Im Hennigsdorfer Puschkin-Gymnasium stellte die Sängerin am Dienstag letzter Woche mit Bundesaußenminister Steinmeier einen neuen CD-Sampler vor, der von nun an kostenlos an Schüler verteilt wird - als Antwort prominenter Künstler auf die sogenannten "NPD-Schulhof-CDs". Der Titel: "Starke Stimmen gegen Rechts". Mehrere Initiativen, darunter das MUT-Portal der Amadeu Antonio Stiftung und der Bundesverband der Musikindustrie haben sich daran beteiligt. Als Bands sind vertreten: Silbermond, SEEED, Jan Delay, Söhne Mannheims, Sportfreunde Stiller, Beatsteaks, Lafee, Keimzeit, Die Toten Hosen, u.a.m.
Von Holger Kulick und Gabriele Nandlinger
Die CD kann kostenlos bei der Amadeu Antionio Stiftung und dem MUT-Portal abgeholt oder angefordert werden. Dann am besten frankierten Rückumschlag (in den eine CD passt) schicken an AAS MUT-Redaktion Linienstraße 139 10115 Berlin. Träger der CD sind die Initiativen Gesicht zeigen!, die Website 'Blick nach rechts!', das Jüdische Museum Berlin und die MUT-Aktion sowie weitere Partner. Beim Einsatz gegen Rechtsextremismus und Gewalt sei vor allem eins wichtig, sagte die Musikerin Jennifer Rostock gegenüber MUT:
“Klar, es ist immer einfacher wegzuschauen. Es ist immer einfacher sich darauf zu verlassen, dass jemand anderes den ersten Schritt wagt. Aber was, wen jeder so denkt? Gerade wenn es um Gewalt geht, gibt es genug abschreckende Beispiele und alle Beteiligten verlieren sich in Ausflüchten und Konjunktiven, wenn es längst zu spät ist. Jedem von Euch sollte bewusst sein, dass er sich in unserer Gesellschaft nicht passiv zurücklehnen kann. Jeder ist gefordert den Stein ins Rollen zu bringen, es kann schon reichen in der U-Bahn als erster aufzustehen und Position zu beziehen, sobald es erforderlich ist. Ein Satz, manchmal nur ein Wort, können ausreichen die Lage zu entschärfen. Außerdem wirst Du ab diesem Moment nicht mehr alleine dastehen. Also, trau Dich! Denn in der Gemeinschaft sind wir stark und deshalb müssen wir uns gemeinsam gegen Intoleranz und Ungerechtigkeit zur Wehr setzen.“ Mehr über die CD-Premiere auf Video in stern.de.
In der Puschkin-Schule debattierte Bundesaußenmminister Steinmeier mit Schülern über die Notwendigkeit von Zivilcourage akls Unterrichtsfach. Dass die CD-Premiere an der zentralen Schule im brandenburgische Hennigsdort stattfand, hat seinen Grund:
Hintergrund: Über Rechtsextremismus in Hennigsdorf und Umgebung
Laut Umfragen vom Meinungsforschungsinstitut Emnid aus den Monaten Januar und Februar 2008 könnte die rechtsextreme NPD in Brandenburg derzeit aus dem Stand 3 bis 4 Prozent der Stimmen erreichen – ohne Wahlkampf und ohne im Potsdamer Landtag überhaupt vertreten zu sein – schon von daher ein beunruhigend hoher Wert.
Noch beunruhigender wird diese Umfrage bei näherem Hinsehen: unter Wählern, die 18 bis 30 Jahre alt sind, haben die emnid-Meinungsforscher 12 Prozent NPD-Wähler ausgemacht, unter männlichen Wähler in dieser Altersgruppe, zu der auch die Erstwähler gehören, sogar 15 Prozent, teilte emnid der Redaktion www.mut-gegen-rechte-gewalt.de auf Nachfrage mit.
Ein alarmierendes Zeichen. Rechtsextrem sein ist unter Jugendlichen längst wieder „cool“, melden Jugendsozialarbeiter, vor allem in ländlichen und kleinstädtischen Gebieten Brandenburgs. Ein wichtiges Lockmittel in die Szene ist dabei nach wie vor Musik. Die sogenannten kostenlosen „Schulhof-CDs“ der NPD werden inzwischen nicht mehr zwangsläufig auf Schulhöfen verteilt, sondern auch an Eisenbahn- und Busbahnhöfen, wo viele Jugendliche im öffentlichen Raum zusammenkommen und keine 'Aufsicht' droht. Auch aus Hennigsdorf berichten Schüler von dieser Erfahrung.
Das Dilemma: rechtsextreme Musik boomt nach wie vor, trotz aller Aufklärungsarbeit von Medien, Pädagogen und Initiativen. Der Verfassungsschutz in Brandenburg zählt derzeit allein 26 aktive Neonazi-Bands in Brandenburg – zum Vergleich: nur 5 in Berlin.
