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Am 16. Oktober wollen Neonazis in Leipzig gleich vier mal demonstrieren. Damit proben sie eine neue Taktik für den jährlichen Aufmarsch in Dresden. Am 14. Oktober hat die Polizei vorerst die Demos zu einer einzigen Kundgebung zusammen gefasst. Die Neonazis klagen schon dagegen.
Von Andreas Winter
Vier Naziaufmärsche an einem Tag. Auf dieses neue Demonstrationskonzept der Neonazis werden sich die Gegenaktivitäten einstellen müssen. Vor einem Jahr konnt der Aufmarsch der Neonazis in Leipzig durch friedliches zivilgesellschaftliches Engagement blockiert und damit vorzeitig aufgelöst werden. Auch in diesem Jahr bemüht sich ein breites Bündnis, den Neonazis keinen Raum zum Verbreiten ihrer menschenverachtenden Ideologien zu bieten. 2009 standen die Neonazis in Leipzig in einem Kessel von Polizistinnen und Polizisten. Zu viele Gegendemonstrierende hatten sich ihnen in den Weg gestellt. Nach einiger Zeit wurden die Neonazis nervös: Sie gröhlten und warfen mit Flaschen. Aber auch das half ihnen nichts. Zum Jubiläum der „Friedlichen Revolution“ in Leipzig wollte man Neonazis nicht laufen lassen. Doch was passiert in diesem Jahr?
Was wollen die Neonazis?
Unter dem harmlos wirkenden Motto „Recht auf Zukunft“ wurden die vier geplanten Demonstrationen zusammengefasst. Wenn man sich jedoch bewusst macht, dass unter diesem Slogan höchstens die Zukunft „volkstreuer Blutdeutscher“ gemeint ist, sieht das schon ganz anders aus. Sieht man sich die einzelnen Titel der angemeldeten Demonstrationen und die Biographien der Anmelder an, bleibt wenig vom harmlosen Image.
Istvan Repaczki am 13. Februar 2010 in Dresden
Die erste Demonstration wurde unter dem Titel „Gegen Polizeiwillkür und staatliche Gewalt“ von Istvan Repaczki angemeldet. Repaczki ist NPD-Stadtratskandidat in Leipzig und bekanntes Gesicht der Leipziger „Freien Kräfte“. In Thüringen traten die "Freien Kräfte Leipzig" schon als Ordner auf Neonazi-Veranstaltungen auf. Auch bei dem jährlichen Neonazi-Aufmarsch in Dresden war Repaczki anwesend. Das Motto der Demosntration soll zugleich auf den Leipziger Aufmarsch von 2009 anspielen. Als Neonazis mit Feuerwerkskörpern, Stangen, Flaschen und Steinen Polizeibeamte angriffen, wurden die Personalien von insgesamt 1.349 Nazis aufgenommen und ein Strafverfahren gegen sie eingeleitet.
Demonstration Nummer Zwei trägt das Motto „Kapitalismus abschalten – Zinsherrschaft brechen“ und zeugt damit von Antisemistismus und einem Antikapitalismus, der Feindbilder aufbaut und das „jüdische Kapital“ vernichten will, um vermeintlich „ehrliche deutsche Arbeit“ hochzuloben. Anmelder dieser Demonstration ist Tommy Naumann, der im November 2008 zum JN-Landesvorsitzenden in Sachsen gewählt wurde.
Weiter geht es mit der Demonstration Nummer Drei, welche das Motto „Zukunft statt Krisenzeiten“ trägt und von Maik Scheffler aus Delitzsch ebenfalls für die JN angemeldet wurde. Den Abschluss macht die vierte Demonstration mit dem kruden, martialischen Motto „Laber nicht – Erkämpf dir deine Zukunft!“ Zuerst sollte sie unter dem Motto „Gegen linksradikale Hetze durch Roter Stern Leipzig“ angemeldet werden, doch dann entschieden sich die Neonazis anders. Angemeldet wurde sie durch Enrico Böhm, der schon als Hooligan aus dem Umfeld der „Blue Caps LE“, einer Fangruppierung des 1. FC Lokomotive Leipzig, deren Nähe zur Neonazi-Szene kein Geheimnis unter Fußballfans ist, von sich reden machte.
