Sie setzten sich für Kinder und Arbeitslose ein, ziehen in kommunale Parlamente, besuchen Bürgerstammtische und erziehen ihre Kinder zu jungen Neonazis. Sie lächeln statt zu grölen. Rechtsextreme Frauen sind längst nicht mehr nur Mitläuferinnen. Ihr Ziel: Die braune Szene salonfähig machen. Ein Frontbericht aus dem stern.
Von Alexandra Frank (Text) und Arnold Morascher (Fotos)
Das kleine Mädchen blickt auf das zerknüllte Los in seiner Hand und fängt an zu weinen. Rasch greift die Losverkäuferin nach einem Hula-Hoop-Reifen und beugt sich über den Tisch, auf dem sie die Gewinne gestapelt hat: „Wir können deinen Gewinn doch tauschen.“ Dankbar lächelt die Mutter de Kindes. „Sag schön danke, Germania“, ermahnt sie ihre Tochter.
Auch für den nächsten Käufer hat die Losverkäuferin ein Herz. Ein älterer Mann, die Arme vor dem Bierbauch verschränkt, weiß nicht so recht, was er mit dem gewonnenen Springseil anfangen soll. „Was wollen Sie denn?“, erkundigt sie sich. „Die Reichskriegsflagge.“ Die Losverkäuferin lächelt freundlich: „Kein Problem.“
Man sieht es ihr nicht an
Sie streicht sich den Rock glatt und schaut zufrieden. An ihrem Stand lassen sich die Probleme ganz einfach lösen. Für jeden ist etwas Passendes dabei. Sie weiß, wie man kleine Kinder trösten und rechtsgesinnte Kameraden erfreuen kann. Gitta Schüßler, 46, die Frau hinter dem Losstand, ist vierfache Großmutter, und sie ist NPD-Frau. Beides sieht man ihr nicht an.
„Eigentlich bin ich nur in die NPD eingetreten, weil die damals im Kreisverband einen Kassenwart suchten“, sagt sie. Sie habe das Gefühl gehabt, gebraucht zu werden in der Partei, die ihre Meinung vertritt. Nur zwei Jahre nach ihrem Eintritt zog sie 2004 für die NPD in den Sächsischen Landtag, als einzige Frau ihrer Fraktion. Bis heute habe sie Lampenfieber, wenn sie dort frei reden müsse, gibt sie zu. Wenn sie das sagt, noch dazu im breiten Sächsisch, klingt es gleich menschlicher, als wenn ihre Parteigenossen sprechen, die gern große Reden halten.
Auch heute, am „Sachsentag“, einer weitläufig von der Polizei abgeriegelten Veranstaltung, organisiert von den Jungen Nationaldemokraten (JN), der Jugendorganisation der NPD, haben die Männer das Sagen. Der sächsische NPD-Fraktionsvorsitzende Holger Apfel steht auf der Bühne und ereifert sich über die deutsche Einwanderungspolitik. „Aus einer türkischen Salami“, trompetet er, „wird, nur weil sie drei Wochen in einem deutschen Kühlschrank liegt, noch lange kein Deutschländerwürstchen.“ Das Publikum lacht.
Auch der Parteivorsitzende Udo Voigt mag deutliche Worte. „Man kann nicht von Wiedervereinigung sprechen“, posaunt er, „solange ein Drittel des deutschen Reiches unter polnischer Verwaltung steht.“ Das Publikum applaudiert.
Die Frauen treiben das Geld ein
Gitta Schüßler sortiert derweil die Gewinne an ihrem Stand: Enid Blytons „Fünf Freunde“ und Gerhoch Reiseggers „Die Türken kommen“, „Fetzige Kinderwitze“ und „Großdeutscher Reichskriegertag“, Hüpfseil und Hess-Konterfei. Sie steht weit weg von der Bühne, hinter den Bierbänken am Ende einer Reihe von Rechtsrock-Verkaufsständen. Während die Männer auf der Bühne Lacher und Applaus einheimsen, kassiert sie Geld – für ein neues Flugblatt.
„Deutschland ist auch Frauensache“ soll darauf stehen und für den „Ring Nationaler Frauen“ (RNF) werben, eine Arbeitsgemeinschaft unter dem Dach der NPD. Gegründet wurde der RNF vor einem Jahr – von Gitta Schüßler und 30 Mitstreiterinnen. Ihr Ziel: Frauen auf die „Übernahme von Verantwortung in den Kommunen, auf Landes- und Bundesebene“ vorzubereiten, wie es auf der RNF-Website heißt. Bislang sind sie in der Minderheit. Im Bundesvorstand der NPD sind lediglich zwei Frauen vertreten, ansonsten gibt es bundesweit nur eine Landesvorsitzende und eine Landtagsabgeordnete.
