Christine Hewicker war in den 70er Jahren militante Rechtsextremistin. Heute engagiert sie sich gegen ihre frühere Szene. Im Interview erzählt sie, was sie an Neonazismus fasziniert hat - und wie sie davon losgekommen ist. 1973, mit 14 Jahren, fing Christine Hewicker an, sich in der NPD zu engagieren, wurde Aktivistin bei der NPD-Jugendorganisation "Junge Nationalisten". Sie befreundete sich mit den Neonazi-Führern Christian Worch und Michael Kühnen und gehörte zu deren Neonazi-Gruppierung "Aktionsfront Nationaler Sozialisten" (ANS), mit denen ihre kriminelle Karriere begann (Sprühaktionen, verfassungsfeindliche Flugblätter, Schändungen jüdischer Friedhöfe). 1981 war Hewicker an einem Banküberfall beteiligt, mit dessen Beute ein Sprengstoffanschlag auf einen US-Militärstützpunkt finanziert werden sollte. Für den Überfall wurde sie 1983 zu einer sechsjährigen Gefängnisstrafe verurteilt.
Während der Haft sagte sich Hewicker vom Rechtsextremismus los, trennte sich von ihrem Umfeld und fing in Süddeutschland ein "neues Leben" an. Sie heiratete, bekam Kinder, arbeitete wieder als Verkäuferin. Nach Jahren des Schweigens hat die heute 44-jährige Aussteigerin ihre Erfahrungen in einer Autobiographie verarbeitet und spricht vor Schulklassen über ihre Leben, um sie vor rechtsextremer Ideologie zu warnen. Im Foto möchte sie geblendet gezeigt werden, um ihre Kinder nicht zu gefährden, da ihr Engagement mit Drohungen beantwortet wurde. Mit Christine Hewicker sprach Simone Rafael.Sie sind mit 14 Jahren mit rechtsextremen Ideen in Kontakt gekommen. Was hat Sie fasziniert?
Das war damals wenig politisch motiviert. Es ging mehr um den Zusammenhalt, um das "Dazugehören". Ich wohnte in einem Dorf in Niedersachsen, dort war die Jugendarbeit der NPD das einzige, was es gab: Erst Lagerfeuer, Zeltlager, dann kamen Aktionen dazu: Flugblätter verteilen in der Fußgängerzone etwa. Dabei fühlte ich mich wichtig.
Sind Sie bei solchen öffentlichen Aktionen nie auf Widerstand gestoßen?
Damals, in den siebziger Jahren, war das ganze Dorf entweder unpolitisch oder rechts eingestellt. Eine rechte Meinung hatte dort ein hohes Ansehen. Ich habe nicht die Erfahrung gemacht, dass es nicht richtig sein könnte.
Welche der politischen Ideen haben Sie angesprochen?
Die Ausländerfrage war so ein Thema, das die NPD etwas dagegen tun wollte, dass das "Fremde" in unser Leben kommt. Außerdem hat mich die Haltung überzeugt, die BRD in ihren damaligen Grenzen nicht zu akzeptieren. Ich hatte Verwandte im Osten, und durch die Grenze fühlte ich mich sehr eingeengt.
Wohnten Sie an der Grenze, haben Sie sie täglich gesehen?
Nein, aber wir sind manchmal hingefahren.
Wie haben Ihre Eltern, Freunde reagiert?
Meine Eltern haben getobt und geschimpft, aber nie begründet, warum sie gegen meine rechte Einstellung waren. Meine Reaktion war typisch Teenager: Jetzt erst recht! Meine Freundinnen außerhalb der Szene haben nichts dazu gesagt.
Hat es Sie als Frau nie gestört, dass Ihre "Kameraden" ein sehr reaktionäres Frauenbild vertreten?
Ich war ein sehr selbstbewusster Dickkopf, ich wollte dazugehören, und ich habe dafür gesorgt, dass ich akzeptiert wurde und dieses Frauenbild für mich nicht gegolten hat. Dass sie es propagierten, habe ich es einfach ignoriert.
