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Drei Fragen an... Monika Lazar (Grüne)

  1. Haben wir uns in Deutschland wieder an Rechtsradikale gewöhnt?

    Da Neonazi-Aufmärsche (oft) von großen Gegendemos „begleitet“ werden, scheint auf den ersten Blick alles okay zu sein. Der zivilgesellschaftliche Widerstand ist ein Indiz, dass Deutschland aus seiner Vergangenheit gelernt hat. Aber dürfen wir uns wirklich beruhigt zurücklehnen? In Sachsen könnten sich laut einer aktuellen Umfrage 13 Prozent der Menschen vorstellen, eine rechtsextreme Partei zu wählen. Die NPD überholt in diesen Umfragen sogar die SPD. Im gesamten Land stimmen ca. 60 Prozent aller Menschen ganz oder teilweise rassistischen Aussagen zu. Die Tatsache, dass Rechtsextremismus wieder erstarkt, ist nicht zu leugnen, auch wenn viele dies immer wieder versuchen. Motive dafür sind zum Beispiel Angst und Scham, dass in der „eigenen“ Stadt, Kommune oder Region Nazis ihr Unwesen treiben. Fast täglich liest man von Nazi-Demonstrationen, Nazi-Infoständen oder rechten Gewalttaten irgendwo in Deutschland. Die Reaktion ist oft ein Ignorieren oder Verharmlosen. Viele wollen das Problem übersehen, gehen den scheinbaren „Weg des geringsten Widerstands“ und bemerken nicht, dass sie damit ein Teil des Problems werden.
    Aber es gibt auch viele BürgerInnen, die sich aktiv damit auseinandersetzen und gegen die Entwicklung wehren. In zahlreichen Städten wurden Bündnisse gegen Rechts gegründet, viele Jugendliche engagieren sich in Anti-Nazi-Gruppen. Auf Bundesebene und in manchen Ländern gibt es Programme gegen Rechtsextremismus, Fremdenfeindlichkeit und Antisemitismus. Nazi-Ideologie wird also durchaus auch „offiziell“ als Bedrohung angesehen. Die Gegenstrategien sind aber allzu oft eher von Aktionismus als von langfristigem Herangehen geprägt. Am aktivsten ist die Demokratie nach spektakulären Vorfällen. Die Frage, ob wir es in Deutschland mit einem „Gewöhnungseffekt“ bezüglich Nazis zu tun haben, kann ich nicht pauschal beantworten. In Teilen unseres Landes, so genannten „Angstzonen“, ist eine gefährliche Passivität spürbar. AusländerInnen oder anders Aussehende wagen sich nicht mehr hin, da ihnen bei Angriffen keiner helfen würde. Gleichgültigkeit oder gar Akzeptanz rechtsextremer Aktionen gehören dort zu den „gewohnten Reaktionen“, auch wenn dieser Gedanke unerträglich ist. Besondere Stärkung und Unterstützung brauchen diejenigen, die sich damit nicht abfinden wollen. Und davon gibt es in Deutschland zum Glück eine große Menge, so dass mein Fazit lautet: Deutschland hat sich nicht an den Rechtsextremismus gewöhnt, unterschätzt ihn aber leider zu häufig. Wir müssen uns besser auf die Herausforderungen durch Ultrarechte vorbereiten und aus der verbreiteten Lethargie aussteigen, bevor es wieder „normal“ erscheint, in Deutschland Nazi zu sein.

  

  1. „Gegen Nazis!“ – Wie sagen Sie’s Kindern oder Jugendlichen?

