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Jetzt habt Ihr für die Hörbuch-Edition „Laut gegen Nazis“ Texte Überlebender des Nazi-Regimes gelesen. Was sind das für Texte? Was hat Euch daran beeindruckt?
Stefanie: Ich lese Auszüge aus der Biographie von Lucille Eichengreen. Sie ist Jüdin, hat durch die Nazis ihren Vater, ihre Mutter, ihre Schwester verloren. Sie selbst war im Ghetto Lodz und hat überlebt. Es war sehr ergreifend. Ich habe bei den Aufnahmen über drei Stunden durchgelesen. Ich habe versucht, ihre Gefühle nachzuvollziehen und nachvollziehbar zu machen – nicht ganz einfach, schließlich bin ich keine Sprecherin. Ich musste während der Aufnahmen das eine oder andere Mal echt schlucken.
Andreas: Ich lese Gedichte von Ruth Rosenfeld. Sie verarbeitet darin ihre Erfahrungen auf extreme Weise – sehr verschachtelte Satzkonstruktionen, extreme Wortwahl, krasse Gedanken. Man merkt den Texten an, wie sehr die Person mit diesen Vorfällen heute noch zu kämpfen hat, was sie immer noch zu verarbeiten hat. Das hat mich daran sehr fasziniert.
Stefanie: Bei Lucilles Text sind die Gegensätze sehr krass. In einem Satz beschreibt sie die Schönheit der blauen Augen ihres Vaters und wie lieb er immer zu ihr war, und im nächsten beschreibt sie schon, wie er von den Nazis verschleppt wurde und sie ihn nie wieder gesehen hat. Und dann gibt es die Stelle, an der sie einen Nazi hätte erschießen können, hinterher, als Deutschland befreit war, wie die Pistole vor ihr auf dem Tisch liegt – und sie sich dann entschließt, es nicht zu tun. Diese Größe muss man erst mal haben! Mir ging es beim Lesen auch so, dass ich immer dachte: Das kann doch nicht wahr sein. Dass sie das alles erlebt hat. Im nächsten Herbst soll Lucille Eichengreen das erste Mal seit ihrer Auswanderung in die USA wieder nach Deutschland kommen. Wahrscheinlich werde ich die Chance haben, sie dann zu treffen. Das würde mich wahnsinnig freuen.
Wie waren die Aufnahmen? War es schwierig, die Texte zu lesen?
Stefanie: Es war wirklich nicht leicht! Ich musste ja mit meiner Stimme verschiedene Rollen, verschiedene Tonfälle klar machen, das habe ich ja noch nie vorher gemacht. Und dreieinhalb Stunden durchgängig laut zu lesen, das geht auch auf die Stimmbänder. Aber ich wollte ja auch große Teile am Stück aufnehmen, nicht ständig unterbrechen, das trägt auch zur Atmosphäre der Aufnahme bei.
Andreas: Bei den Gedichten musste ich oft mehrfach ansetzen, bis ich das Gefühl hatte, den richtigen Ton getroffen zu haben. Auch diese Aufnahmen gingen rund drei Stunden lang.
Ist Rechtsextremismus ein Thema, das auch in einem Song verarbeiten werden kann?
Stefanie: Wir schreiben Lieder aus dem Bauch heraus, über Dinge, die uns beschäftigen. Deshalb haben wir ja schon einen Song dazu geschrieben, „In Zeiten wie diesen“: Da geht es darum, zum Nachdenken anzuregen: Sind wir auf der Welt, um Nazis zu sein, uns gegenseitig zu erschießen, in Hochhäuser hineinzufliegen? Es geht auch darum, klarzumachen, dass das alles im Kleinen schon anfängt, wenn ich morgens in die Bahn steige und jemand anmache, nur weil er eine komische Frisur hat.
Was meint Ihr, was würde helfen, um Rechtsextremismus zu bekämpfen?
Andreas: Man muss bei der Jugend ansetzen, die sind offen, auch für die Falschen. Wer Fußballturniere anbietet, Jugendclubs aufmacht, auf Schulhöfen auf Leute zugeht, der macht die Kids aufmerksam und kann sie an seine Ideen heranführen – fatal, wenn das wie derzeit mancherorts nur die Rechtsextremen sind! Deshalb muss es für nicht-rechte Jugendliche Angebote geben, Jugendclubs, Orte wo sie hingehen können. In Bautzen allerdings ist gerade das Jugendhaus für die Kinder bis 14 Jahre geschlossen worden. Wenn man Pech hat, suchen sich die Jugendlichen dann die falschen neuen Gruppen aus. Und ich würde mir wünschen, dass im Unterricht nicht nur historisch über Nationalsozialismus gesprochen wird, sondern ganz konkret über heutige rechtsextreme Parteien und ihre Ideologie. Wenn jemand menschenverachtend und rassistisch ist, muss man nämlich auch mal offen sagen, dass das schlecht ist, und nicht sagen: Das ist Demokratie, die gehören dazu.
Zur Hörbuch-Edition „Laut gegen Nazis“ (Universal / Deutsche Grammophon) gehören drei Doppel-CDs, auf denen u.a. Smudo, Peter Lohmeyer, Jo Brauner oder Noah Sow Texte Überlebender des Nationalsozialismus lesen. Eine Doppel-CD kostet 14,99 Euro.
Mehr im Internet:
www.lautgegennazis.de
www.silbermond.de
Das Gespräch führte Simone Rafael. Copyright: www.mut-gegen-rechte-gewalt.de . Foto: H.Kulick