Bis 1976 haben Sie also mehr mit Stammtisch-Rechtspopulismus zu tun gehabt. Sie waren aber mit den Neonazi-Führern Christian Worch und Michael Kühnen befreundet und schlossen sich, als diese aus der NPD geworfen wurden, ihrer Vereingung "Aktionsfront Nationaler Sozialisten" (ANS) an. Hier wurde offen Neonazismus propagiert. Das hat Sie überzeugt?
Ich bin ihnen gefolgt, weil ich sie menschlich mochte, nicht wegen ihrer politischen Ansichten. Ich mochte ihre zielstrebige Art. Und sie waren beide intelligent, nicht wie die meisten Rechten. Ich habe sie wohl bewundert. Die beiden sahen mich als gleichberechtigt an, dass hat mir geschmeichelt.Nichts desto trotz – es wurden ja klare politische Aussagen gemacht. Ich habe gedacht, wenn so intelligente Leute wie Worch und Kühnen das richtig finden, kann’s nicht verkehrt sein. Ja, ich hatte damals auch das Gefühl, dass Ausländer und Juden minderwertig sind. Was das heißt, was ich da sage – darüber habe ich zu wenig nachgedacht. Darüber habe ich gar nicht nachgedacht. Auch zu ANS-Zeiten ging es mir weniger um Politik als um das Gruppengefühl. Da waren wir ja schon eine Randgruppe, deren Mitglieder immer wieder wegen Randale und Prozessen in der Zeitung standen. Das gab uns das gute Gefühl: Wir sind was anderes als die Masse.
Über die politische Dimension haben Sie nicht nachgedacht, Verhaftungen gaben Ihnen ein gutes Gefühl?
Ja, das ist furchtbar, nicht wahr? Mit 17, 18 Jahren habe ich angefangen, mein Leben kaputt zu machen. Ich wollte immer im Mittelpunkt sein, war bei jeder Sprühaktion, bei jedem Verteilen von Flugblättern mit strafbaren Inhalten dabei. Verhaftungen waren an der Tagesordnung, dann ging es auch mit Gefängnisstrafen los. Meinen Job hab ich dann natürlich verloren.
Das hat Sie nicht zum Nachdenken gebracht?
Ach was, das passte ja alles ins Bild: Wir wollten provozieren. Wenn wir verhaftet wurden, hatten wir das Gefühl, etwas Besonderes zu sein. Das Gefühl: Ich trage ein Geheimnis. Ich bin interessant. Auf der anderen Seite war es wie ein Strudel: Nach Verhaftungen dachten wir, da sieht man ja, hier in diesem Staat kann man nicht frei leben. Es ist also richtig, ihn zu bekämpfen. Wir haben die Demokratie ja nicht anerkannt, fühlten uns berufen, das deutsche Volk von den Besatzermächten zu befreien. Daran, dass sich Menschen bedroht oder verletzt gefühlt haben, wenn wir Hakenkreuze in der Stadt oder auf jüdischen Friedhöfen gesprüht haben, habe ich nie gedacht.
Das klingt erschreckend irrational, und so, als ob man Sie mit Logik oder Argumenten nicht mehr hätte erreichen können.
Das stimmt. Es ist furchtbar schwer, Menschen zu erreichen, die richtig tief in der rechten Szene drin sind. Die Ablehnung der Außenwelt wird in die Argumentation integriert. Ich kann eigentlich nur sagen, was nichts bringt: Toben, Schreien, Verbieten. Man kann nur immer wieder versuchen zu reden, durchzudringen. Wenn meine Kinder Anzeichen zeigen würden, würde ich versuchen, mit ihnen zu reden.
Heute engagieren Sie sich gegen Rechtsextremismus, sprechen als Warnung vor Schulklassen über ihre Vergangenheit. Etwas hat Sie also zum Umdenken gebracht. Was?
