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Am 19. Mai stellte Bundesinnenminister Schäuble den neuen Verfassungsschutzbericht vor. Trotz Zerfallserscheinungen in der NPD gibt es keine Entwarnung beim Thema Rechtsextremismus - im Gegenteil. Die Zahl rechtsmotivierter Straftaten stieg auf einen Rekordwert. Und nahezu alle Bundesländer melden eine nachwachsende, teils zu Gewalt neigende Neonaziszene. 2008 wurden erstmals seit langem auch offiziell wieder Todesopfer durch Rechtsextreme gezählt. "Was kann jeder gegen Neonazis tun?", hat MUT den Bundesinnenminister unlängst gefragt. Hier seine Ansichten...
Von Holger Kulick und Silke Dürrhauer
Frage 1. Herr Schäuble, haben wir uns in Deutschland wieder an Rechtsradikale gewöhnt?
Rechtsradikales, totalitäres, aber auch fremdenfeindliches oder antisemitisches Gedankengut und die dazu gehörigen Einstellungen sind so alt wie die Menschheitsgeschichte und über den ganzen Erdball verbreitet. So unabweisbar wahr diese Tatsachenfeststellung leider ist, so wenig taugt sie zur Verharmlosung oder zur "Normalisierung" dieser Phänomene, ganz gleich in welchem Land, in welchem Zusammenhang sie auch auftreten. Für Deutschland kommt ein weiterer Aspekt zum Tragen, den der verstorbene Vorsitzende des Zentralrats der Juden in Deutschland, Ignatz Bubis, auf folgenden scharfsinnigen Dreisatz konzentriert hat: "Antisemitismus ist keine deutsche Erfindung. Aber Auschwitz ist eine deutsche Erfindung. Und deshalb ist Antisemitismus in Deutschland immer etwas anderes als Antisemitismus irgendwo sonst."
Der demokratische Rechtsstaat lässt keine Gewöhnung an Rechtsradikalismus, oder besser: an Rechtsextremismus zu - und das gilt für jede andere Form von Extremismus im gleichen Maße, wenn auch in anderen Wirkungszusammenhängen -, weil Rechtsextremismus sämtliche demokratischen, rechtlichen und nicht zuletzt humanistischen Werte negiert, auf denen unser Gemeinwesen begründet ist. Rechtsextremismus ist nicht "bloß" eine weitere politische Meinung im vielstimmigen Konzert anderer legitimer politsicher Meinungen und er ist weit mehr, um im Bild zu bleiben, als lediglich eine Dissonanz.
Die entschiedene Bekämpfung von Rechtsextremismus, Fremdenfeindlichkeit und Antisemitismus sind Selbstverpflichtung eines jeden demokratisch verfassten Rechtsstaates. Gewöhnung hat da überhaupt keinen Platz - und ich kann eine solche Gewöhnung in der öffentlichen Wahrnehmung und Debatte nicht erkennen.
Frage 2. "Gegen Nazis!" - Wie sagen Sie´s Kindern und Jugendlichen?
Zunächst einmal indem diese Haltung - gegen Extremismus, gegen Fremdenfeindlichkeit, gegen Antisemitismus und Inhumanität - in der Familie täglich gelebt wird. Wo Eltern Gefangene ihrer eigenen Vorurteile sind, muss sich niemand wundern, wenn dies bald auch die Vorurteile der Kinder und Jugendlichen sind.
Dann sind Schule und Ausbildung gefordert. Es ist gar nicht so einfach politisch korrektes in pädagogisch sinnvolle und prägende Unterrichtseinheiten zu kleiden. Das ist eine anspruchsvolle Aufgabe, die von Erziehern, Lehrern und Ausbildern nicht einfach nebenher erfüllt werden kann. Hier bedarf es der Bildung der Bildenden.
Inhalte sind entscheidend. Die Holocaust-Erziehung, also die Aufklärung und Information über die Nazizeit und das nach wie vor monströse Verbrechen gegen die Menschlichkeit des Holocaust spielt eine besondere Rolle und wird es auch weiterhin tun. Deutschland beteiligt sich aktiv an der Arbeit der "International Task Force on Holocaust Education, Remembrance and Research (ITF)" und ich betrachte es als ausdrücklichen Beleg für die Qualität dieser Kooperation, dass die ITF entschieden hat, ihr künftiges Ständiges Sekretariat in Berlin anzusiedeln. Bei diesem historischen Ansatz wird aber natürlich nicht stehen geblieben. Auch "moderne" Formen des Antisemitismus müssen Analyseobjekt in Schule und Ausbildung sein, damit ihnen wirksam begegnet werden kann.
Als drittes wichtiges Standbein in Schule und Ausbildung - idealer Weise gilt das natürlich auch für die Erwachsenen - kommen die Menschenrechtsbildung und die Menschenrechtserziehung hinzu. Insbesondere Kindern und Jugendlichen den Wert der Menschenrechte und damit natürlich die Bedeutung der Würde und den Wert des Menschen an und für sich zu vermitteln ist ein maßgeblicher Baustein, um sie gegen menschenfeindliche Ideologien immuner werden zu lassen.
Am Ende liegt aber eines offen auf der Hand: Alle Bildung wird wenig nützen, wenn ihre Inhalte keine erkennbare Resonanz in der Praxis, im von uns allen gelebten Alltag haben.
Frage 3. Was können wir selbst gegen Rechtsextremismus und Fremdenfeindlichkeit tun?
Nicht rechtsextremistisch und fremdenfeindlich denken, sprechen oder handeln - und nicht wegschauen, wo rechtsextremistisch und fremdenfeindlich gedacht, gesprochen oder gehandelt wird. Das wirkt nur auf den ersten Blick einfach. Das allein verlangt bereits eine gehörige Menge Courage. Überhöre ich den fremdenfeindlichen Witz am Stammtisch oder riskiere ich Ärger mit dem langjährigen Freund, wenn ich ihm sage, dass ich von solchen Witzen nichts halte? Sehe ich in der U-Bahn bei Pöbeleien lieber bequem weg oder gehe ich dazwischen und riskiere damit vielleicht selbst Opfer solcher Pöbeleien, wenn nicht gar von schlimmerem zu werden? Stelle ich mich der Polizei als Zeuge einer antisemitisch motivierten Straftat zur Verfügung oder lasse ich es, weil das alles ja mit mir nichts zu tun hat. Alles Fragen, die jeder im Innersten ganz mit sich selbst ausmachen muss. Alles Fragen, deren Art und Weise der Beantwortung von erheblicher Auswirkung auf unser aller Alltag sind - so oder so.
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Hier mehr zum Verfassungsschutzbericht vom 19.5.2009.
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Copyright: www.mut-gegen-rechte-gewalt.de , Erstveröffentlichung am 11.11.2007. Die Fragen stellten Silke Dürrhauer und Holger Kulick.