Mit dumpfen Hassparolen lassen sich Teenager schwer für die rechtsextreme Szene werben. Deshalb versuchen es die Neo-Nazis auch auf die sanftere Tour. Die Musikpropaganda hat nun sogar die Grundschulen erreicht. Ein Kommissar in Brandenburg muss sich deswegen einiges anhören.
Von Johannes Gernert, stern.de
Vor ein paar Wochen sind in Brandenburg wieder einige Exemplare aufgetaucht. Zwei Männer und eine Frau standen vor einer Schule in Ludwigsfelde und haben sie verteilt. Wahrscheinlich hatten sie die Songs der NPD-Schulhof-CD aus dem Internet heruntergeladen und dann selbst auf Rohlinge gebrannt. Jedenfalls ließ sich das Album gar nicht abspielen. Eine Panne, über die sich der Verfassungsschutz freute. Für Rechtsextreme ist es schwieriger geworden, ihre Propaganda-CDs unter die Schüler zu bringen. Zumindest in aller Öffentlichkeit. "Starke Stimmen gegen rechts!"
Seit rechtsextreme Bands, Labels und Vertriebe vor vier Jahren zum ersten Mal im größeren Stil kooperiert haben, um mit dem Sampler "Anpassung ist Feigheit" Jugendliche für die nationalistische Sache zu interessieren, hat sich auf den unterschiedlichsten Ebenen Widerstand gegen solche Projekte organisiert. Dieser wuchs, als die NPD vor Landtagswahlen und im Bundestagswahlkampf mit auf den Zug aufsprang. Polizei und Verfassungsschutz beobachten die Lage und beschlagnahmen CDs. Gemeinsam mit den zivilen Bündnissen vor Ort kämpfen und argumentieren sie gegen das an, was sie eine "Einstiegsdroge" nennen: Musik mit rechten Botschaften.
In Eberswalde ist gerade wieder eine Lieferung angekommen. Auf dem hellen PVC-Boden in Jörg Bremers* Büro beim Brandenburger Landeskriminalamt stehen vier Pilotenkoffer, eine Schuhschachtel, einige Kartons und eine große silberne Kiste. Alle voller CDs. "Stahlgewitter" steht auf einem Cover. Der Kommissar nimmt ein anderes Album in die Hand: "Aryan Hope". Kennt er noch nicht. Das bedeutet in der Regel Arbeit: im Kripo-Jargon "verschriftlichen". Er wird sich jeden einzelnen Song anhören und dabei den Text aufschreiben, um festzustellen, ob die CD ein Fall für den Staatsanwalt sein könnte - oder für die Bundesprüfstelle in Bonn, die jugendgefährdende Medien auf den Index setzt.
Eineinhalb Tage braucht er für so ein Album meistens. Bremer, kaum dreißig, blond und ein bisschen bleich, hellblau-kariertes Hemd, braune Wildlederschuhe, hat zusammengerechnet schon einige Monate seines Lebens mit "Verschriftlichen" verbracht. Kein Landeskriminalamt schickt derart viele Anregungen zur Indizierung nach Bonn wie das in Brandenburg. Im vergangenen Jahr waren es in der Rubrik "Tonträger" exakt 37. Sie kamen alle aus Bremers kleinem Büro.
An einem langen Konferenztisch in einem grauen Behördenbau befinden dann Vertreter von Verbänden, Kirchen und Ländern bei der Bonner Prüfstelle über die rechtsextreme Musik. Allein aus Sachsen kamen im vergangenen Jahr 33 Alben. Im Bereich indizierter Musik machen rechtsextreme Texte immer noch den größten Teil aus. Weit abgeschlagen dahinter: Pornorapper. In beigen Mappen lagern die Akten zu den Alben von Doitsche Säuferfront, Volkszorn, Kruppstahl oder Stahlgewitter. Der Index unterteilt die Musik in "Liste A" und "Liste B". A ist jugendgefährdend und darf nicht an Minderjährige verkauft werden. B ist darüber hinaus noch "strafrechtlich relevant". Die NPD-Schulhof-CDs sind weder A noch B, darauf hat die Partei geachtet.
Auf den ersten Blick harmlos
Draußen in Eberswalde, in dem frisch geweißelten Kasernenbau mit den langen, blauen Fluren, erkennt Bremer die meisten Paragraphen-Verstöße ziemlich schnell. Eine Gruppe namens Valhöll hat ein Lied gegen Ermyas M. gemacht, der in Potsdam fast zu Tode geprügelt wurde. Zur Liedermacher-Gitarre singt jemand etwas von "Rassenschande" und "Scheinasylbewerber". "Klassischer 130er", sagt Bremer. Paragraph 130 Strafgesetzbuch: Volksverhetzung.
Es sind aber nicht unbedingt diese offen fremdenfeindlichen Zeilen, die er für die gefährlichsten hält. Die Bands kennen ihre Grenzen mittlerweile sehr genau. Sie sprechen also manchmal nicht mehr von "den Juden", sondern sagen einfach "sie" oder "die Auserwählten". Auf den ersten Blick wirkt manches harmlos. Eine Grundstrategie, die Bremer beobachtet, zeigt sich nicht nur auf den Demos, wo die Rechten mit ihren Sonnenbrillen und Palästinenser-Tüchern oft nicht mehr von linken Autonomen zu unterscheiden sind, sondern auch bei der Musik. Es gibt eigentlich nur eine Richtung, glaubt er, die in der rechten Szene nicht wirklich funktioniert: Techno. Da ist außer DJ Adolfs Reden-Remix "Es spricht der Führer" nicht viel zu verzeichnen.