Und drängen in die gesellschaftliche Mitte
Aber, so heißt es weiter, man wolle bei politisch interessierten Frauen die „Hemmschwelle, in die Partei einzutreten“, abbauen. Die Zahl der RNF-Mitgleider hat sich seit seiner Gründung vervierfacht, heute sind es rund 130. Sie setzen sich für Müttergehalt ein, für Regionalpolitik, für Umwelt und Tierschutz. Themen, die auch die gesellschaftliche Mitte ansprechen, in die die NPD vordringen will.
Frauen stabilisieren die Szene
Dass Frauen im nationalen Lager nützlich sind, das sie die Szene nach innen und außen stabilisieren, hat die Partei längst erkannt. „Frauen“, sagt Udo Voigt, „sind Sympathieträger, deren Argumentation sehr überzeugend sein kann.“ Zum einen setzt die NPD auf Politikerinnen, die perfekt in das erwünschte Biedermann-Image der Partei passen, zum anderen sorgen Frauen im Hintergrund subtil für neue Gesinnungsgenossen – dort, wo sie sich aufhalten: in der Familie, der Schule, im Büro, Bürgerverein und Kegelklub. Dort, wo man nicht von vornherein mit rechtem Gedankengut rechnet.
"Spiegelbild der Gesellschaft"
„Das Klischee von männlichen, gewaltbereiten Skinheads herrscht in den Köpfen“, sagt die Sozialwissenschaftlerin Michaela Köttig aus Göttingen, die seit Jahren weibliche Neonazis erforscht. Frauen seien „weniger laut und aggressiv, man übersieht sie oder nimmt sie nicht ernst.“ Schnell denke man „die meint das nicht so“, wenn die nette Nachbarin oder die Frau aus dem Jugendzentrum gegen Ausländer wettere. „Dabei vertreten rechte Frauen im selben Ausmaß fremdenfeindliche und antisemitische Meinungen wie rechtsextreme Männer“, so die Wissenschaftlerin. Aber sie seine äußerlich oft nicht so leicht zu erkennen. Selbstbewusste Freundinnen von Skinheads, die je nach Anlass mal in Jeans und Turnschuhen, mal im Nadelstreifenanzug auftreten. Zupackende Altenpflegerinnen, die deutsches Liedgut kultivieren und unter Pseudonym Elternratgeber schreiben. „Sie sind ein Spiegelbild der Gesellschaft“, meint Michaela Köttig.
Petra Zais vom Kulturbüro Sachsen, einer Initiative, die das gesellschaftliche Engagement gegen Rechtsextremismus stärken will, hat beobachtet, dass Frauen bei Veranstaltungen bewusst nach vorn gestellt werden, weil sei sympathisch aussehen und deeskalierend wirken. Andererseits drängen sie sich aber auch von selbst in die Politik. „Oft sind es noch dieselben Mädels wie vor fünf Jahren, die in den Dörfern Flugblätter verteilen“, resümiert sie. „Aber sie treten selbstbewusster auf, erfüllen mit besonderem Stolz ihre Aufgabe.“
Doch es ist nicht nur eine Imageverbesserung, die rechte Vereinigungen durch einen höheren Frauenanteil erfahren, sie stabilisieren sich auch von innen heraus. War früher eine Frau von „draußen“ für Männer der häufigste Anlass für einen Ausstieig, finden sie heute innerhalb ihrer Cliquen, den Kameradschaften und Parteien gleich gesinnte Partnerinnen. Kinder, im nationalen Sinn erzogen, sollen der Szene langfristig zu einer stabilen Basis verhelfen. Michaela Köttig schätzt den Frauenanteil in den Kameradschaften auf etwa 30 bis 40 Prozent, in der NPD sind es laut Udo Voigt etwa 23 Prozent.
Cindy ist vor zwei Jahren über einen Kumpel in eine rechte Kameradschaft gekommen. Das Miteinander, die gemeinsamen Aktivitäten – das habe sie angesprochen. Sie ist 19 Jahre alt, aber mit ihrem geflochtenen Zopf und den Sommersprossen wirkt sie noch sehr mädchenhaft. Sie ist nur bereit, unter falschem Namen mit Journalisten zu sprechen, in Begleitung eines Kameraden. Ihr Chef soll nicht erfahren, dass sie mittlerweile den Stützpunkt der Jungen Nationaldemokraten in ihrer Heimatstadt mit leitet.
