Das Portal
für Engagement
Ein Projekt des Magazins stern und der Amadeu Antonio Stiftung
Januar: In Zossen wird das „Haus der Demokratie“ von Neonazis niedergebrannt, seit der Eröffnung wird die Initiative immer wieder Opfer von Verwüstungen, Schmierereien und sogar Morddrohungen. Gleichzeitig müssen sich diejenigen, die sich gegen Neonazis einsetzen, für ihre Gesinnung rechtfertigen. Das a.i.d.a.-Archiv in München muss gerichtlich gegen seine Nennung im bayerischen Verfassungsschutzbericht 2008 vorgehen. Ohne Begründung wird der Verein, der seit 20 Jahren das Treiben Neonazis in Bayern dokumentiert, als „linksextremistische und linksextremistisch beeinflusste Organisation“ eingestuft. Dem Archiv entgehen dadurch zahlreiche öffentliche Gelder, die weitere Arbeit ist akut gefährdet.
Februar: Immer wieder nehmen Neonazis die Jahrestage der Bombardierung deutscher Städte zum Anlass, ihren neonazistischen Opferkult zu betreiben. Die sogenannten „Trauermärsche“ durch Magdeburg, Cottbus, Lübeck und zahlreiche andere Städte zeigen, dass Neonazis nach wie vor ein großes Problem sind. Doch ein breites Zivilgesellschaftliches Bündnis kann Europas größtes Zusammentreffen in Dresden am 13. Februar verhindern. Viele Tausend Engagierte wollen den Revisionisten das Feld nicht überlassen und zeigen gemeinsam Gesicht gegen Neonazis. Das Beispiel Dresden macht Schule: immer wieder versuchen Menschen, durch Sitzblockaden den Aufmarsch von Neonazis zu verhindern, teilweise mit Erfolg. Schon jetzt haben die Vorbereitungen für eine erneute Blockade in Dresden 2011 begonnen.
März: In Berlin häufen sich Anschläge und Übergriffe durch Neonazis. Seit dem Vorjahr gibt es eine Angriffswelle gegen Kulturelle Einrichtungen, Hausprojekte und Parteibüros. Ein breites Bündnis will ein politisches Signal setzen und sich zu gemeinsamen Aktionen vernetzen. In den Bezirksverordnetenversammlungen wird das Thema nun zunehmend berücksichtigt, auch weil die NPD in einigen Bezirken in den Parlamenten aktiv ist. Mit Unterstützung von "Mut gegen rechte Gewalt" entsteht eine Internetseite zur „Auseinandersetzung mit Rechtsextremismus in kommunalen Gremien in Berlin“.
Foto: Simone Rafael, netz-gegen-nazis.de
April: Bei den diesjährigen „Weinheimer Gesprächen“, einem Wissenschafts-Praxis-Dialog geht es in diesem Jahr um Medien im lokalen Raum. Wenn es um das Thema Neonazis geht, schaffen es meist nur noch die besonders gewalttätigen Ereignisse in die Medien. Dort wo gar nicht mehr berichtet wird, werden die kostenlosen Blätter der NPD aktiv, diese übernehmen dann die Deutungshoheit. Weil sich auch "Mut gegen rechte Gewalt" in der Verantwortung einer nachhaltigen Berichterstattung über rechte Umtriebe sieht, wird es auf einer Veranstaltung zum zehnten Geburtstag der stern-Aktion vor allem um die Lokalblätter der Neonazis gehen.
Foto: Screenshot
Mai: Weil Neonazis in Sozialen Netzwerken immer offensiver auftreten, wollen viele Nutzerinnen und Nutzer, dass die Betreiber aktiv werden. An einem Online-Flashmob auf Facebook beteiligen sich über eine viertel Million, in einem offenen Brief fordern sie die Löschung der NPD-Fanseite. Dank niedriger Hemmschwelle lassen sich für Protest im Web 2.0 schnell viele Menschen mobilisieren. An diesen Erfolg knüpft netz-gegen-nazis.de an und initiiert im Oktober die Kampagne „Soziale Netzwerke gegen Nazis“, an der sich 57 Netzwerke und mehrere Hunderttausend Nutzerinnen und Nutzer beteiligen.
