Das Portal
für Engagement
Ein Projekt des Magazins stern und der Amadeu Antonio Stiftung
Familienministerin Kristina Schröder fordert, dass Initiativen, die Geld aus staatlichen Programmen gegen Rechtsextremismus erhalten, künftig einen Treueeid zur Verfassung ablegen sollen. Die Forderung ist so umstritten wie die Programme selbst.
von Mathias Berek und Moritz Wichmann, erschienen in der Jungle World
„Es stellt sich ja immer die Effizienzfrage“, sagt Barbara John auf dem Podium der „Ergebniskonferenz“ Ende Oktober. Hier soll erörtert werden, was die Bundesprogramme „Vielfalt tut gut“ und „Kompetent für Demokratie“ erreicht haben. „Ist die Sache das Geld wert?“ Das zu beantworten ist nicht leicht: „Wir können eigentlich nicht mit Fakten untermauern, dass das, was wir uns wünschen, dabei herauskommt.“ Man habe „Hoffnungen, begründete Vermutungen“, sagt die Vorsitzende des Paritätischen Wohlfahrtsverbandes. Sieht man sich den finanziellen Rahmen, die Strukturen und Konzepte der Programme genauer an, erscheint die von John geäußerte Hoffnung recht optimistisch.
Das liegt schon daran, dass die Bundesregierung immer weniger Geld für die Programme gegen Rechts ausgibt. Anfang 2001 nahm unter der rot-grünen Bundesregierung das Programm „Jugend für Toleranz und Demokratie“ seine Arbeit auf, das in drei Förderbereiche gegliedert war. „Xenos“, ausgestattet mit 75 Millionen Euro, sollte sich der „Förderung gegenseitigen Verständnisses, des gemeinsamen Lernens und Arbeitens von deutschen und ausländischen Jugendlichen und Erwachsenen“ widmen. Ziel war die Bekämpfung von „Fremdenfeindlichkeit in Betrieben, Verbänden und Schulen“. Der Förderbereich „Entimom“ sollte 65 Millionen Euro an Modellprojekte „gegen Gewalt und Rechtsextremismus“ verteilen. „Civitas“ schließlich, das mit 52 Millionen Euro ausgestattet war, förderte Initiativen in den östlichen Bundesländern und Berlin, die sich gegen Nazis und für Demokratie engagierten. In jenen sechs Jahren wurden in Ostdeutschland immerhin bedeutende Programme gegen Rechts ins Leben gerufen, unter anderem viele der Mobilen Beratungsteams und Opferberatungen.“
Als die Bundesprogramme im Jahr 2006 ausliefen, regierte jedoch mittlerweile die große Koalition. Und die Christdemokraten waren nicht bereit, die Förderung gegen Rechts im selben Rahmen mitzutragen. Als Ergebnis der Verhandlungen laufen seit Anfang 2007 die Nachfolgeprogramme „Vielfalt tut gut – Jugend für Vielfalt, Toleranz und Demokratie“ und „Kompetent für Demokratie – Beratungsnetzwerke gegen Rechtsextremismus“. Die Fördersumme sank von 32 auf 29 Millionen, seit 2008 sogar auf 24 Millionen Euro pro Jahr. 2007 wurden alle Programme, die ursprünglich auf die neuen Bundesländer begrenzt waren, auch auf die alten Bundesländer ausgedehnt – angesichts der gesunkenen Gesamtsumme entsprach das einer massiven Kürzung der Mittel.
Dominique John von Opferperspektive Brandenburg e.V., der an der „Ergebniskonferenz“ teilnimmt, fragt sich deshalb, welchen Stellenwert die Opferberatungen, die sich um Opfer rechter Gewalt kümmern, in Zukunft haben werden. Zwar hofft er, dass die bestehenden Beratungen weiter durch Bundesprogramme gefördert werden. „Aber auf keinen Fall wird es einen Ausbau geben, obwohl der dringend nötig wäre.“ Der Bürgermeister von Verden, Lutz Brockmann (SPD), ist dagegen „erst einmal dankbar, dass es überhaupt weitergeht mit der Bundesförderung“. Ohne die wäre „viel kaputt gegangen“. Denn die Kommunen sind selten in der Lage, Projekte weiter zu finanzieren, die keine Bundesmittel mehr erhalten.
Früher oder später läuft die Förderung für alle Projekte aus, denn der Bund finanziert prinzipiell nur Modellprojekte. Projekte, deren Konzepte nicht erst erprobt werden, sondern bereits erfolgreich laufen, müssen sich an die Länder oder Kommunen wenden, auch wenn Wilhelm Heitmeyer, der mit der wissenschaftlichen Evaluation der Programme beauftragt war, bereits 2006 mahnte, dass „im Rahmen einer Förderstruktur, die keine Kontinuität zulässt, eine fachgerechte Auseinandersetzung mit dem Rechtsextremismusproblem nicht gelingen“ könne.
