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Braune Traditionen in Niedersachsen


Die NPD erzielt bei den Juniorwahlen an einer „Schule ohne Rassismus“ 14 Prozent. Was sind die Gründe und wie reagiert die Schule darauf?

Von Besra (20), Zozan (19) und Daniel (18), zuerst erschienen in Q-Rage 6/2010


Im Jahr 2010 rief das Kultusministerium in Niedersachsen alle Schulen zu „Juniorwahlen“ auf. Wie bei einer richtigen Wahl sollten die SchülerInnen geheim abstimmen. Die rechtsextreme NPD kam dabei auf durchschnittlich 5,4 Prozent. Aber ausgerechnet an den Berufsbildenden Schulen (BBS) Walsrode, die seit 2007 den Titel „Schule ohne Rassismus – Schule mit Courage“ tragen, erzielte sie deutlich mehr Stimmen: 13,6 Prozent. Die NPD wurde damit viertstärkste Partei – noch vor der FDP und der Linkspartei.

Einige Lehrer taten das Ergebnis als „dummen Scherz“ ab. Und meinten: Rechtsextremismus? Nicht bei uns! Walsrode ist schließlich eine idyllische Kleinstadt im Herzen Niedersachsens. Traktoren gehören zum Straßenbild, Güllegeruch liegt in der Luft. Und die Lokalzeitung berichtet jeden Dienstag ausführlich über die 1. Kreisklasse. Pünktlich um Mitternacht werden die Straßenlaternen abgeschaltet. Aber wieso sollten so viele Schüler aus „Spaß“ eine neonazistische Partei wählen?

Das Wahlergebnis war kein Ausrutscher. Bereits zwei Jahre zuvor, bei der Juniorwahl 2008, kam die NPD auf 13,3 Prozent. Die Berufsbildenden Schulen Walsrode sind etwas Besonderes. An der Schule kann jeder Abschluss nachgeholt werden. Auszubildende besuchen sie ein bis drei Tage pro Woche. Das Abitur kann in den Fachrichtungen Gesundheit und Soziales, Technik und Wirtschaft gemacht werden. Jugendliche im Alter von 15 bis 25 Jahren gehen auf die Schule. Sie wohnen zumeist in den Dörfern der Umgebung. Wer sich ein wenig mit ihrer Geschichte befasst, der ist über die Wahlergebnisse der Juniorwahlen nicht mehr so überrascht. In den ländlichen Regionen Niedersachsens gibt es bis heute lebendige braune Traditionen. Bereits in den frühen 20er-Jahren war hier rechtsextremes Gedankengut weit verbreitet. Als sich die wirtschaftliche Lage für die Bauern dramatisch verschlechterte und sie um ihre Existenz fürchten mussten, radikalisierten sich viele und wählten die NSDAP, die Partei Adolf Hitlers. Bei den Märzwahlen 1933 erhielt die NSDAP in der Region Osthannover über 54 Prozent der Stimmen, zehn Prozent mehr als im Durchschnitt des Landes. Ein weiterer Faktor für das gute Abschneiden der Nazis war die traditionell protestantische Prägung Niedersachsens. Aus wissenschaftlichen Studien weiß man, dass Protestanten in ländlichen Gegenden damals durchschnittlich doppelt so häufig NSDAP wählten wie Katholiken.

Bis heute gibt es hier eine starke Präsenz rechtsextremer Gruppen. Besonders aktiv und bekannt sind die „Snevern-Jungs“ – eine Gruppe militanter Neonazis, eine so genannte Kameradschaft. Sie engagieren sich in sozialen Projekten, beim Blutspenden oder bei Volksläufen – und sind eng mit der NPD verbunden. „Die rechtsextreme Szene, gerade auch im Kreis Soltau-Fallingbostel, erhält steten Zulauf. Die Neonazis sind sehr geschickt im Umgang mit Jugendlichen“, so die Sozialwissenschaftlerin Regina Karsch, die sich seit langem mit der rechtsextremen Szene befasst.

Auch in Walsrode sind Neonazis aktiv. Regelmäßig werden deshalb Aktionen gegen Rechtsextremismus organisiert. Die Neonazis reagieren darauf heftig. So wurden, kurz nachdem die SOR-AG an der Schule 2006 auf dem Schulhof „Rote Karten gegen rechts“ verteilt hatte, auf Fenster und Außenwände der Schule zahlreiche Nazi-Symbole gesprayt.

Doch die SchülerInnen gaben nicht auf und organisierten unter dem Motto „Schule ohne Rassismus–Schule mit Courage“ ein Konzert mit der neuseeländischen Band „Red Rain“ gegen den rechtsextremen Vandalismus. Aber nicht nur die BBS Walsrode, sondern auch das Jugend- und Kulturzentrum („Juze“) in Walsrode war mehrfach rechtsextremen Angriffen ausgesetzt. So zum Beispiel 2006, als Nazis in Reaktion auf eine Antifa-Veranstaltung Scheiben zerschlugen; und so auch am 8. Mai 2010, als in einer verspäteten Reaktion auf den „Zug-der-Erinnerung auf der Heidebahn“ nahezu alle Scheiben des „Juze“ zerstört wurden. Auf eine Außenwand sprühten Unbekannte: „Jetzt kommt unser Zug“. Eine widerwärtige Anspielung auf den „Zug der Erinnerung“, eine „rollende Ausstellung“ durch Deutschland und Polen. Sie informiert über die Deportation von mehreren hunderttausend Kindern aus Deutschland und dem übrigen Europa mit der damaligen Reichsbahn in die nationalsozialistischen Konzentrations- und Vernichtungslager. „Zug-der- Erinnerung auf der Heidebahn“ war unter Beteiligung der BBS und weiterer Schulen der Umgebung organisiert worden.

Auch an der bekannten Aktion „Stolpersteine“ beteiligte sich die BBS. Gemeinsam mit zwei anderen Schulen wurden in der Innenstadt von Walsrode drei Gedenksteine verlegt. Sie sind jeweils einem während des Nationalsozialismus ermordeten jüdischen Bürger gewidmet. An der BBS selbst stellt eine von SchülerInnen entworfene und an einer Wand in der Nähe des Haupteingangs angebrachte Gedenktafel in Form eines Davidsterns die Verbindung zur Aktion her. Die Walsroder lassen sich von den Neonazis nicht einschüchtern. Die SchülerInnen setzen sich mit vielfältigen Aktionen zur Wehr. An der „Schule ohne Rassismus – Schule mit Courage“ wird engagiert gegen Rassismus und Diskriminierung gekämpft. Dieser Titel sollte nicht wie ein TÜV-Siegel gesehen werden, sondern als Zeichen für diesen Kampf. Und 13,6 Prozent Unterstützung für die NPD in einer Gegend, die geprägt ist von einer schlimmen Tradition, sind ein Zeichen dafür, dass noch weiter gekämpft werden muss. Aber nicht dafür, dass an der Schule weggeschaut wird.

Foto: von glocksee via Flickr, cc
 

Schule ohne Rassismus - Schule mit Courage