Heimat des "Spreegeschwaders"
In Hennigsdorf ist vor allem der rechtsextreme Szene-Laden „On the Streets“ von Bedeutung. Inhaber von „On the Streets“ ist Alexander Gast, zentrale Figur der Rechtsrockszene sowie Sänger und Gitarrist der bekannten Berliner Band „Spreegeschwader“. Die 1994 gegründete Band hat enge Kontakte zur NPD und Neonazis. Mitglieder von „Spreegeschwader“ sind auch gemeinsam mit Michael Regener „Lunikoff“, Kopf der als kriminelle Vereinigung verbotenen Band „Landser“ aufgetreten. Regener, der zu einer mehrjährigen Haftstrafe verurteilt und erst kürzlich aus dem Gefängnis entlassen wurde, ist seit 2004 Mitglied der NPD. „Spreegeschwader“ ist schon bei mehreren NPD-Veranstaltungen aufgetreten.
„On the Streets“ bietet typische Neonazi-Devotionalien, darunter auch verbotene CDs. Angaben des brandenburgischenVerfassungsschutzes zufolge wurden im vergangenen Jahr mehrere Wohnungen in Berlin und ein Szeneladen in Hennigsdorf wegen der CD „Gift für die Ohren“ der Neonazi-Bands „Burn Down“ und „XxS“ durchsucht. Das Amtsgericht Berlin-Tiergarten hatte zuvor einen allgemeinen Beschlagnahmebeschluss für sämtliche Exemplare der CD erlassen. Bereits im Dezember 2004 waren bei einer Hausdurchsuchung bei „On the Streets“ verbotene Neonazi-CDs und Kleidung beschlagnahmt worden. Der überregional frequentierte Laden „On the Streets ist ein „zentraler Bezugspunkt“ der rechtsextremen Szene („Nationaler Szene-Laden“, „Spreegeschwader-Laden“) auch aus dem Umland. Über „On the Streets“soll aber auch, rechtsextremes Gedankengut unter Jugendlichen verbreitet werden, er wird mitunter von unpolitischen jungen Leuten aufgesucht.
Zur Stammkundschaft von „On the Streets“ sollen angeblich auch Mitglieder der als terroristische Vereinigung eingestuften und verbotenen Kameradschaft „Freikorps“ aus Falkensee gezählt haben, schreibt das Weblog „Störungsmelder“. Der Kameradschaft wurden unter anderem zahlreiche Brandanschläge auf von Migranten betriebene Imbisse im Osthavelland nachgewiesen.
Wegen eines brutalen Überfalls auf einen türkischen Imbiss-Mitarbeiter in Hennigsdorf im Sommer 2006 müssen sich drei Veltener seit Jahresende 2007 vor dem Amtsgericht Oranienburg verantworten. Mindestens einer von ihnen, der 19-jährige Christian W., gehört zur rechtsextremen Szene im Landkreis Oberhavel; er soll einer der führenden Mitglieder der „Interessengemeinschaft Sturm Oranienburg“ gewesen sein. Der „Sturm Oranienburg“ wurde im Dezember 2006 aufgelöst. Bei Wohnungsdurchsuchungen in Oranienburg, Velten und Kremmen waren von der Polizei zuvor Teleskopschlagstöcke, Baseballschläger, Wurfmesser, ein Armbrust sowie Fahnen sichergestellt worden. Mehrere der Neonazis waren bereits wegen Gewalt- und Staatsschutzdelikten polizeilich bekannt.
Dem brandenburgischen Verfassungschutz zufolge sind in der Region auch Aktivitäten der neonazistischen „Heimattreuen Deutschen Jugend“ (HDJ) bekannt geworden. Die HDJ, die eng mit zahlreichen NPD-Kadern verwoben ist, führt regelmäßig „Lager“ für Kinder und Jugendliche durch und drillt sie mit ihrer gefährlichen Ideologie.
Ehemals Wohnsitz von NPD-Chef Voigt
Die NPD hat in Brandenburg einen amtlich geschätzten Mitgliederstand von 230 Personen. Ihrer Nachwuchsorganisation Junge Nationaldemokraten (JN) gehören etwa 40 an, davon ein Großteil Neonazis.
Beobachtungen des Verfassungsschutzes zufolge ist es der NPD in Brandenburg bisher noch nicht gelungen, die neonazistischen „Freien Kräfte“ fest an sich zu binden. Allerdings weichten die Grenzen zwischen NPD-Strukturen und der Neonazi-Szene auf. Dies gilt insbesondere für die JN. Nach Meinung des Landesamtes sind „die neonazistischen Neuzugänge zur Partei kaum kontrollierbar“. So werden beispielsweise die JN-Stützpunkte in Oberhavel und Oranienburg von ehemaligen Kadern der aufgelösten Neonazigruppe Märkischer Heimatschutz (MHS) betrieben. Am 1. September vergangenen Jahres führte der JN-Stützpunkt Oranienburg mit „Freien Kräften“ ein „in erster Linie gegen die imperialistische Kriegspolitik der USA“ gerichtetes Fußballturnier mit sechs Mannschaften und 40 bis 50 Teilnehmern durch.