Ulla Schobert, die als Vorsitzende des Kulturausschusses des Landkreises Verden an der Konferenz teilnimmt, betont, dass es zudem sehr schwierig sei, Fördermittel aus dem Bundesprogramm zu beantragen. „Bei uns waren das die Jugendlichen, die zuerst auf die Problematik des Rechtsextremismus hingewiesen haben und die auch als erste die Opfer wurden – und diese Jugendlichen können niemals solch ein Projekt auf die Beine stellen, dazu ist die Förderung zu kompliziert.“ Richard Hartmann vom Ministerium für Bildung Wissenschaft, Jugend und Kultur in Rheinland-Pfalz, fordert, man müsse „diskutieren, wie wir von Projektitis wegkommen“. Als Vertreter eines Bundeslandes betont er die Verantwortung des Bundes. „Rechtsextremismus ist nicht nur ein lokales Phänomen.“ Dessen ungeachtet wurden im Programm „Vielfalt tut gut“ „Lokale Aktionspläne“ integriert. Jedes dieser Projekt darf maximal zwölf Monate laufen und höchstens mit 20 000 Euro gefördert werden.
Zudem können seit 2007 nur die Kommunen Anträge auf Förderung solcher Aktionspläne stellen. Damit entscheiden ausgerechnet diejenigen, die die heimischen Probleme mit Neonazis oft genug leugnen, über die Antragstellung. Denn anders als es die Programme vom Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend suggerieren, sind extrem rechte Einstellung weder ein Rand- noch ein reines Jugendphänomen. Rudi Pahnke vom Projekt „Dreisprung in die Zukunft“, das Seminare anbietet, an denen Schüler, Lehrer und auch Bürgermeister teilnehmen, berichtet von einem Seminarwochenende in einem südbrandenburgischen Ort: „Das Problem waren nicht die Schüler, sondern die Bürgermeister und die Lehrer. Die hatten Sprüche drauf, an denen wir wirklich zu schlucken hatten.“
Die im Programm „Kompetent für Demokratie“ integrierten mobilen Beratungsteams, die Behörden und anderen lokale Akteure bei Problemen mit Nazi-Aktivitäten beraten, haben mittlerweile eine Art Nothelferfunktion übernommen. Statt präventiv zu arbeiten, arbeiten sie als „Interventionsteams“. „Externe Kräfte werden dann an den Ort des Unglücks geflogen, um dort abzuspringen“, sagt der Sozialarbeiter Sascha Quäck von der Landesarbeitsgemeinschaft Mobile Jugendarbeit – Streetwork Brandenburg e.V. „Wenn man tiefer in den ländlichen Raum vordringt, gibt es dort oft nur noch eine Person, die Jugendarbeit auf dem Schirm hat.“ Oft träfen die „Interventionsteams“ dort auf Kolleginnen, „die 20 bis 30 Jugendräume zu betreuen haben“. In diesem Rahmen sei meist keine inhaltliche Arbeit mehr möglich. Was tun, wenn sich dort rechte Jugendliche durchsetzen? „Im schlimmsten Fall mussten wir Kolleginnen empfehlen, die Jugendräume einfach zu sperren. Das ist nicht schick, das ist Schadensbegrenzung.“
Familienministerin Kristina Schröder, der die Programme unterstehen, ist aber offenbar weniger über die Tatsache besorgt, dass man überhaupt „Interventionsteams“ in die Peripherie ausschicken muss, um zu verhindern, dass Nazis Jugendräume kapern, sondern vielmehr darüber, dass die Projektgelder an Organisationen geraten könnten, die nicht nur Nazis kritisieren. Das ist jedoch nicht ihre Erfindung. Schon mit der Erweiterung der Programme auf die westlichen Bundesländer unter der großen Koalition wurden von Anfang an die Landeskriminalämter und der Verfassungsschutz eingebunden. Welche Konsequenzen das hat, zeigt das Beispiel der Antifaschistischen Informations-, Dokumentations- und Archivstelle München (Aida). Diese wurde auf Betreiben des bayrischen Innenministeriums aus der Landeskoordinierungsstelle ausgeschlossen, die über die Mittelvergabe entscheidet. Der Grund: Sie wurde im Verfassungschutzbericht 2008 als „linksextrem“ eingestuft. Im September untersagte der bayrische Verwaltungsgerichtshof zwar dem Verfassungsschutz, Aida im Bericht weiter als linksextrem zu bezeichnen. Der Innenminister beharrt aber weiter auf dieser Einschätzung. Aida steht mittlerweile vor dem Problem, dass sich immer mehr Projekte und Institutionen aufgrund der Stigmatisierung nicht mehr trauen, mit ihr zusammenzuarbeiten.