    Ganz wichtig: Kinder offen und altersgerecht aufklären! Probleme mit Rechtsextremismus, Rassismus, Antisemitismus und Intoleranz dürfen wir nicht vor Kindern verschweigen. Ein frühzeitiges Erlernen von Toleranz, demokratischem Verständnis und Offenheit gegenüber allem „anderen“ hilft Kindern und Jugendlichen, weniger anfällig für Nazi-Ideologien zu sein. In der Schule genügt nicht die historische Betrachtung der NS-Diktatur im Geschichtsunterricht. Auch die aktuelle Situation des Rechtsextremismus muss Thema sein. Kinder und Jugendliche müssen damit konfrontiert werden und nicht (nur) davor beschützt. Antidiskriminierungsunterricht oder Antidiskriminierungsprojekte können dazu beitragen, Kinder und Jugendliche zu sensibilisieren. Dazu brauchen die Lehrkräfte eine spezielle Ausbildung. Hierzu sollte der Staat eng mit zivilgesellschaftlichen Initiativen zusammenwirken, um ein entsprechendes Angebot zu erstellen und auch zu finanzieren. Ein wichtiger Baustein ist, dass Kinder und Jugendliche andere Kulturen kennen lernen und sich mit Menschen aus anderen Ländern austauschen können. Hier sind Eltern und Lehrkräfte gefragt. Sie müssen viel aktiver werden als bisher, Ideen entwickeln, um Toleranz, Verständnis und Interesse an anderen Kulturen zu wecken und klar machen, dass Abgrenzung nur Hass hervorbringt. Internationale Begegnungszentren oder Schüleraustausch-Zeiten können solche Lernprozesse unterstützen. Da Nazi-Aktivitäten ein internationales Problem sind, müssen auch die verschiedenen Länder im Kampf gegen Rechtsextremismus, Rassismus und Antisemitismus stärker zusammenwirken.
    Musikprojekte gegen Rechts sind ein weiterer Ansatz, um Kinder und Jugendliche für die Thematik zu interessieren. Viele identifizieren sich gerade in diesem Alter sehr stark mit Musik und ihren Aussagen. Deshalb können verantwortungsvolle Projekte, die sich gegen Hass und Intoleranz richten, sehr hilfreich sein. Oft bringen sie (zumindest bei diesen Altersgruppen) viel mehr Erfolg als pure Informationsveranstaltungen und Vorträge. In diesem Zusammenhang führt unsere grüne Bundestagsfraktion derzeit eine Veranstaltungsreihe durch, die Dialog und Interaktion zwischen Politik und Jugendlichen fördern soll. Wir wollen Jugendliche anregen, sich mit Nazi-Einstellungen, -Haltungen und –Symbolen kritisch auseinanderzusetzen. In mehreren Workshops in verschiedenen Regionen stellen wir dazu alternative Kulturkonzepte vor, um die demokratische jugendkulturelle Infrastruktur zu stärken. Dies kombinieren wir mit  Fachgesprächen und Bühnenpräsentationen. So werden die Jugendlichen über ihre Alltagskultur angesprochen, an gesellschaftspolitische Themen herangeführt und zum Engagement ermutigt. An den Schulen muss neben Aufklärung auch aktiv darauf geachtet werden, dass die Schulgebäude und –höfe frei von Nazi-Propaganda bleiben, denn trotz aller Überzeugungs- und Vorbeugungsarbeit können Jugendliche und Kinder leider oft noch von („geschulten“) Neonazis „verführt“ werden.
    Kinder und Jugendliche die bereits in die Nazi-Szene abgerutscht sind bzw. sich dafür interessieren, dürfen wir nicht „aufgeben“. Eltern sollten versuchen, am besten mit professioneller Hilfe, mit ihren Kindern einen offenen und toleranten Dialog zu führen. Dabei dürfen sich die Kinder nicht unterdrückt oder belehrt fühlen, weil es sonst zu Gesprächsabbrüchen und einer noch stärkeren Zuwendung zur Nazi-Szene kommen kann. Die Probleme und Gefühle der Betroffenen müssen ernst genommen werden. Offene Dialoge nehmen das Aufregende und Verbotene, das manchmal die Nazi-Szene für junge Leute interessant wirken lässt. Verbote oder Vorwürfe hingegen bewirken – gerade bei jungen, aufmüpfigen Leuten – eher das Gegenteil. Da der Hass oft sehr tief sitzt, sollten Aussteigerinitiativen zu Rate gezogen werden (auch sehr gut für Schulprojekte geeignet). Der Hass ist oft nur „erlernt“ und kann mit viel Geduld, Ausdauer und Alternativangeboten wieder „verlernt“ werden.
    Das erfolgreiche Gespräch mit Kindern und Jugendlichen über Nazi-Ideologien hat entscheidende Bedeutung für die Zukunft. Wenn es in jungen Jahren gelingt, sie zu verantwortlichen, toleranten und offenen Menschen zu erziehen, wird dies unsere Gesellschaft positiv prägen.

