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Neonazis halten ihre Brandenburger Gegner in Atem

Protestgottesdienste, Plakate und Demonstrationen. Deratige Aktionen gehören in den brandenburgischen Orten Biesenthal, Rheinsberg und Rauen zum Alltag. Die Bürger wehren sich gegen Parteizentren, die die NPD in ihren Orten einrichten will. Einige der Demonstranten fürchten bereits Attacken von Rechts auf ihre Autos. Das ehemalige Stasigelände am Stadtrand von Biesenthal will die NPD angeblich als festen Stützpunkt nutzen.

Ein Gastbeitrag von Michael Mielke, Berliner Morgenpost


Die Nachricht verbreitete sich in Biesenthal sofort: Auf dem einstigen Stasigelände soll sich die NPD einnisten. "Ich wollte es anfangs gar nicht glauben", sagt Ursula Kaufmann-Micka, stellvertretende Ortsvereinsvorsitzende der SPD. Der Unmut sei aber schnell der Forderung gewichen: "Die wollen wir hier nicht haben! Und wir werden etwas dagegen tun!"

So wie Biesenthal kämpfen auch andere Brandenburger Gemeinden gegen Bestrebungen der NPD, unauffällig und in aller Stille Immobilien zu kaufen oder sich auf andere Art in den Orten festzusetzen. Ob es nun Rauen ist, Rheinsberg oder das von Neonaziaufmärschen geplagte Halbe. Bürger protestieren. Stadtverwaltungen versuchen, über Verwaltungsverfahren sehr genau zu kontrollieren und so die Möglichkeiten der Rechtsextremen einzugrenzen. Der Tenor ist klar: Keine dieser Gemeinden will in den Ruf geraten, eine Hochburg der NPD zu werden.
André Stahl ist heute noch begeistert, "wie schnell es in Biesenthal gelang, der NPD klar zu zeigen, wie der übergroße Teil der Bürger über sie denkt". Stahl, von Beruf Anwalt und Mitglied der Partei Die Linke, ist ehrenamtlicher Bürgermeister des 5500 Einwohner zählenden Städtchens. Eine Gemeinde, die schon zu DDR-Zeiten eine beliebte Datschengegend war und von der aus viele noch heute nach Berlin zur Arbeit fahren. Die Einwohnerzahl ist in den vorigen Jahren konstant gestiegen. Vom 26. Juni bis 5. Juli soll hier die 750-Jahr-Feier zelebriert werden. Im September gibt es Kommunalwahlen. "Und nun das Desaster mit der NPD."

Kein Außenstehender weiß Genaues

Der Ort der Begierde liegt am Rande der Stadt, hinter Bäumen und Büschen. Ein unscheinbarer Plattenbaukomplex, den der Biesenthaler Stephan V. nach der politischen Wende erstand. Zu DDR-Zeiten diente er als Niederlassung des Ministeriums für Staatssicherheit, das hier einen Störsender unterhielt. Von 1994 bis März dieses Jahres wohnten in dem Gebäudekomplex Asylbewerber. Danach stand er leer. Bis es plötzlich hieß: Da treiben sich junge Männer herum, dem Outfit nach Rechtsextreme. Es folgten erste Recherchen: Es sollen Leute der NPD sein, die mit Stephan V. einen Mietvertrag geschlossen haben sollen. Kein Außenstehender weiß Genaues über die aktuelle rechtliche Lage.
Stephan V. ist für Nachfragen nicht zu erreichen. Und Klaus Beier, Bundespresssprecher der NPD, will keine konkrete Auskunft geben: "Die Behörden in Brandenburg gebärden sich wie eine Immobilienstasi", wehrt er Fragen ab. "Solange das so ist, werden wir uns zu dem Thema Immobilien nicht mehr äußern." Bekannt ist inzwischen jedoch geworden, dass es verschiedene Pläne geben soll, das Gelände zu nutzen: als NPD-Stützpunkt ohnehin, aber auch als Übungsgelände für die "Heimattreue Deutsche Jugend" und vielleicht sogar als Konzertstätte für rechtsextreme Bands.

Gerüchte verunsichern

"Viele Bürger sind durch diese Gerüchte verunsichert", sagt Carsten Bruch, Stadtverordneter des Wirtschaftsbündnisses Biesenthal-Barnim. Er kenne mehrere, so der Inhaber eines TV-Geschäfts, die die 750-Jahr-Feier-Aufkleber von ihren Autos entfernt haben, "weil sie fürchten, dass sie als Biesenthaler erkannt und ihnen die Autoscheiben eingeschlagen werden".

Am 22. Mai sickerten die ersten Gerüchte über die NPD-Aktivitäten auf dem ehemaligen Stasigelände durch. Drei Tage später gab es in der evangelischen Kirche, in der sonst kaum mehr als 40 Gemeindemitglieder den sonntäglichen Gottesdienst feiern, ein Friedensgebet mit mehr als 700 Beteiligten. Mitglieder der Jungen Gemeinde hatten vorher noch in aller Eile ein großes Schild bemalt: "Wir sagen Nein zur NPD." "Die Kirche war rappelvoll, sogar in den Gängen standen Leute", sagt Pfarrer Christoph Brust. Der 43-Jährige rief die Biesenthaler zu Beginn der Veranstaltung auf, Beifall zu spenden "für den Nachbarn auf der Kirchenbank", weil auch er an diesem Tag in die Kirche gekommen sei, um friedlich zu protestieren. Brust hatte ganz bewusst auf spirituelle Musik verzichtet. Stattdessen spielte das Duo Váci Utca aus Berlin transsilvanische Zigeunermusik. "Es war uns wichtig, ein fröhliches Bekenntnis gegen Rechtsradikalismus abzulegen", sagt Brust, der in der Situation "aber auch etwas Absurdes" sieht: "Die Politiker sind nicht in der Lage, eine Lösung für die Probleme mit der NPD zu finden. Und die Kommunen schieben nun den Schwarzen Peter hin und her."

