazis und andere rechtsgerichtete Jugendliche ungestört feiern können und ihre Gesinnung durch eindeutige Symbolik, Kleidung und ihr Agieren offensiv zur Schau stellen, kommt es vor, dass alternativ gekleidete Personen wegen ihres Äußeren in Konflikte mit Türstehern oder anderen PartybesucherInnen geraten.

4. Wie verhält sich die Öffentlichkeit zu solchen Dingen? Werden sie dort überhaupt wahrgenommen?

 Wir haben den Eindruck, dass die regionale Öffentlichkeit diese Entwicklungen weder als besonders “schlimm” wahrnimmt, noch in angemessener Form thematisiert. Wir denken, dass viele BürgerInnen der Stadt durch eine fehlende oder ungenügende Aufarbeitung der jüngeren Geschichte Hoyerswerdas nicht in der Lage sind oder sein wollen, sich mit dieser Situation auseinanderzusetzen. Diese Haltung wird durch die Kommunalpolitik und der örtlichen Presse gestützt, die sich in erster Linie um ein sauberes Image der Stadt sorgen, als sich Problemen wie Rechtsextremismus und Fremdenfeindlichkeit konstruktiv anzunehmen. Wie kann es sein, dass hunderte Neo-Nazis seit Jahren immer wieder unangemeldet und ungestört mit Sprechchören wie “Hier regiert der Nationale Sozialismus” durch die Innenstadt marschieren können und dies der regionalen Presse, wenn überhaupt, nur ein paar Sätze wert ist?

5. Was müßte sich aus eurer Sicht ändern, um rechtsextreme Gewalt zurückzudrängen und die Situation zu verbessern?

Zum einen müssten deutlichere Zeichen in der Bekämpfung rechtsextremer Gewalt und Fremdenfeindlichkeit gesetzt werden. Straftaten mit rechtsextremen Hintergründen dürfen nicht länger bagatellisiert und entpolitisiert werden. Im Gegenzug müssen antirassistische und antifaschistische Initiativen, Strukturen und Bündnisse ernstgenommen und gestärkt werden, damit sich überhaupt erst Ansätze einer Zivilgesellschaft, die sich ernsthaft, offensiv und beständig gegen rechtsextreme Ideologien wendet, entstehen kann. Ihr Ziel muss es sein, jenen Menschen Mut zu machen, die nicht wegschauen, sondern Courage zeigen. Rechtsextremen dürfen weder Räume noch Möglichkeit gewährt werden, ihr menschenverachtendes Gedankengut weiterzugeben. Unter den jetzigen Voraussetzungen sieht es für uns leider nicht danach aus, als ob sich an der jetzigen Situation in Hoyerswerda etwas ändern wird."

Das Interview führte die die Redaktion von der Opferberatungsstelle AMAL Sachsen, die mangels weiterer Förderung derzeit abgewickelt wird. Der Text ist eine Veröffentlichung aus den AMAL-Informationen Dez. 2007

Mehr über möglichen Klimawandel in Hoyerswerda: >klick

Das Foto zeigt eine Kranzniederlegung durch Neonazis im November 2002 in  Hoyerswerda. Die Stadtverwaltung hatte die Gedenksteine demonstrativ verhüllen lassen.

www.mut-gegen-rechte-gewalt.de /hk

 

 

nazi-gedenken-in-hoyerswerda-2002.jpg

Nazi-heldengedenken in Hoyerswerda 2002