     

  1. Was können wir selbst gegen Rechtsextremismus und Fremdenfeindlichkeit tun?

 

  • Nicht die Augen verschließen! Rassismus beginnt oft mit „harmlosen“ Witzen und Aussagen. Solch verschleierte Nazi-Ideologie müssen wir in den jeweiligen Situationen offen ansprechen und entlarven.

 

 

  • Passive Bürgerinnen und Bürger müssen sich selbst als Teil der Lösung begreifen. Die Aussage „andere werden das schon wieder richten“ darf es im Falle von Rassismus nicht geben. Um das zu erkennen, brauchen wir Menschen, die immer wieder für dieses Problem sensibilisieren. Jede Stimme gegen Intoleranz und Hass zählt.

     

  • Wir sollten alle Möglichkeiten nutzen, uns Gleichgesinnte zu suchen und Bündnisse zu schließen, die sich mit der Arbeit gegen Rechtsextremismus beschäftigen. Gemeinsam sind alle Anti-Nazi-Strategien wirksamer und erlangen mehr Streukraft. Diese Bündnisse können Vorträge vorbereiten, um weitere Menschen für das Thema zu interessieren, praktische Aktionen wie Demonstrationen und Infotische organisieren, Broschüren herstellen usw. Je mehr Leute sich beteiligen, desto weniger besteht die Gefahr, dass sich Einzelne zu sehr „verschleißen“ und aufgeben.

      

     
  • Aktuell informiert sein: Neonazis ändern Erscheinung und Sprache. Damit niemand auf sie hereinfällt, ist aktuelle Information wichtig. Wir müssen uns damit befassen. Dabei muss die Politik unterstützen, zum Beispiel durch Info-Broschüren über Nazi-Codes, Nazi-Kleidung, aktuelle Vorhaben usw.

     

  • Sich nicht einschüchtern lassen! Das ist manchmal gar nicht leicht. Viele Menschen engagieren sich nicht (öffentlich) gegen Rechtsextremismus, aus Angst selber Ärger mit Neonazis zu bekommen. Zivilcourage muss aber sein, denn Passivität ist kein Schutz vor Nazi-Gewalt. Im Gegenteil: Je geringer der öffentliche Widerstand, desto mehr fühlen sich Nazis ermutigt. Wer konkret von Nazis bedroht wird, muss sich Hilfe suchen. Er darf auf keinen Fall ein „stilles Opfer“ bleiben. Dort, wo Gegendemonstrationen organisiert werden, sind die Nazis letztlich meist in der Unterzahl. Wenn sich viele DemokratInnen miteinander solidarisieren, kann die Angst verschwinden.

 

 

  • Selbst in den Dialog mit „anderen“ Kulturen treten: Kampf gegen Nazi-Ideologie bedeutet auch, eigene Vorurteile zu erkennen und abzubauen. Dies gilt sowohl gegenüber anderen nationalen Kulturen als auch gegenüber anderen politischen Kulturen. Bei Demonstrationen sind beispielsweise breite Bündnisse sehr wichtig. Die Zusammenarbeit von Antifa-Gruppen und „Bürgerlichen“ sollte nicht an ideologischen Grabenkämpfen scheitern. NPD, freie Kameradschaften und Autonome Nationalisten schaffen zwar auch nicht immer den Schulterschluss, aber dennoch herrscht im „Notfall“ zumindest ein oberflächlicher Zusammenhalt. Eine antifaschistische Demonstration, die geteilt und gespalten ist, wirkt auf Neonazis und unentschlossene BürgerInnen nur lächerlich. Breite, geschlossene Demonstrationen verdeutlichen: „Wir sind die Mehrheit, wir sind geeint im Kampf gegen Rechtsextremismus.“ Das kratzt am Selbstvertrauen von Neonazis, die sonst gern behauten, ihr „Nationaler Widerstand“ sei „vom deutschen Volk“ getragen.