Demos vorerst zu Kundgebung zusammengefasst
Es wird vermutet, dass die Neonazis mit der Taktik der parallelen Aufmärsche neue Demonstrationsstrategien, vor allem auch für den „Gedenkmarsch“ in Dresden nächstes Jahr ausprobieren wollen. Durch die parallel laufenden Demonstrationen bietet sich für die Neonazis die Möglichkeit, Polizeikräfte und Protestierende zu dezentralisieren und vor allem auch ihre eigene Mobilität erhöhen zu können, da sie von der Polizei verlangen könnten, zu einem der anderen Kundgebungsorte gebracht zu werden. Jedoch lässt sich bis jetzt noch nicht endgültig sagen, welche der Routen und Demonstrationen überhaupt endgültig genehmigt werden. Die Polizei verbat zwar am 14. Oktober die Demonstration von Enrico Böhm aufgrund seiner Vorstrafen und legte die drei anderen als Sternmarsch geplanten Aufmärsche zu einer stationären Kundgebung von 13 – 17 Uhr im Bereich Brandenburger Straße / Höhe Hauptbahnhof Ostseite zusammen. Jedoch ist es keineswegs sicher, dass die Verbote bis Samstag Bestand haben werden. Die Neonazis haben schon mit ihren Anwälten gesprochen und Widerspruch eingelegt. Alles kann sich also auch wieder ändern. Zu rechnen ist wohl nicht mit allen vier Demonstrationen, aber auch nicht mit nur einer Kundgebung.
Auf nach Leipzig
Fest steht jedoch, dass mehrere Bündnisse und Gruppen für Protest sorgen werden. So ruft das Aktionsnetzwerk „Leipzig nimmt Platz“ zu Sitzblockaden auf, das Bündnis „Roter Oktober“ mobilisiert ebenfalls zu Gegenaktivitäten. Bislang sind laut Ordnungsamt 40 Protestveranstaltungen, darunter vier Demos, und 52 Mahnwachen angemeldet. Der Leipziger Oberbürgermeister Burkhard Jung und der Stadtrat Leipzig sprachen sich ebenfalls für gewaltfreien Protest am 16. Oktober aus. Ein WAP-Ticker wird über den Verlauf der Naziaktivitäten und der Proteste berichten. Also am Wochenende auf nach Leipzig!
Foto1: Neonazis mit ähnlichem Motto in Berlin am 1. Mai 2010, sr, c
Foto2: sr, c
Mehr Informationen:
leipzignimmtplatz.blogsport.de
1610.blogsport.de
Liste der Mahnwachen
Karte der vorläufigen Neonazirouten
WAP-Ticker: ticker.hopto.org
Twitter: @L1610 / twitter.com/L1610
Live-Radio: Demoradio | Samstag, 6. Oktober | 14-19 Uhr (12-20 Uhr)
UKW – 99,2 MHz, 94,4 MHz, 89,2 MHz
Kabel – 97,9 MHz (primacom, an!)
Livestream – stream.radioblau.de
Update 15.10.2010
Das Verwaltungsgericht Leipzig hat den Widerspruch der Neonazis gegen die gestern verhängten Auflagen abgelehnt. Nun liegt es an der nächsten Instanz: dem Oberverwaltungsgericht Bautzen. Erfahrungsgemäß werden dort einige Auflagen abgeschwächt. Die Entscheidung wird aber sehr kurzfristig eintreffen.
Außerdem hieß es, dass neben der bisher genehmigten Neonazikundgebung auch zu "spontanen" Aktionen seitens der Neonazis aufgerufen wird. Schon in Berlin zum 1. Mai 2010 tauchten plötzlich mehrere hundert Neonazis nicht auf der angemeldeten Demonstration im Prenzlauer Berg, sondern am West-Berliner Kurfürsten Damm auf.
Die Gegenbündnisse mobilisieren weiterhin und reagieren auf die veränderten Situationen. Aktuelleste Informationen gibt es unter den oben stehenden Links.