Für die brandenburgische NPD ist der Raum Overhavel auch zu einer Schaltstelle geworden, denn sie will sich an Brandenburgs Kommunalwahlen im Herbst 2008 beteiligen. Im Kreistag Oberhavel verfügt die NPD bereits über ein Mandat.
Dem NPD-Kreisverband Oberhavel gehören rund 40 Mitglieder an, ein NPD-Stadtverband existiert sowohl in Oranienburg wie auch Hennigsdorf/Velten. Die vom Kreisverband verbreitete „Oberhavelstimme“ soll angeblich eine Auflage von 20 000 Exemplaren haben.
Der NPD-Vorsitzende Udo Voigt verlegte Ende der 90ger Jahre seinen Wohnsitz nach Hennigsdorf. Inzwischen ist er weitergezogen. Aber ganz in der Nähe, im sieben Kilometer entfernten Hohen Neuendorf ist inzwischen Stella Hähnel (vormals Palau) zuhause. Die ehemalige Anführerin des Skingirlfreundeskreises Deutschland (SDF) ist seit Ende 2006 Mitglied im Bundesvorstand der NPD und wurde Sprecherin des von ihr mitgegründeten Rings Nationaler Frauen (RNF). In Hohen Neuendorf wohnt sie gemeinsam mit ihrem Mann, dem extrem rechten Liedermacher Stephan Hähnel, der ebenfalls Mitglied des NPD-Bundesvorstands ist.
Hohe Zahl von Gewalttaten
Der Raum Oberhavel ist für die beiden Rechtsextremen offenbar ein sicheres Terrain. Für andere Menschen offenbar weniger, bis in die jüngste Zeit: Das rechtsextreme Spektrum in Hennigsdorf gilt als gewaltbereit, es gab in den vergangenen Monaten eine auffallend hohe Rate rassistisch motivierter Überfälle. So meldet die Brandenburger Opferberatungsstelle „Opferperspektive“ am 28.2.2008:
Eine junge Antifaschistin wurde gegen 1 Uhr morgens in der Nähe der Stadtbibliothek von zwei Männern angegriffen. Zunächst hörte sie hinter sich Stimmen, die sagten: »Da ist die Antifa-Schlampe«. Dann erhielt sie einen Schlag auf den Hinterkopf und fiel zu Boden. Am Boden liegend wurde sie getreten und ins Gesicht geschlagen.
Einen solchen tätlichen Angriff von Rechtsextremisten erlebte die junge Frau bereits zum zweiten Mal: Am 16. Juli.2007 wurde sie bereits von fünf Rechtsextremisten angegriffen. Die junge Frau wurde am Hinterkopf gepackt und zweimal mit dem Gesicht gegen einen Briefkasten geschlagen. Sie zog sich eine Gehirnerschütterung, eine Schädelprellung und eine verletzte Nase zu. („Hennigsdorfer Generalanzeiger“, OPP)
Solche Vorfälle sind vor Ort keine Seltenheit. Im Jahr 2007 hat die Opferperspektive u.a. noch folgende Vorfälle aus Henningsdorf erfasst:
7.11.2007: Hennigsdorf / Oberhavel: Hennigsdorf. Ein 14-jähriges Mädchen wurde in der Fußgängerzone bedroht und ins Gesicht geschlagen. Einer der Täter beschimpfte sie mit den Worten »Du alte Niggerschlampe, halt das Maul«. (Quelle: LKA, OPP)
05.11.2007: Hennigsdorf / Oberhavel: Hennigsdorf. Ein 10-jähriger Junge wurde auf einem Schulgelände von einer Gruppe bedroht, gestoßen und getreten. Die ca. zwei Jahre älteren tatverdächtigen Kinder riefen u.a. »Die Schaukel ist nur für Weiße da«. (Quelle: LKA, OPP)
11.07.2007: Hennigsdorf / Oberhavel Hennigsdorf .Das am heutigen Tag von alternativen Jugendlichen besetzte Haus wurde am Abend von einer ca. 30 köpfigen Gruppe Rechter angegriffen. Die Täter warfen Steine, Flaschen und schossen mit Leuchtraketen. Die Polizei kontrollierte in der Nähe 15 Personen aus der rechten Szene und erteilte Platzverweise. (Quelle: HAI 15.07.2007, MAZ 13.07.2007)
11.07.2007: Hennigsdorf / Oberhavel: Hennigsdorf Am späten Abend wurde ein linker Jugendlicher auf dem Weg zum Bahnhof von Rechten angegriffen. Aufgrund der dabei erlittenen Verletzungen musste er im Krankenhaus ambulant behandelt werden. (Quelle: HAI 15.07.2007)
20.02.2007 » Hennigsdorf / Oberhavel: Hennigsdorf Ein 34-jähriger Senegalese wurde von einem 29-Jährigen, der zuvor eine Scheibe der S-Bahn zerstört hatte, rassistisch beschimpft. Dabei soll er gedroht haben: »Nigger, wenn ich dich umbringe, lasse ich dich liegen«. (Quelle: OPP)
Mehr unter: http://www.opferperspektive.de
Mehr zur CD im Lauf des Mittwochs!
www.mut-gegen-rechte-gewalt.de