     

  • In der eigenen Kommune Aufklärungsarbeit leisten: Es fängt in der eigenen Stadt, in der eigenen Umgebung an. Sind hier Neonazistrukturen erkennbar oder neonazistisches Denken bei den Nachbarn? Dann müssen sich die BürgerInnen vor Ort engagieren, damit sich alle Menschen in den Kommunen sicher fühlen können. Breite Bündnisse – mit Politik, Kirchen, Wirtschaft, Bildungseinrichtungen, Jugendclubs usw. – müssen Angebote schaffen, damit Nazis keinen Fuß in die Tür bekommen. Gerade die NPD geht nämlich sehr strategisch vor und besetzt jedes Problemthema, das Menschen bewegt (z.B. Hartz-IV-Proteste oder Schulschließungen). Wenn sich sonst keiner drum kümmert, tun es die Nazis ganz sicher. Deshalb muss sich die Zivilgesellschaft vor Ort selbst aktiv werden und für Menschen Anlaufstellen schaffen.

     

  • In der Familie Aufklärungsarbeit leisten. Auch zuhause müssen wir über Rassismus sprechen und einander zur Gegenwehr ermutigen. Für die Erziehung von Kindern und Jugendlichen ist die Erfahrung häuslicher Offenheit bei diesem Thema sehr wichtig. Auch ältere Familienmitglieder, die möglicherweise selbst noch in Hitlerdeutschland gelebt haben, sei es als Täter oder Opfer, müssen einbezogen werden.

     

  • Aussteigerinitiativen fördern, auch privat: Um Neonazis aus ihren menschenverachtenden Strukturen zurück in ein „normales“ Leben zu holen, brauchen wir umfassende und professionelle Aussteigerinitiativen und Auffangprojekte. Wenn sich solche Initiativen in unserer Region befinden, können wir sie durch praktische ehrenamtliche Hilfe unterstützen. Auch finanzielle Spenden aus der eigenen Kasse helfen – gerade dort, wo die staatliche Förderung oft nicht reicht.

     

  • Opferberatungsstellen fördern, auch privat: Gleiches wie für AussteigerInnen-Projekte gilt hier – Opfer rechter Gewalt brauchen mehr Anlaufstellen. Praktische und finanzielle Hilfe können wir auch persönlich leisten. Ganz wichtig ist außerdem, den Opfern zu zeigen, dass wir die Ansichten von Nazis entschieden ablehnen und ächten. Oft erhalten noch immer Täter mehr Aufmerksamkeit als Opfer. Das darf nicht sein. Die Opfer müssen erleben, dass sie Teil einer großen Masse gegen Neonazis sind und nicht ein Opfer, welches sich einer Nazi-Übermacht beugen muss.

     

  • Zu Wahlen gehen: Alle wahlberechtigten BürgerInnen sollten ihr Wahlrecht nutzen. Auch wenn die demokratischen Parteien nicht das Optimum bieten, sollte man sich doch für eine entscheiden. Die Nazis nutzen ihr Wahlrecht, so dass NichtwählerInnen die Wahlerfolge von Nazi-Parteien mit zu verantworten haben.

     

  • Zum Informationsaustausch beitragen und zuständige Stellen aufrütteln: Politik, Justiz und Polizei sind auf Informationen angewiesen, um Straftaten zu verfolgen. Wenn wir Probleme mit Neonazis wahrnehmen, sollten wir die verantwortlichen Stellen informieren (z.B. durch Briefe, Mails, Anrufe usw.). Wenn sich in der eigenen Kommune etwa der Bürgermeister oder die Polizeidienststelle schwer tut, ein Problem ernst zu nehmen, können wir die Sache an die Öffentlichkeit bringen oder uns an die nächst höhere Instanz wenden. Denn Schweigen verschlimmert die Probleme.

 

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Portrait Monika Lazar