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Mord an Richter in Moskau - Die Polizei vermutet eine Racheaktion von Rechtsradikalen


In Moskau ist ein ranghoher Richter ermordet worden. Drahtzieher sind vermutlich Rechtsradikale, die sich für ihre Verurteilung rächen wollten. Ihr Zorn richtete sich zuletzt auch gegen Anwälte und Menschenrechtler.


Er war schon länger im Visier von Extremisten, auf rechtsradikalen Websites kursierte seine Foto, aber Personenschutz lehnte Eduard Tschuwaschow bis zuletzt ab. Am Montagmorgen wurde dem Moskauer Richter sein Mut zum Verhängnis. Ein junger Unbekannter hat den 47-Jährigen im Treppenhaus vor seiner Wohnung mit Schüssen in Kopf und Brust getötet. Tschuwaschow war für seinen Einsatz gegen Rechtsradikale bekannt, zuletzt hatte er eine Gruppe von neun Skinheads wegen rassistisch motivierter Morde zu Haftstrafen zwischen 61⁄2 und 23 Jahren verurteilt. Die Ermittler haben kaum Zweifel daran, dass der Richter aus Rache für eine Verurteilung getötet wurde. Er war Spezialist für Schwerverbrechen und Morde am Moskauer Gericht. Erst im Februar hatte Tschuwaschow das Urteil gegen die «WeissenWölfe» gesprochen, eine Bande von Skinheads zwischen 17 und 22 Jahren, denen elf Morde und ein Mordversuch zur Last gelegt wurden. Die Gruppe machte seit mehr als zwei Jahren in Moskau Jagd auf Nichtslawen, vor allem Gastarbeiter aus Zentralasien und dem Kaukasus, die zu Tausenden in die russische Hauptstadt strömen.

Auf dem Höhepunkt der Wirtschaftskrise war in Russland, und besonders in Moskau, die Zahl der Gewaltverbrechen und Morde an Ausländern dramatisch gestiegen. Doch im vergangenen Jahr konnte das antirassistische Informationszentrum Sowa (Eule) in Moskau erstmals seit sechs Jahren einen leichten Rückgang der Gewalt vermelden. Im Jahr 2009 waren 70 rassistische Morde registriert worden, im Vorjahr waren es noch 109. Zu positiven Prognosen gibt es dennoch kaum Anlass, die rechtsradikale Gewalt hat sich offenbar nur verlagert. Statt Morde an beliebigen Ausländern zählten die Experten Dutzende Brandanschlägerechter Gruppen auf Polizeistationen und Militärbehörden. Bereits in der Vergangenheit hatten militante Nationalisten Anschläge verübt, 2005 auf einen Zug von Moskau nach Grosny, 2007 auf ein Restaurant der Fast-Food-Kette McDonald’s in St. Petersburg. Auch nach dem Anschlag auf den Schnellzug Newski-Express im vergangenen November wurden neben nordkaukasischen Terroristen sogleich rechtsextremistische Organisationen als Täter vermutet.

Zielscheibe der Rechtsextremen wurden zuletzt zunehmend auch Anwälte, Menschenrechtler und Aktivisten, die sich für die Rechte der Opfer eingesetzt hatten. Das prominenteste Beispiel ist der Menschenrechtsanwalt Stanislaw Markelow, der im Januar 2009 in Moskau auf offener Strasse erschossen wurde, gemeinsam mit seiner Begleiterin, der Journalistin Anastasija Barburowa. Für diese Morde stehen inzwischen zwei Rechtsradikale vor Gericht. Ebenfalls 2009 wurden die Antifaschisten Iwan Chutorskoi und Ilja Dschaparidse ermordet.

Viele Aktivisten sind Morddrohungen ausgesetzt, so auch der Richter Eduard Tschuwaschow. Spätestens seit Ende des vergangenen Jahres, als der Prozess gegen die «Weissen Wölfe» bereits im Gange war, wurden im Internet Drohungen gegen den Juristen veröffentlicht. Eine Organisation, die Rechtsradikalen Rechtshilfe anbietet, soll sogar eine Tonbandaufnahme des Richters während eines Prozesses auf ihre Site gestellt haben.

Nach der Ermordung Tschuwaschows forderten Politiker am Montag in Moskau, den Personenschutz für Richter mit vergleichbar gefährlicher Tätigkeit zu erhöhen. Viele Menschenrechtler sehen die Wurzel des Übels im russischen Strafgesetz selbst. Dieses sieht keine Strafen für rassistische Diskriminierung und ähnliche Delikte vor. Problematisch beurteilen Bürgerrechtler auch das tägliche Verhalten der Staatsmacht gegenüber Ausländern und Gastarbeitern. Bei Polizeikontrollen werden besonders Passanten nichtslawischen Aussehens häufig schikaniert. Die Atmosphäre der Fremdenfeindlichkeit schaffe der Staat selbst, klagen russische Antifaschisten.

Von Ann-Dorit Boy, Moskau
Erschienen in der "Neuen Züricher Zeitung" am 13.04.2010
Mit freundlicher Genehmigung der "
Neuen Züricher Zeitung"
Foto: jaimie.silva via flickr

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