"Die Szene ist weg vom dumpfen Gebrüll"
Ansonsten wird alles irgendwie verwertet. Aggressives Skindhead-Gegröle bildet nach wie vor eine starke Basis. Aber selbst diese Texte sind subtiler geworden. Und darumherum haben zahlreiche andere Musikstile angedockt. Sanfter Gitarrenrock und neu vertonte NDW-Schlager von einer Truppe namens "Die Faschistischen Vier". Selbst HipHop, die Kultur, die aus den amerikanischen Ghettos kam, ist nicht mehr tabu. "Die Szene ist weg vom dumpfen Gebrüll, das die breite Masse nicht anzieht", sagt Gunter Kolbeck, von der Auswerte-Einheit "Rechts" beim LKA-Berlin.
Wegen des teils softeren Stils stehen staatliche Rechtsrock-Gegner vor einer neuen Herausforderung. Verbieten lassen sich Stücke wie die von den zwei weiblichen amerikanischen Teenagern, die sich "Prussian Blue" nennen und damit für "White Nationalism" werben, nicht. Auf Portalen wie YouTube sind sie jederzeit zu haben. Wenn Jugendliche dort außerdem mit harmlosen Begriffen wie "Heimat" oder "Deutschland" suchen, treffen sie schnell auf rechtsextreme Propaganda-Clips. Mit Musik unterlegte Filme von Demos, die rechten Aktionismus zum neuzeitlichen Revoluzzertum umdeuten. Diese Clips werden ständig hochgeladen. "YouTube ist das populärste Verbreitungsmedium für Rechtsextreme", sagt Bremer. Den Rechten gehe es darum, ein "eigenes jugendkulturelles Image" aufzubauen, sagt auch LKA-Kommissar Kolbeck. Im Internet sei da vieles möglich. Und es stoßen nicht nur überzeugte Anhänger auf das Material.
Mittlerweile werden zwar auch Webseiten indiziert. Wenn die Anbieter sich im Ausland befinden, ist es allerdings schwierig, gegen die Homepages vorzugehen. Polizei, Verfassungsschutz und Bürgerbündnisse setzen deshalb verstärkt auf Aufklärung. An vielen Schulen werden Fortbildungen für Lehrer veranstaltet, in denen es auch um rechtsextreme Musik geht. Auffällige Verteilaktionen vor Schulen sorgen somit schnell für Aufsehen, aber unter der Hand gelangen Rechtsrock-Alben immer wieder an ihr Ziel - gelegentlich sogar in Kinderhände. Aktivisten vom "Netzwerk-Sachsen gegen Rechtsextremismus" sind an Grundschulen auf rechte Alben gestoßen. Alrik Bauer, der für den sächsischen Verfassungsschutz Lehrer aufklärt, sagt: "Es gibt Kinder im Grundschulalter, die durchaus mal ein Hakenkreuz in Hefte zeichnen oder eine CD vom großen Bruder im Pausenraum vorspielen." Deshalb ist er nun schon an Grundschulen aktiv. Auch in Brandenburg beginnt die Aufklärung dort zaghaft. "Wir wünschten uns, dass es breiter wäre, das muss man schon sagen", gesteht die Verfassungsschutz-Chefin Winfriede Schreiber ein.
Schnitzeljagd zum Konzert
Das emotionale Erlebnis "Konzert" halten Ermittler für die nächste Werbestufe nach der CD, wenn ein erstes Interesse schon da ist. In Berlin war die Polizei zeitweise so rigoros gegen Musikveranstaltungen vorgegangen, dass die Rechten dem bekanntesten Einsatzleiter Hass-Songs widmeten und in seiner Wohngegend demonstrieren wollten. Es gibt seitdem eigentlich keine Konzerte mehr. Nun liefern sich die Veranstalter in Brandenburg an den Wochenenden regelrechte Schnitzeljagden mit der Polizei. Meist haben sie mehrere Räume unter einem Vorwand angemietet und versuchen, die Fans dorthin zu lotsen, ohne dass die Beamten etwas mitbekommen. 2007 haben sie es 14-mal geschafft. Fünf Konzerte davon wurden aufgelöst.
Im April haben Olaf Fischers Leute wieder einen Auftritt verhindert. Fischer, ein kleiner, drahtiger Mann mit weißem Kinnbart, leitet einen Schutzbereich im Süden Brandenburgs, wo Bands wie Frontalkraft, Wintergewitter oder Confident of Victory herkommen. Die Beamten hatten von dem geplanten Konzert erfahren, haben die Instrumente sichergestellt und die Fans im Konvoi nach Hause gebracht. Die Konzerte seien der "Kitt der Szene", sagt Fischer. Und gerade wegen der konspirativen Umstände für Mitgliederwerbung geeignet: "Schon die Durchführung ist ein Abenteuer für die Leute, die teilnehmen." Besonders für Neulinge.
Deshalb hält die Verfassungsschutzchefin es für "unheimlich wichtig", diese Konzerte zu verhindern. "Denn dann ist ihnen der Spaß verdorben."
Aus stern.de vom 9.6.2008
Mehr in stern.de vom 15.5.
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