Ehrlich gesagt, es gab nicht DAS Erlebnis. Es gab kleine, etwa, als ich im Gefängnis die erste Jüdin kennenlernte und feststellte, dass sie ein Mensch ist wie ich. Ich hab die ganze Zeit Menschen gehasst, die ich gar nicht kannte – das funktionierte natürlich auch nur so. Mit 24 Jahren wurde ich wegen eines Banküberfalls und eines geplanten Sprengstoffattentats auf ein US-Stützpunkt zu sechs Jahren Gefängnis verurteilt. Die ersten 14 Monate davon habe ich in Isolationshaft verbracht.
Dort haben Sie nachgedacht?
Ach was. Da habe ich in meiner Zelle gesessen und mich immer tiefer in den Hass hineingesteigert: Auf die Polizisten, die Richter, die Aufseher. Dann ist mir ein neuer Richter zugeteilt worden, für die Haftprüfung. Der hat mich gekriegt. Er sprach mich als Mensch an, hat mir klargemacht, dass ich mich einfach menschlich nicht korrekt verhalte. Ich habe angefangen, an mir selbst zu zweifeln. Und an der politischen Überzeugung. Das war eine harte Zeit, als ich vom Nationalroboter wieder zum Menschen wurde.
Was war daran so schwer?
Es war sehr hart, plötzlich festzustellen, dass ich in meinem bisherigen Leben alles falsch gemacht hatte. Zu realisieren, wie viele Menschen ich mit meinem Verhalten verletzt habe. Dass ich mein Leben weggeworfen habe für eine so idiotische Ideologie. Und zu realisieren: Auch wenn ich mich ändere, ich werde das nie mehr los. Mich vom Neonazismus zu trennen, hieß außerdem, mich von meinem damaligen Mann und allen meinen Freunden zu trennen. Als ich mich habe scheiden lassen, bekam ich Drohbriefe.
Was hat Ihnen in der Zeit geholfen?
Das es Menschen gab, die für mich da waren: Der Richter, außerdem eine Schauspielerin, die im Gefängnis eine Theatergruppe leitete, meine Bewährungshelferin. Es war für mich unendlich wichtig, dass ich Hilfe von außen bekommen habe. Allein schafft man das nicht.
Heute sprechen Sie über Ihre Zeit als Rechtsextreme, haben ein Buch geschrieben. Warum?
Als ich mit 26 Jahren aus dem Gefängnis kam, wollte ich alles nur hinter mir lassen. Ich bin in Süddeutschland geblieben, habe meinen jetzigen Mann kennengelernt, zwei Kinder bekommen – und geschwiegen. Dann wurde meine Tochter 14 Jahre alt, so alt wie ich, als ich in die Szene geriet. Da wurde mir bewusst, dass ich mit meiner Erfahrung Jugendliche warnen muss, ihr Leben nicht für diese schreckliche Ideologie wegzuwerfen. Sie zu warnen, wie weit man sich verrennen kann, wie sehr man sein Leben und das anderer kaputt macht und wie schwer es ist, davon wieder loszukommen.
Etliche ehemalige Kameraden von Ihnen sind noch aktiv. Was empfinden Sie dazu?
Mich macht das immer fassungslos, das sind noch die Alten, die gleichen alten Führer – und auch, dass diese Kinderfänger immer wieder aus dem Gefängnis kommen und eine neue Chance kriegen. Ich empfinde heute eine kalte Wut auf Leute wie Christian Worch, die immer noch in der Szene herumlaufen und Jugendliche aufstacheln. Mit den Jugendlichen empfinde ich eigentlich fast Mitleid. Ich sehe mir das an und denke mir: Wie kann man nur so blöd sein. Dabei sollte ich es wissen. Ich war ja selbst so blöd. Das werde ich mir selbst nie verzeihen können.
Mehr zum Thema:
Christine Hewicker: Die Aussteigerin. Autobiografie einer ehemaligen Rechtsextremistin. Igel-Verlag Oldenburg 2002, ISBN 3 - 89621 - 144 - 7
Copyright: www.mut-gegen-rechte-gewalt.de - 23.11.2006. Foto: H.Kulick