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Mit schwarzen Fahnen "trauern" die Neonazis
Im niedersächsischen Kurort Bad Nenndorf (Kreis Schaumburg) sind am Sonnabend rund 700 Neonazis aufmarschiert. Die Teilnehmerzahlen der alljährlichen „Trauermärsche“ zeigen, dass sich die Kleinstadt zum Wallfahrtsort der Rechtsradikalen entwickelt hat. Erstmals regte sich jedoch zivilgesellschaftlicher Protest gegen die Geschichtsfälscher.
Von Tobias Korn, indi-rex
Es war der größte Neonazi-Aufmarsch in Norddeutschland in diesem Jahr. Mehr als 700 Rechte marschierten vom Bahnhof zum „Wincklerbad“. In dem Bad, das 1945 bis 1947 britisches Militärgefängnis war, wurden einige Inhaftierte gefoltert. Unter den Insassen war auch SS-General Oswald Pohl, der als „Verwalter der Konzentrationslager“ gilt. 2006 hat eine britische Zeitung die Misshandlungen, die 1947 zur Schließung des Gefängnisses geführt hatten, neu aufgerollt. Dies nahmen die Schaumburger Neonazis auf, marschierten dort im ersten Jahr mehrmals auf und begannen, den „Trauermarsch“ zu einer bundesweit bedeutenden Demo zu machen.
Die Geschichtsverdreher sehen die alliierten Befreier als "Besatzer"
Versammlungsleiter Christian Müller, der auch im vergangenen Jahr für den Aufmarsch verantwortlich war, konnte gegen 15 Uhr mit einem Ersatzfahrzeug die Demonstration starten. Müller, der offenbar inzwischen in Sachsen gemeldet ist, übernahm nach dem Haftantritt des Anmelders und Initiator der „Trauermärsche“, Marcus Winter, die Organisation. Aufgrund des „verkehrsunsicheren Zustandes“ des Lautsprecherwagens verbot die Polizei dem Fahrer die Weiterfahrt und die Neonazis mussten sich einen LKW mieten.
Bis 2030 sind die jährlichen Neonazi-Demos durch den 10-000-Einwohner-Ort angemeldet. Zu den Mitinitiatoren zählt auch Thomas „Steiner“ Wulff. Der Neonazi-Kader hat mit dem „Ehrenkomitee 8. Mai“ dafür gesorgt, dass die Bedeutung des Aufmarsches weiter zunimmt.
Neonazi Thomas "Steiner" Wulff (links) und Kameradschaftsführer
Matthias Behrens (NPD)
Protest gegen Neonazis
An einer Gegendemonstration des Deutschen Gewerkschaftsbundes (DGB) beteiligten sich am Sonnabend über 1000 Menschen. Aufgerufen dazu hatte das Bündnis „Bad Nenndorf ist bunt“. In den zurückliegenden Jahren – seit 2006 marschieren die Neonazis zum sogenannten „Trauermarsch“ auf – hatte es kaum Widerstand in der Bevölkerung gegeben.
Zusätzlich zur Demo hatten rund 120 linke Nazigegner bereits ab 6 Uhr morgens versucht, das „Wincklerbad“ mit einer Beton-Pyramide zu blockieren. Erst nach mehr als sieben Stunden wurden sie von der Polizei geräumt. Dabei wurde eine Demonstrantin verletzt. Als die Neonazis vor dem „Wincklerbad“ aufmarschierten, protestierten vier Jugendliche auf dem Dach des Gebäudes, weitere Gegendemonstranten standen an den Polizei-Absperrungen.
Versammlungsleiter Christian Müller
Mit einer Verspätung von rund drei Stunden begann der neonazistische Aufmarsch. Im Vorfeld war die Polizei von einer Teilnehmerzahl bei dem „Trauermarsch“ von „500 plus X“ ausgegangen. Eine „große Gruppe gewaltbereiter Autonomer Nationalisten“ sei nach Polizeiangaben auf dem Weg zur Demonstration gewesen.
Über 700 Rechte marschieren
Rund 130 Neonazis verweigerten sich den Kontrollen, die zur Teilnahme an der Demo nötig waren. Diese Gruppe durfte nicht zu den „Kameraden“ auf dem Bahnhofsvorplatz. An hunderte andere Rechtsradikale verteilte die Polizei weiße T-Shirts, da die Rechten sonst gegen die Auflagen verstoßen hätten. Somit konnten mehr als 700 der knapp 900 angereisten Neonazis an dem Aufmarsch teilnehmen.
