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Ein Projekt des Magazins stern und der Amadeu Antonio Stiftung
Seit der Verleihung des Sächsischen Förderpreises für Demokratie im November 2010 ist die „Extremismusklausel“ des Familienministeriums in aller Munde. Verfassungsrechtliche Bedenken werden gegen sie angeführt.
Von Nora Winter
„Die Proteste zeigen, dass wir einen wunden Punkt getroffen haben“, sagte Bundesfamilienministerin Kristina Schröder kürzlich dem SPIEGEL. Schröder will alle Projekte und Initiativen, die sich im Rahmen der Bundesprogramme „TOLERANZ FÖRDERN - KOMPETENZ STÄRKEN“ und „INITIATIVE DEMOKRATIE STÄRKEN“ fördern lassen wollen, eine Erklärung unterschreiben lassen, die schon seit der Verleihung des Sächsischen Förderpreises für Demokratie im November vergangenen Jahres die Gemüter erregt. Doch diese erregten Gemüter sind keine betroffenen Hunde, die nun bellen, wie Schröder es interpretieren möchte. Vielmehr haben die Projekte und Initiativen berechtigte Bedenken gegen die Politik des Ministeriums.
Schnüffelei
Die verlangte Erklärung beinhaltet ein Bekenntnis zur freiheitlichen demokratischen Grundordnung (fdGO) und eine Verpflichtungserklärung zukünftige Partnerinnen und Partner ebenso auf ihre Grundgesetztreue zu überprüfen. Das Bekenntnis zum Grundgesetz ist für die Projekte nicht das Problem. Die Ministerien verlangen es schon seit längerem - zumindest indirekt. Vielmehr geht es um die zwei anderen Absätze der Klausel. „Diese Aufforderung zur Schnüffelei ist eine Zumutung“, sagt Anetta Kahane, Vorsitzende der Amadeu Antonio Stiftung. Auch die Stiftung wurde bereits aufgefordert, die Erklärung zu unterschreiben. Sonst hätte die Stiftung die jährlichen „Aktionswochen gegen Antisemitismus“ nicht organisieren können. So sagte Anetta Kahane auch dem SPIEGEL: „Hätte ich mich zum Märtyrer machen und auf das Geld verzichten sollen?“ Ihre Einwände schrieb sie ebenso unter die Erklärung. „Grundsätzlich ist es nicht Aufgabe freier Träger, die Überprüfung Dritter auf Verfassungstreue zu vollziehen“, so der Wortlaut. Eine verfassungsrechtliche Prüfung der Erklärung sei damit dringend notwendig.
Verfassungsrechtliche Bedenken
Prof. Dr. Dr. h.c. Ulrich Battis von der Juristischen Fakultät der Humboldt-Universität hat ein Gutachten zur Extremismus-Klausel angefertigt. „Der zweite Teil der Klausel ist zu unbestimmt und ungeeignet“, sagte Battis im Interview mit Mut-gegen-rechte-Gewalt.de. „Der Staat darf hier nicht ins Blaue hinein formulieren. Die politische Willensbildung funktioniert laut Grundgesetz von unten nach oben. Und nicht umgekehrt“, so Battis weiter. Die verlangte Schnüffelei ist in dieser Weise ein unverhältnismäßiger Eingriff des Staates.
Indizien
Den Vorwurf selbst nicht verfassungsgemäß zu handeln, will das Ministerium natürlich nicht auf sich sitzen lassen. Zu den ungeeigneten und unbestimmten Formulierungen der Klausel gibt es seit dem 12. Janaur die Anlage „Hinweise zur Erklärung für Demokratie“, die allerdings immer noch offene Fragen lässt und vom Prinzip der Schnüffelei nicht abweicht. So bleiben Verfassungsschutzberichte Nachschlagewerke zur Erörterung, ob potenzielle Partnerinnen und Partner nun auf dem Boden der fdGO seien oder nicht – die Verfassungsschutzberichte werden aber einerseits als „Indiz“ und andererseits als ausdrücklich klare Quelle ausgewiesen. Indizien sind aber keine Beweise und Verfassungswidrigkeit stellt in der Bundesrepublik immer noch nur das Bundesverfassungsgericht fest, nicht der Verfassungsschutz.
„Obrigkeitsstaatliche Machtausübung“
„Geradezu fatal ist die Formulierung, dass auch nur der ‚Anschein‘ vermieden werden müsse, mit Extremisten zusammenzuarbeiten“, schreibt Prof. Dr. Gesine Schwan von der Viadrina Universität unter der Überschrift „Schnüffelmentalität statt Demokratieförderung“. „Das eröffnet politischer Manipulation und willkürlichem Behördenverdacht Tür und Tor und erstickt die demokratische Auseinandersetzung zugunsten von arroganter obrigkeitsstaatlicher Machtausübung“, so Schwan weiter. Es bleibt, wie nun die Formulierungen des Ministeriums auch ausfallen mögen, immer noch grundsätzlich problematisch, Projekte, die sich für Demokratie und gegen Rassismus, Antisemitismus und Neonazis einsetzen, aufzufordern, Partnerinnen und Partner auf ihre Demokratiefähigkeit zu überprüfen. Die Projekte sind ohnehin chronisch unterfinanziert und können ihre eigene Arbeit, nur mit vielen Überstunden verrichten. Die Überprüfung potentieller Partnerinnen und Partner bürdet nun noch mehr bürokratischen Aufwand auf, der die Projekte von ihrer eigentlichen Aufgabe, dem Engagement für Demokratie abhält.
Aufruf "Extreme Zeiten"
Viele freie Träger, Projekte und Initiativen treffen oder trafen sich schon, um über die Extremismusklausel und deren Konsequenzen zu diskutieren. Mit sechs guten Gründen gegen die „Extremismuserklärung“ argumentieren der Verein für demokratische Kultur in Berlin e.V., Aktion Sühnezeichen Friedensdienste e.V., das Kulturbüro Sachsen e.V. und die Opferperspektive Brandenburg e.V. für eine starke Zivilgesellschaft und gegen ein „Klima des Misstrauens und der Denunziation“. Nur eine lebendige Demokratie könne glaubwürdig für demokratische Werte eintreten. Mit einem Aufruf fordern sie, dass die „Bespitzelungsaufforderungen“ aus den Zuwendungsbescheiden der Programme „TOLERANZ FÖRDERN - KOMPETENZ STÄRKEN“ und „INITIATIVE DEMOKRATIE STÄRKEN“ ersatzlos gestrichen werden. Der 1. Februar wird zum Aktionstag erklärt. Idee ist, Faxe an das Familienministerium und die Bundeskanzlerin zu schicken, in denen gegen die "Extremismusklausel" protestiert wird.
Foto: Conanil via Flickr, cc
Sechs gute Gründe gegen die "Extremismuserklärung"
Faxvorlagen zum Aktionstag am 1. Februar
Die "Extremismusklausel": Bestätigung
Erläuterungen zur Klausel: Hinweise zur Erklärung für Demokratie
Schon früher wiesen Ministerien auf die Bedingungen staatlicher Förderung hin:
Merkblatt: Inanspruchnahme staatlicher Leistungen durch extremistische Organisationen