Sie hat sich ein idyllisches Plätzchen für das Interview ausgesucht: eine Anhöhe mit Blick über ei liebliches Tal im Herzen Thüringens, eine Wildblumenwiese, eine Burgruine im Hintergrund. „So schön ist unserer Heimat“, sagt Cindy. Das gelte es zu vermitteln: nach innen und nach außen.
Zunächst einmal an die eigenen Kinder. Die sollen sittlich erzogen werden, im Freien spielen, deutsche Bräuche kennen lernen. Noch hat Cindy keine Kinder. Dafür aber ganz konkrete Vorstellungen: „Zwei Jungs, ein Mädchen, vielleicht noch ein Nachzügler, das ist mein Traum.“
Derweil liegt es ihr am Herzen, den Kameraden die deutsche Kultur näher zu bringen. Politik, wie sie der RNF betreibt, findet sie gut, aber sie wirke lieber im Hintergrund. Mit einigen NPD-Kadern und Freunden hat sie eine Theatergruppe gegründet und Wagners „Tannhäuser“ einstudiert. Die Gruppe sei eine Alternative zur „linken Mainstream-Kultur“, wie ein Kamerad sagt.
Überzeugungsarbeit möchte Cindy auch nach außen leisten. „Mir steht ja nicht auf der Stirn geschrieben, dass ich rechts bin“, sagt sie selbstbewusst, deshalb könne sie gut neue Anhänger werben. „Wenn ich auf der Straße Jugendlichen begegne, spreche ich die einfach an.“ Meist seine sie gelangweilt, wüssten nicht wohin. Dann nimmt sie sie mit ins „braune Haus“ nach Jena, eine Art rechter Jugendklub, wo man zusammensitzt und Musik hört. „Es gibt nicht nur Rechtsrock, sondern auch rechten HipHop und rechten Techno“, sagt Cindy. „Wenn die Jugendlichen meinen Worten nicht zuhören, weil sei verblendet sind“, erklärt sie, „bekomme ich sie halt über die Musik.“
Die perfekte Schwiegertochter - für einen Kameradschaftsführer
Auch Judith Rothe, stellvertretende Bundessprecherin des RNF, nutzt die Tatsachse, dass man sie oft nicht erkennt. Selbst Bündnisse gegen Gewalt, Fremdenfeindlichkeit und Rechtsextremismus habe sie besucht und ihre Meinung kundgetan – häppchenweise. Sei sei auch gegen Gewalt, habe sie einfließen lassen und später hinzugefügt: gegen linke Gewalt und Ausländerkriminalität. Wenn sie nicht gleich verrate, dass sei in der NPD ist, erfahre sie oft Zustimmung.
Zum Interview hat sich die 28-Jährige ein Café ausgesucht, altmodisch mit holzgetäfelten Wänden. Ein paar Tische weiter haben sich vier ältere Damen zum Kaffeeklatsch zusammen gefunden. Eine lächelt herüber. Vielleicht denkt sie, dass Judith Rothe wie die Perfekte Schwiegertochter aussieht: randlose Brille, Nadelstreifenanzug, ein verschmitztes Lächeln. „Wir reden noch persönlich mit dem Bürger“, sagt Judith Rothe. Sie hat eine sanfte Stimme, einfühlsam, verständnisvoll.
Mit Lächeln und ohne Springerstiefel
Anfang des Jahres sei sie persönlich von Tür zu Tür gegangen, um Unterschriften zu sammeln, dafür, dass die NPD bei den Kreistagswahlen in Sachsen-Anhalt antreten dürfe. Dabei, erzählt sie, habe sie einmal ein Mann angesprochen, verblüfft, weil sie ja ganz normal sei – „so wie wir auch“. „Guter Mann“, habe sie darauf hin erwidert, „was haben Sie denn erwartet? Dass ich mit Springerstiefeln rumstehe?“
In Sotterhausen, dem Dort, in dem Judith Rothe und ihr Lebensgefährte Enrico Marx mit ihren beiden Kindern leben, erhielt sie bei den Kreistagswahlen 15 Prozent der Stimmen. Der RNF kommentiert auf seiner Website: „Dies zeigt einmal mehr überzeugend, dass dort, wo die Kandidaten persönlich bekannt sind, wo die Menschen, wissen, dass sie es mit ehrlichen Bürgervertretern zu tun haben, die Wahlergebnisse am besten sind.“
Im Elternrat der Schule sitzt sie auch
Probleme mit den Nachbarn oder anderen Eltern habe sie keine, behauptet Judith Rothe. Sie sei sogar im Elternrat an der Schule ihrer Söhne. „Von 24 Eltern gewählt“, sagt sie stolz. Obwohl die wüssten, wer sie und ihr Lebensgefährte seien. Wieder ein verschmitztes Lächeln.
