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Während bundesweit Kritik am Bekenntniszwang für Anti-Nazi-Initiativen durch die Familienministerin Kristina Schröder laut wird, beschreitet das sächsische Innenministerium mit einer teilweise verschärften Version der „Extremismusklausel“ eigene Wege.
Von Anja Reuß
Am 9. Februar 2011 legte der sächsische Innenminister Markus Ulbig (CDU) den Wortlaut der sächsischen „Extremismusklausel“ vor, welche künftig Bestandteil der Förderung im Bereich des zivilgesellschaftlichen Engagements, insbesondere im Förderprogramm „Weltoffenes Sachsen“ sein wird. Die sächsische Landesregierung verlangt in dieser Erklärung nicht nur wie bei der „Extremismusklausel“ des Bundesfamilienministeriums ein Bekenntnis zur freiheitlich demokratischen Grundordnung von den Initiativen, die Fördermittel beantragen, sondern auch das die Initiativen Sorge dafür zu tragen haben, dass ihre Kooperationspartnerinnen und -partner ebenfalls eine solche Erklärung unterschreiben. Die Bespitzelung der Partner, die Überprüfung der Partner und Referenten mittels „googlen“, Verfassungsschutzberichten und dem Anlegen von Dossiers, wird dafür fallen gelassen.
Welches Demokratieverständnis die sächsischen Regierung dem zugrunde legt, wird in der Erklärung des Innenministers dazu recht deutlich. „Wer eine solche Erklärung als unzumutbar empfindet, entlarvt sich selbst“, so Ulbig. „Grundlage unseres Gemeinwesens ist die freiheitlich demokratische Grundordnung. Wenn Vereine und Initiativen, die sich vorgeblich der Demokratie verschrieben haben, sich kritisch zu den elementaren Grundwerten des Grundgesetzes äußern, können sie auch keine staatlichen Gelder zur Förderung von Demokratie und Toleranz empfangen“, so Ulbig weiter. Meinungsfreiheit im Allgemeinen, wie sie das Grundgesetz vorsieht, und Kritik im Besonderen sind demnach für sächsische Initiativen, die Fördermittel vom Land beziehen wollen, nur noch eingeschränkt und unter Beobachtung des Staates möglich.
Henning Homann, MdL und Landesvorstand der SPD kritisiert Ulbigs Vorlage scharf. Sie verdeutliche noch einmal wie die sächsische Regierung mit dieser Maßname ganz bewusst Projekte aus der Förderung drängen will. Homann kündigte zudem an, dass SPD, Linke und Grüne gemeinsam als Opposition gegen diesen Vorstoß der sächsischen Regierung arbeiten werden. Sie beurteilten den Kurs von Innenminister Ulbig als fatal.
Wissenschaftlicher Dienst zweifelt an Rechtmäßigkeit der Klausel
Nachdem Kristina Schröder sich auch nach dem Gutachten des Berliner Verfassungsrechtlers Battis nicht gewillt zeigte in der Frage um die „Extremismusklausel“ einzulenken, wächst die Kritik an der Klausel weiter. Bundestagsvizepräsident Wolfgang Thierse (SPD) beauftragte den wissenschaftlichen Dienst des Deutschen Bundestages mit der Erstellung eines zweiten Rechtsgutachtens, das auch die neueren ergänzenden Ausführungen des Familienministeriums zur Klausel bereits berücksichtigt. Auch dieses kommt zu dem Schluss, dass die Verfassungsmäßigkeit einer solchen Erklärung fraglich ist. Der Staat, so dass der Redaktion vorliegende Gutachten, habe in einem bloßen Zuwendungsverhältnis kein Recht, ein Bekenntnis zur freiheitlichen demokratischen Grundordnung zu verlangen, da der hohe Wert der verfassungsrechtlich geschützten Meinungsfreiheit dem entgegenstehe. Anders sei dies bei Verbeamtungen und Einbürgerungen. Thierse kommentiert das Gutachten: „ Wenn der Staat erwartet, dass Bürger für eine demokratische Kultur, also für die Grundlagen des demokratischen Staates selbst eintreten, so tut er gut daran, diesen Bürgern nicht a priori mit Misstrauen zu begegnen.“ Die umstrittene Klausel, stößt selbst innerhalb der Koalition auf Skepsis. Gegenüber der TAZ verurteilte der FDP-Bundestagsabgeordnete Stefan Ruppert am Dienstag die verlangte Bespitzelung von Kooperationspartnern als „überbürokratisiert“ und nicht praktikabel für die Träger. Zudem wird dadurch ein Klima des Misstrauens hergestellt, das nicht dazu beiträgt Neonazis und Diskriminierung zu bekämpfen, sondern vielmehr diese zu erschweren wenn nicht gar zu behindern.
