Sie sind hier

Drei Fragen an... Hermann Otto Solms

 

1. Haben wir uns in Deutschland wieder an Rechtsradikale gewöhnt?

Bis zu einem gewissen Grad muss ein demokratischer Rechtsstaat, dessen Verfassung auf Grundrechten basiert, Extreme am rechten und linken Rand des politischen Spektrums aushalten können. Dies hat freilich nichts mit „Gewöhnung“ zu tun. Diese Toleranz gegenüber dem Andersdenkenden ist nämlich vollständig verwirkt, sobald sie sich gegen andere Menschen gerichtet oder die menschenverachtenden Gräueltaten der Nationalsozialisten verleugnet.

Rechtsradikale Übergriffe gegen Menschen, die anders denkenoder aussehen, sind dabei die Spitze des Eisbergs. Mindestens ebenso gefährlich sind Menschen, die das rechtsradikale Gedankengut verbreiten und dafür in bestimmten Gesellschaftsschichten und Regionen Deutschlands sogar guten Nährboden finden. Gefährlich ist auch, dass die Rechtsradikalen sich inzwischen der Struktur unseres demokratischen Systems und unserer Gesellschaft bedienen, um die Demokratie selbst zu unterwandern. Nein, wir haben uns nicht an Rechtsradikale gewöhnt, wir sind vielmehr in der Frage, wie wir ihnen die Stirn bieten, auf politischer Ebene uneins und diese Uneinigkeit überträgt sich auf die gesamte Diskussion und den Umgang mit Extremisten. Im Grunde spielt das den Rechtsradikalen in die Hände. Doch unser freiheitlicher Rechtsstaat ist ein lernender Organismus, der aufgrund seiner Struktur zuweilen nur langsam auf Veränderungen oder Gefahren reagieren kann. Die größte Errungenschaft unserer Demokratie ist also auch unsere Achillesferse.

2. „Gegen Nazis!“ – Wie sagen Sie’s Kindern oder Jugendlichen?

Was ich meinen Kindern sagen würde? ’Alle Menschen sind vor dem Gesetz gleich. Niemand darf auf Grund seines Geschlechtes, seiner Abstammung, seiner Rasse, seiner Sprache, seiner Heimat und Herkunft, seines Glaubens, seiner religiösen oder politischen Anschauungen benachteiligt oder bevorzugt werden. Niemand darf aufgrund seiner Behinderung benachteiligt werden.’ So steht es wörtlich in Artikel 3 des Grundgesetzes. Nazis handeln auf allen Ebenen gegen dieses Grundrecht.

Sie sind antidemokratische, geistige Brandstifter, die sich unseres demokratischen Systems nur bedienen, um ihre „Ausländer raus“-Parolen und absurde Vorstellungen von der Überlegenheit der weißen Rasse zu verbreiten. Informiert Euch, damit ihr gute Argumente gegen sie habt, z.B. hier:  www.abc-poessneck.de,

www.bpb.de/themen/CXU25J,0,0,Schwerpunkt3A_Rezepte_gegen_Rechtsextremismus.html

und www.dasversteckspiel.de. Setzt Euch gegen sie zur Wehr und beschützt auch andere!“

3. Was können wir selbst gegen Rechtsextremismus und Fremdenfeindlichkeit tun?

Es gibt keine Universalrezept gegen Rechtsextremismus und Fremdenfeindlichkeit, das dazu dienen könnte, beides auszumerzen. Wir brauchen eine wehrhafte Demokratie, in der sich sowohl der Staat als auch jeder einzelne gegen Extremismus wendet. Notwendig sind dazu einerseits große Maßnahmen und andererseits viele kleine Schritte. Wir sollten den Rechtsradikalen zum Beispiel eine ihrer wichtigsten Plattformen – die öffentliche Berichterstattung – nehmen, indem wir nicht ein übers andere Mal auf ihre gezielt vorgebrachten verbalen Provokationen mit bundesweiter Entrüstung reagieren. Damit machen wir sie wichtig – und genau das wollen sie erreichen. Statt reflexartig mit Empörung auf rechtsradikale Übergriffe zu reagieren, das Verbot der NPD zu fordern und hernach sogleich in die alten Handlungsweisen zurückzufallen, sollten wir im Alltag Zivilcourage zeigen, damit es erst gar nicht zu Übergriffen kommen kann.

Daneben sollten wir jungen Menschen – vor allem in Ostdeutschland – Perspektiven für ihr Leben eröffnen, wir sollten mehr in die Bildung investieren und so bessere Bildungschancen für alle schaffen. Wie gesagt, jeder Bürger sollte Zivilcourage zeigen und dabei am besten mit anderen zusammen gegen verbale und körperliche Attacken vorgehen. Das heißt konkret, dass man jemanden, der gemobbt oder angegriffen wird, beschützt oder wenigstens die Polizei verständigt. Es bedeutet, dass man es mit Worten missbilligt und einschreitet, wenn jemand fremdenfeindliche Parolen verbreitet. Wir sollten mit Selbstbewusstsein für die freiheitlichen Grundrechte eintreten und Intoleranz bekämpfen. Wir müssen uns die Grundwerte des demokratischen Rechtsstaates bewusst machen und diese Werte gegen Anfeindungen verteidigen.

Jeder kann etwas dazu beitragen, den Rechtsradikalen den Boden zu entziehen. Je mehr Menschen sich engagieren, desto schwieriger wird es für Extremisten.

Weitere Antworten

Frank-Walter Steinmeier

Wolfgang Schäuble
Gregor Gysi
Charlotte Knobloch 
Monika Lazar
Sandra Maischberger
Ulrich Wickert

solms.jpg

Portrait Solms