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Ein Projekt des Magazins stern und der Amadeu Antonio Stiftung
Wie wir aus eigener, oft schmerzlicher Erfahrung wissen, gibt es keinen Algorithmus für die Liebe. Wer warum wen liebt und ob diese Liebe hält, lässt sich einfach nicht errechnen. Bestenfalls zeigen Statistiken, also Erfahrungswerte, die einfach nur zusammengezählt werden, wie wahrscheinlich es ist, die Liebe des Lebens zu finden und dann auch zu behalten. Man kann ein derart komplexes Gefühl einfach nicht ausrechnen. Ebenso ist es mit dem Hass.
Ein Kommentar von Anetta Kahane
Gebe es einen Algorithmus dafür, Mark Zuckerberg hätte ihn ganz bestimmt schon bei Facebook installiert und Angela Merkel beim Dinner damit überrascht. Dann hätte er auf ihre Frage: “Was gedenken Sie gegen den Hass bei Facebook zu unternehmen?“ einfach eine Serviette mit einer draufgekrakelten Formel rüberschieben können. „Neuland“, hätte er lächelnd gesagt, „alles noch Neuland, aber wir arbeiten dran“. Dann hätte Angela Merkel zurücklächeln können. Aber so, ganz ohne Algorithmus muss sie zurück ins Altland, in dem nicht nur die Hilfsbereitschaft, sondern auch der Hass wächst und gedeiht. Dafür können die sozialen Medien leider nichts, obwohl das doch so schön gewesen wäre, wenn Deutschland dem amerikanischen Konzern Facebook, mit einem Juden namens Zuckerberg an der Spitze, die Schuld an rassistischem und antisemitischem Hass geben könnte. Gleiches gilt natürlich auch für Twitter und Google, aber da kennen wir die Namen der Chefs nicht auswendig.
Hass im Netz ist ein Problem. Die sozialen Netzwerke haben eine Verantwortung. Strafbares ist auch dort strafbar. Die Community kann nicht allein dagegen angehen. Der Staat auch nicht. Und Mark ebenso wenig, selbst wenn er über Algorithmen grübelt, muss auch sein Unternehmen wenigstens seine eigenen Gemeinschaftsregeln durchsetzen und Strafbares sowieso. In den letzten Wochen haben die Mitarbeiter der Amadeu Antonio Stiftung Facebook-Seiten unter den Titel „Nein zum Heim!“ gezählt. Sie kamen dabei auf 228 verteilt auf das gesamte und vereinte Deutschland. Allerdings zeigt sich eine Häufung in Sachsen mit 77 Seiten. Und zwar genau da, wo Nazistrukturen lange verankert sind – auch parlamentarisch- die Politik das nicht so schlimm fand, die Polizei mehr watschelt als standhält, wenn es um den Schutz von Flüchtlingen geht und überhaupt Sachsen und der Osten das ewige Opfer sind. Übergriffe und Hetze gegen die demokratische Ordnung lösen dann keine Großeinsätze aus, wenn die besorgten Bürger zu lieben vorgeben. So ist das mit der Liebe und dem Hass, denn wenn sich Leute vor dieser Art Liebe angeekelt abwenden, weil sie für eine offene Republik stehen, sind sie Gegenstand des Hasses. Deutschland ist eben keine nationalistische Kleingartenanlage mehr, die mit striktem Zaunregime niemanden reinlässt, der ein Abweichler, ein aus deren Norm fallender sein könnte. Das war einmal. Und ist an diesem Wochenende seit genau 25 Jahren vorbei.
Vor 25 Jahren befürchteten viele, dass im vereinten Deutschland der Hass, mit dem es in zwei Kriegen die Welt verwüstete, eine Renaissance erleben könnte. Neid, Aggression, Großmachtstreben der vermeintlich Zukurzgekommenen gemischt mit rassistischem und extrem antisemitischem Hochmut, das war stets die deutsche Mischung vor der sich die Welt zu Recht stets fürchtete. Das vereinte Deutschland schien diese Furcht nicht zu bestätigen. Nicht als Staat, nicht in seiner Rolle als demokratischer Verbündeter des Westens. Und doch gab und gibt es den Grund dieser Sorge und Angst weiter. Denn die Zutaten der explosiven Mischung existieren weiter, nur dass diese sogenannten Zukurzgekommenen ihrem Rassismus und Antisemitismus heute einen anderen Namen geben und damit alle bisherigen Erfahrungen auf den Kopf stellen. Sie sagen, sie hätten Angst und nur aus Angst wären sie so aggressiv. Aus Angst müssten sie Menschen jagen und schlagen, die nicht aussehen wie sie. Aus Angst würden sie Feuer legen und Menschen bedrohen. Und aus Angst seien sie gezwungen ihren Hass zu verbreiten sowohl digital wie analog.
Die deutsche Einheit kann nicht das Kriterium sein, ob es gelungen ist Deutschland zu rehabilitieren und zu integrieren. Das Kriterium für ein wirklich verändertes friedliches und offenes Deutschland ist, dass seine Gesellschaft Hass nicht mehr als Ausdruck patriotischer Liebe durchgehen lässt. Und Liebe da belässt wo sie ohne jeden Algorithmus hingehört – in den Universalismus von Menschlichkeit, Wärme und Zuneigung.
Foto via flickr: Sven (CC BY-SA 2.0)