Die Neonazis marschieren alljährlich zum "Wincklerbad".
Zahlreiche Äpfel und Steine flogen während der rund dreistündigen Wartezeit vor dem Bad Nenndorfer Bahnhof auf anwesende Journalisten. Die Steineschmeißer wurden nicht festgenommen.
Aus weiten Teilen Niedersachsens reisten Neonazis an. Neben der „Kameradschaft Nordheim“ aus Südniedersachsen waren zahlreiche Rechte aus der Heide angereist. Auch die „Kameradschaft 73“ aus Celle war mit involviert. Besonders junge Rechte kamen aus Tostedt (Kreis Harburg). Unter den Rechtsradikalen aus Nordrhein-Westfalen waren vor allem die „Autonomen Nationalisten“ aus Dortmund um Dennis Giemsch, der auch als Redner auftrat, sowie Gruppierungen aus Ostwestfalen-Lippe. Auch der „Hildesheimer Widerstand“ um den Neonazi Dieter Riefling war mit einem Transparent vertreten. Zahlreiche Funktionäre der inzwischen verbotenen „Heimattreuen Deutschen Jugend“ marschierten unter dem Label „Die deutsche Jugend“ mit.
Die Neonazis bei einer Kundgebung nahe des "Wincklerbads"
Neonazis aus Dessau und anderen Teilen Sachsen-Anhalts waren ebenso wie Personen aus Thüringen anwesend. Selbst aus Schleswig-Holstein reisten die Demo-Teilnehmer an. Trotz des aktuellen Wahlkampfes trat die NPD nicht in Erscheinung. Zwar waren auch hochrangige Parteimitglieder vor Ort, jedoch lediglich solche, die für ihre guten Kontakte zu den „Freien Kräften“ bekannt sind.
Redner hetzen gegen Demokratie
Auch Geschichtsverdreher aus dem europäischen Ausland waren zum Aufmarsch angereist. Stellvertretend für den Chef der Niederländischen Volksunion, Constant Kusters, verlas Parteisekretär Christian Malcoci die Grußworte aus Holland. Kusters war im vergangenen Jahr nach seiner antisemitischen Hetzrede vor dem „Wincklerbad“ unter anderem wegen Volksverhetzung angezeigt worden.
Gegendemonstranten versuchten die Route der Neonazis zu blockieren
Vor dem „Wincklerbad“, dem ehemaligen britischen Gefängnis, sprachen Patrick Fischer aus Leipzig sowie Sven Skoda aus Düsseldorf. Dann ergriff Dennis Giemsch das Mikrofon. Auf der zweiten Kundgebung wurden „Grußbotschaften“ voller Hass aus Österreich und den Niederlanden verlesen. Andreas Biere von den „Freien Kräften“ aus Magdeburg sowie der sichtlich aufgeregte Christian Weißgerber aus Thüringen sprachen zu den „Trauernden“, die dann den Rückweg zum Bahnhof antraten. Offen sprachen sich die Redner für den Nationalsozialismus aus und hetzten gegen die Demokratie.
Eine Demonstrantin wurde bei der Räumung der Blockade verletzt
Ein Nazigegner wird von Beamten abgeführt
Nazi-Lied zum Abschluss
Einige Neonazis, darunter Inge Nottelmann aus Hamburg, begleiteten den „Trauermarsch“ mit Pauken. Diese kamen unter anderem auf dem Bahnhofsvorplatz zum Einsatz. Anschließend stimmten die Rechtsradikalen das Hitlerjugend-Lied „Ein junges Volk steht auf“ an, was sie auch ohne Störung beendeten. Dieses NS-Lied wird vom Verfassungsschutz mehrerer Bundesländer als strafrechtlich relevant eingeschätzt. Die Polizei schritt jedoch nicht ein.
Diese Reportage erschien zuerst auf der Website des Informationsdienstes Rechtsextremismus (indi-rex)
www.mut-gegen-rechte-gewalt.de / fst / Fotos: Tobias Korn (indi-rex)