Enrico Marx, der im Verfassungsschutzbericht Sachsen-Anhalts als „bekannter Neonazi“ beschrieben wird, ist ein bulliger Kerl, tätowiert, Glatze. Auf seinem Hof organisiere er „wiederholt Musikveranstaltungen mit rechtsextremistischen Bands“, an denen bis zu „300 Personen aus dem gesamten Bundesgebiet teilnahmen.“ Bei Enrico Marx und Judith Rothe laufen viele Fäden zusammen. ER produziert und vertreibt rechte Musik, ist Leider des lokalen JN-Stützpunktes und Kameradschaftsführer. Sie sitzt im Kreistag und ist RNF-Mitglied – aus NPD-Sicht ein Traumpaar.
Wenn sie beruflich unterwegs sei, erzählt Judith Rothe, kümmere sich ihre Lebensgefährte um die beiden Kinder, koche, mache die Wäsche. Das sei für ihn kein Problem. Dass die Polizei jedes Wochenende Männer vor ihrem Grundstück positioniert, der Verfassungsschutz sie beobachtet, Polizeitrupps die Veranstaltungen in ihrem Haus stürmen, hält sie für Schikane. Das seine Treffen mit Freunden, bei denen man Kaffee trinke, grille, musiziere.
Nicht alles glauben, was die Lehrerin sagt
Und was erklärt sie den Kindern, wenn in der Schule das Thema Nationalsozialismus angesprochen wird? Schon jetzt wüssten die Söhne, dass man nicht alles glauben muss, was die Lehrerin sagt. „Und bis das durchgenommen wird“, sagt sie, „habe ich sie so weit, dass sie in der Schule das sagen, was der Lehrer hören will, und zu Hause wird’s ein anderes Geschichtsbild geben.“
Wenn man Gitta Schüßler auf das Thema Nationalsozialismus anspricht, verdreht sie die Augen. „wir sind eine Partei, die in die Zukunft blickt, nicht in die Vergangenheit.“ Sie spricht lieber die Probleme der Gegenwart an: Hartz IV, mangelnde Anerkennung von Müttern, zu viel Multikulti. „Der Nationalsozialismus hat mit unserer Politik nichts zu tun.“ Seltsam nur das Plakat, das in ihrem „Bürgerbüro“ im sächsischen Meerane hängt, mit Joseph Goebbels darauf und dem von der BILD-Zeitung geklauten Slogan „Jede Wahrheit braucht einen Mutigen, der sie ausspricht.“ Gitta Schüßler lacht. Das sei nicht weiter ernst gemeint.
Sechs Wochen nach dem „JN-Sachsentag“ steht sie wieder hinter ihrem Losstand, diesmal in Hannover beim Wahlkampfauftakt der NPD Niedersachsen. Vorn auf dem Tisch liegen frisch gedruckte Flugblätter „Deutschland ist auch Frauensache“ – bezahlt vom Erlös beim Losverkauf auf dem „Sachsentag“. Auf der Bühne steht Annett, die „begnadete Liedermacherin“, wie Gitta Schüßler schwärmt. Annett Müller, 40, hauptberuflich Altenpflegerin, ist die bekannteste Liedermacherin der rechten Szene. Nach ihrem Auftritt schlendert sie am Losstand vorbei. Sie angelt sechs Lose aus der Schule, die ihr Gitta Schüßler entgegenhält. „Wahrscheinlich gewinne ich meine eigene CD“, scherzt Annett. Sei reißt das erste Los auf. Tatsächlich ein Gewinn. Ein Buch über Schmetterlinge.
"Passt ja, ne braune Sau"
„Nein danke, lass mal.“ Annett lacht und legt das Buch auf den Tisch zurück. „Ich gebe das als Spende zurück.“ „Nimm wenigstens einen Trostpreis.“ Gitta Schüßler greift in ein Körbchen voller bunter Steintiere, nimmt ein kleines, rostbraunes Schweinchen heraus und drückt es Annett in die Hand. Es stammt aus dem Bestand des Esoterikladens, den sie vor dem Landtagseinzug betrieben hat. Annett betrachtet das Tierchen und grinst. „Passt ja“, sagt sie „’ne braune Sau.“
Die Recherche zu dieser Reportage wurde durch das Gabriel-Grüner-Stipendium der Agentur Zeitenspiegel ermöglicht.
Leicht gekürzte Version des Artikels im stern, erschienen in Ausgabe Nr. 45, 31.10.2007