Juni: Der rassistische Mord an Alberto Adriano jährt sich zum zehnten Mal. Sein Schicksal bewegte viele, darunter auch die Brothers Keepers, die sich seither gegen Neonazis einsetzen. Aber auch das Magazin stern erkannte die Notwendigkeit, verstärkt über rechte Gewalt zu berichten und zu Zivilcourage aufzurufen. In Zusammenarbeit mit der Amadeu Antonio Stiftung entstand 2000 das Informationsportal Mut-gegen-rechte-Gewalt.de. Mit prominenter Unterstützung können zahlreiche Projekte gefördert werden, die sich für ein tolerantes Miteinander und gegen rassistische Gewalt einsetzen.
Foto: Diakonisches Werk Havelland e.V
Juli: Weil sich über die Jahre in Rathenow und Umgebung feste Neonazi-Strukturen aus NPD, freien Kameradschaften und rechtem Lifestyle entwickelt etablierten, haben sich Jugendliche zusammengetan, um mit einem Festival andere zu ermutigen, sich gegen Rechts zu engagieren. Mit Unterstützung von "Mut gegen rechte Gewalt" konnte das „Laut & Bunt“ nun schon zum dritten Mal stattfinden und mehrere hundert Gäste anziehen.
Foto: tbee via flickr, cc
August: Allein in diesem Monat gab es in Sachsen drei Brandanschläge auf Wohnprojekte und die Autos eines soziokulturellen Vereins. Damit setzt sich eine Reihe von Brandanschlägen durch Neonazis in Sachsen fort, die seit Jahresbeginn mehr als ein Dutzend mal Imbisswagen und Lokale von Migrantinnen und Migranten, Kultureinrichtungen und Wohnprojekte in Flammen setzten. Währenddessen macht Thilo Sarrazin mit seinem Buch „Deutschland schafft sich ab“ Schlagzeilen und setzt mit seinen rassistischen Thesen eine Debatte um die „Bedrohung“ Deutschlands durch Muslime in Gang. Im Laufe der nächsten Monate erfahren rechtspopulistische Parteien, die auf die zunehmende Angst vor Islamisierung setzen, vermehrten Zulauf.
Foto: Expo
September: Bei den Parlamentswahlen in Schweden können die Rechtspopulisten Sverigedemokraterna 20 Sitze erringen. Auch in Schweden scheinen die Themen Einwanderung und Integration große Ängste auszulösen. Damit hierzulande der erneute Einzug der NPD in den Landtag Mecklenburg-Vorpommern verhindert werden kann, startet die Amadeu Antonio Stiftung dort ihre Kampagne „Kein Ort für Neonazis“, die "Mut gegen rechte Gewalt" dokumentieren wird.
Foto: Privat
November: Der Übergriff auf Amadeu Antonio Kiowa in Eberswalde jährt sich zum zwanzigsten Mal. In Eberswalde diskutieren der damalige Bürgermeister, die damalige Ausländerbeauftragte, Sozialarbeiter und der Arbeitskollegen von Amadeu Antonio über die Tat und die Stimmung in Eberswalde.
In Dresden sorgt außerdem die Verleihung des Sächsischen Förderpreis für Demokratie für Wirbel. Eines der nominierten Projekte, das AKuBiZ e.V. aus Pirna, lehnte die Unterzeichnung einer sogenannten „Extremismus-Klausel“ ab, weil sie die Überprüfung der demokratischen Gesinnung von Projektpartnern fordert. Der Sächsische Innenminister will diese Klausel zukünftig zur Bedingung für jegliche Förderung machen.
Foto: VoThoGrafie via Flickr, cc
Dezember: Die Änderung der Bundesprogramme gegen Rechtsextremismus sorgt für Verunsicherung. Die Bundesregierung hat den Aufgabenbereich der bisherigen Programme auf „jede Form extremistischer Gewalt“ ausgedehnt und zugleich die Finanzierungsbedingungen erschwert. Die Fortführung mehrerer Projekte ist im nächsten Jahr akut gefährdet, einige Initiativen mussten schon in diesem Jahr Stellen kürzen. Währenddessen hält die Regierung an einem diffusen Extremismusbegriff fest, der zunehmende rassistische Tendenzen in der Mitte der Gesellschaft vernachlässigt.
Von Robert Fähmel