Mit dem konservativ-liberalen Wahlsieg im vergangenen Jahr hat sich die Situation weiter verschlechtert. Kristina Schröder ließ keine Gelegenheit aus, eine Ergänzung der Programme „gegen Rechtsextremismus“ durch Programme gegen „Linksextremismus“ zu fordern. Das Programm „Demokratie stärken“ soll sich nun gegen „Linksextremismus“, religiösen Fundamentalismus und „Ultranationalismus“ unter Jugendlichen richten, und wurde hierfür mit mit fünf Millionen Euro ausgestattet. Wofür diese ausgegeben werden sollen, ist noch unklar. Von den zwei Millionen, die Schröder im laufenden Jahr dem Programm zur Verfügung gestellt hatte, fanden bisher gerade einmal 400.000 Euro Verwendung. Das mag unter anderem daran liegen, dass es keine allgemein anerkannte Definition von „Linksextremismus“ gibt.
Schröders simple Extremismustheorie hat auch Auswirkungen auf die Programme gegen Rechts. Denn wenn es nach ihr geht, sollen alle Projekte nun eine Erklärung unterschreiben, dass nicht nur sie sich dem Grundgesetz verpflichten, sondern auch alle ihre Kooperationspartner nicht einmal den „Anschein“ erwecken dürfen, extremistisch zu sein. „Wer würde denn allen Ernstes einem bekennenden Pyromanen ein Feuerzeug in die Hand drücken, nur weil der sich auch bei der freiwilligen Feuerwehr engagiert?“ fragte Schröder.
Auf der „Ergebniskonferenz“ bewerten viele das Extremismusverdikt der Ministerin eher kritisch. Ein Mitarbeiter des Jugendamtes Halle betont, die politische Bildungsarbeit sei „generell der Förderung von Demokratie verpflichtet“. „Ich denke, die meisten haben überhaupt kein Problem damit, so einen Satz zu unterschreiben, aber warum soll man das eigentlich tun?“ In den Forderungen Schröders, sich von Linksextremismus zu distanzieren, sieht er eher die Gefahr einer Pauschalverurteilung. Bürgermeister Lutz Brockmann warnt, man solle nicht „linke Demokraten zu Linksextremen machen“. Dennoch besteht die Gefahr, dass die Schrödersche Gesinnungsprüfung die Zusammenarbeit mit Antifagruppen verhindert, wie etwa Grit Hannefort vom Kulturbüro Dresden in der Taz kritisierte. Auch ein Positionspapier der Grünen-Abgeordneten Astrid Rothe-Beinlich, Monika Lazar und Sven-Christian Kindler kritisiert die „Gleichsetzungslogik von Rechts- und Linksextremismus“. Zudem blende der Extremismusbegriff aus, „dass menschenverachtende und antidemokratische Einstellungen ein gesamtgesellschaftliches Problem darstellen, das nicht nur an den vermeintlichen Rändern unserer Gesellschaft auftritt“.
Auch wenn der Begriff Rechtsextremismus mangels alternativer Termini anschließend meist beibehalten wird, wird die unter anderen von der „Initiative gegen jeden Extremismusbegriff“ (Inex) angestoßene Debatte um den Extremismus-Ansatz (vgl. Jungle World 13ff/2010) in der Linken und Teilen der Öffentlichkeit intensiv geführt. Dennoch dürften sich viele Initiativen an die theoretischen Vorgaben des Bundes anpassen – oder haben es bereits getan. Wenn es die Wahrscheinlichkeit erhöht, Fördergelder zu erhalten, dürften viele Projekte, die sich primär gegen Rechts wenden, das Extremismus-Vokabular Schröders in ihre Anträge übernehmen und künftig zumindest auf dem Papier auch gegen Linksextremismus kämpfen. Linke Antifa-Initiativen sehen sich dagegen aus der staatlich anerkannten Arbeit gegen Rechts ausgeschlossen. Auf dem „Manometer-Familientreffen“ antifaschistischer Bildungsprojekte vor zwei Wochen wurde bereits die Forderung laut, die Initiativen müssten angesichts des Anpassungsdrucks und der Entsolidarisierung wieder zur radikalen Gesellschaftskritik zurückfinden.
Foto: von Fundraisingnetz via Flickr, cc