Bundesländer finden Klausel kontraproduktiv
In den Ländern mehrt sich der Widerstand gegen die Klausel aus dem Hause Schröder. Nachdem Berlins Senator Ehrhart Körting (SPD) schon Ende Januar die Klausel für „nicht tauglich und rechtlich bedenklich" befunden hat, meldete sich vergangene Woche auch der Innenminister Sachsen-Anhalts Holger Hövelmann (SPD) zum Thema zu Wort. Er kritisierte den „Gesinnungs-Check“ der Bundesregierung und machte deutlich, dass seine Verfassungschutzbehörde für eine Gesinnungsüberprüfung, die über den Verfassungsschutzbericht hinausgehe, nicht zur Verfügung stünde. Zudem schwäche eine solche Erklärung zivilgesellschaftliches Engagement und sei in seinen Auswirkungen gefährlich. Auch auf der Bundespressekonferenz am 9. Februar bekräftigte er noch einmal seinen Standpunkt. Als Innenminister eines ostdeutschen Bundeslandes wisse er um die Schwierigkeit, Menschen dafür zu gewinnen, sich gegen Neonazis und Diskriminierung zu engagieren. Die jahrelange Arbeit, die man in den Aufbau von Strukturen im Kampf gegen Neonazis gesteckt habe, würden dadurch stark belastet und einen Rückschritt bedeuten.
Ähnlich schätzt auch Dietmar Woidke (SPD), Innenminister des Landes Brandenburg die erzwungene Erklärung ein. Die Klausel sei „völlig kontraproduktiv“ und sogar schädlich, die engagierten Bürgern mit „obrigkeitsstaatlichen Vorbehalten und bürokratischem Formalismus“ zu begegnen, behindere Engagement. Auch die Thüringer Sozialministerin, Heike Taubert (SPD) lehnt die Klausel ab, da erhebliche Bedenken im Hinblick auf deren Rechts- und Zweckmäßigkeit bestünden. Des Weiteren wurde von ihr eine rechtliche Prüfung der Erklärung beim Thüringer Justizministerium in Auftrag gegeben. Ungeachtet dessen will die thüringische Sozialministerin Schröder ebenfalls zu einer Rücknahme der Erklärung auffordern. „Soweit Landesmittel betroffen sind“, so Andreas Hoffmeier, Leiter des Büros der Ministerin, „wird Thüringen eine solche Erklärung nicht verlangen, da wir weder die Zuwendungsempfänger noch die möglichen Partner unter Generalverdacht stellen wollen.“
Gleichermaßen kritisiert auch die Sozialministerin aus Mecklenburg-Vorpommern Manuela Schwesig das Vorgehen der Bundesministerin. "Die Mitstreiter für Demokratie und Toleranz brauchen Motivation und nicht das ganze Gegenteil davon."
Zentralräte kritisieren Misstrauen gegen Zivilgesellschaft
Auch die Zentralräte von Juden und Muslimen in Deutschland schlossen sich dieser Kritik an. Aiman Mazyek, Vorsitzender des Zentralrats der Muslime und Stephan Kramer, Generalsekretär des Zentralrates der Juden verurteilten Schröders Kurs als Versuch, die Zivilgesellschaft auf eine politische Richtung einzuschwören und dabei rechtsstaatliche Prinzipien umzukehren. Mazyek kritisierte zudem auch den Umgang des Ministeriums mit den Muslimen, die ebenfalls unter den Generalverdacht gestellt werden, nicht demokratisch zu sein. Für beide Vertreter ist klar, sich gegen die Klausel einzusetzen. Kramer nannte die Familienministerin in der Diskussion um die Klausel „beratungsresistent“ und kündigte für den Fall einer Klage des Landes Berlin an, sich dieser möglicherweise anzuschließen. Vertreter der Zivilgesellschaft kritisieren seit Jahren die Politik des Familienministeriums gegenüber der Zivilgesellschaft: „Kooperation und Unterstützung im Kampf gegen rechte Gewalt könnten ganz anders aussehen“, so Timo Reinfrank von der Amadeu Antonio Stiftung aus Berlin.
Foto: Bundespressekonferenz vom 9. Februar, (v.l.n.r.) Grit Hanneforth, Holger Hövelmann, Aiman Mazyek, Stephan Kramer, ngn, c