Er als Pfarrer sei auf jeden Fall bereit, auch mit Rechtsextremen zu reden, "wenn sie das Gespräch mit mir suchen". Auch mit jener Gruppe, die während des Friedensgebets ostentativ die Kirche verließ. Biesenthaler sagten später, dass es sich um Leute aus dem Kreis von Mike Sandow gehandelt haben soll. Der Fliesenlegermeister ist Vorsitzender des NPD-Kreisverbands Barnim/Uckermark.

Sie wollen alle Register gegen Rechts ziehen

Das Schild "Wir sagen Nein zur NPD" wurde nach dem Friedensgebet an einem Baugerüst in Höhe des Kirchturms festgezurrt. Eine Woche später haben es unbekannte Täter über Nacht entfernt. "Das hat sich in der Stadt herumgesprochen und den Unmut noch vergrößert", sagt CDU-Mitglied Bruch. Er und die anderen Stadtverordneten seien entschlossen, gegen die Rechtsextremen "alle Register zu ziehen". Sie beschlossen am 11. Juni, die Straße vor dem Anwesen nach dem 1934 im Konzentrationslager Oranienburg ermordeten Schriftsteller Erich Mühsam zu benennen. Und schon Ende Mai untersagte der Landkreis Barnim Stephan V., in dem Gebäudekomplex eine Pension zu betreiben - was für die NPD eine gute Tarnung gewesen wäre.
Auch andere Nutzungsmöglichkeiten sind nach Meinung von Bruch "stark zu hinterfragen. Wir haben einige Joker im Ärmel, die wir aus taktischen Gründen aber noch geheim halten".

Schnell kaufen, bevor es die NPD tut

Derartige Joker hätte gern auch Marion Kraeft, stellvertretende Bürgermeisterin der Stadt Rheinsberg im Landkreis Ostprignitz-Ruppin. Dort laufen Verhandlungen zwischen einem in Berlin ansässigen Eigentümer und der NPD über ein Gelände nebst baufälligen Gebäuden, in denen zu DDR-Zeiten ein Betrieb für Landtechnik untergebracht war.
Die NPD, heißt es, wolle hier ein "Nationales Begegnungszentrum" aufbauen. Was die Rheinsberger wiederum unbedingt verhindern wollen. "Es kann nicht sein, dass die hier bei uns Fuß fassen", sagt die parteilose Kommunalpolitikerin Kraeft. "Die Stadtverordnetenversammlung und die Verwaltung", kündigt sie an, "werden alle Möglichkeiten des Bau- und Planungsrechtes sorgfältig prüfen."

Aber die Bürger wehren sich auch sehr direkt: Es gibt Mahnwachen, Konzerte gegen Rechtsextremismus, Protestplakate. "Die müssen einfach kapieren, dass wir sie hier nicht wollen und dass sie nicht hierher passen", sagt Kraeft. Ähnlich sieht es die Fürstenwalder Zahnärztin Rosemarie Arenstedt, die in Rauen (Landkreis Oder-Spree) wohnt. Genau dort befindet sich das Gut Johannesberg - ein im Vergleich zu den Anwesen in Biesenthal und Rheinsberg baulich noch sehr intakter Gebäudekomplex. Die NPD soll dieses Gut sogar schon einmal über eine schwedische Firma namens Startplattan gekauft haben. Allerdings war dieser Vertrag rechtlich unwirksam, weil vom Käufer Auflagen nicht erfüllt wurden. Als neue Eigentümer im Grundbuch eingetragen sind nun seit Januar dieses Jahres die Zahnärztin Arenstedt und ihr Schwager, Johannes Stelten, der in Köln als Steuerberater tätig ist. Der Preis betrug 210 000 Euro.

"Wir haben dafür eine Hypothek aufnehmen müssen", sagt Arenstedt. "Aber das war uns die Sache wert." Sie und ihr Schwager planen jetzt, das Anwesen "zu einem fairen Preis an einen Verein zu verpachten, der sich um benachteiligte Kinder und Jugendliche kümmert".
Derzeit jedoch wird das umzäunte Gut immer noch von einem Mieter bewohnt, der für die NPD tätig sein soll. Es wird darauf gepocht, dass es einen noch bis ins Jahr 2014 reichenden Mietvertrag für 500 Euro monatlich gibt. Rosemarie Arenstedt und ihr Schwager wollen die Bewohner jetzt hinausklagen. Für den 10. September ist eine Verhandlung vor dem Landgericht Frankfurt (Oder) angesetzt. "Die müssen einfach begreifen: Für Neonazis ist in unserer Kommune kein Platz", sagt die Zahnärztin, die zehn Jahre ehrenamtliche Bürgermeisterin von Rauen war.

Zum Originalartikel in der Berliner Morgenpost vom 23.6.2008

www.mut-gegen-rechte-gewalt.de / Foto: Denkbares NPD-Schulungszentrum in Biesenthal (morgenpost-dpa)



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Komplex in Biesenthal