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Der Angriff von 50 Neonazis auf Fans und Spieler des Roten Sterns Leipzig im sächsischen Brandis im vergangenen Jahr hat viele Schlagzeilen gemacht. Am 7. April soll das Spiel wiederholt werden. Der „Rote Stern“ und seine Unterstützerinnen und Unterstützer rufen zur Demonstration auf.
Sie rechneten mit einem ganz gewöhnlichen Fußballspiel. Gewöhnlich. Das bedeutet für die Mitglieder vom Roten Stern Leipzig (RSL) die Präsenz einiger klischeehafter Dorfnazis, "Zecken"-Rufe, hier eine diskriminierende Beschimpfung, da ein wenig Schikane von Seiten des Gastgebers. Im unterklassigen Fußball, insbesondere bei Provinzvereinen, ist das die banale alltägliche Realität. Doch als am 24. Oktober 2009 im sächsischen Ort Brandis die Bezirksklassepartie zwischen dem gastgebenden FSV Brandis und dem RSL angepfiffen wurde, kam es anders. Dass kurz nach Anpfiff ca. 50 Neonazis das Sportplatzgelände stürmten und mit Eisenstangen, Holzlatten und anderen Gegenständen bewaffnet Spieler sowie Anhängerinnen und Anhänger des Roten Sterns angriffen, überstieg dann doch die ohnehin schon düsteren Erwartungen. Mehrere Personen wurden verletzt, drei davon schwer. Die Angreifer konnten, vor allem durch den Zusammenhalt und die notdürftige Verteidigung der angegriffenen Fans und Spieler abgewehrt werden.
Der "Fall Brandis" als Medienspektakel
Der Vorfall erhielt auch von überregionalen Medien eine Menge Aufmerksamkeit. Das lag nicht zuletzt an einer, für einen relativ kleinen, selbstorganisierten Fußballverein außergewöhnlich intensiven Öffentlichkeitsarbeit. Dem Selbstverständnis des Vereins zufolge, ging es hierbei um mehr als nur um Medienpräsenz: "Wir haben den Roten Stern Leipzig im Jahr 1999 als antifaschistisches Sportprojekt gegründet, weil wir einen Verein haben wollten, der anders ist. Wir hören nicht weg, wenn rassistische, sexistische, homophobe und nationalistische Aussagen auf dem Sportplatz fallen, sondern beziehen ganz klar dagegen Stellung." Vielen Betroffenen fiel dieser Prozess jedoch alles andere als leicht. Die dauerhafte Präsenz des Falles machte es lange unmöglich, das Geschehen auch individuell zu verarbeiten. Insbesondere bei den Fußballspielen in den Wochen nach dem Vorfall, war die Belastung ganz deutlich zu spüren. Das politische Engagement hatte beim RSL nie einer befreiten, ungezwungenen, begeisterten Stimmung auf dem Sportplatz und den Zuschauerrängen im Wege gestanden. Bis jetzt.
... und vor Gericht
Nach dem Jahreswechsel waren es dann vor allem die juristischen Reaktionen auf das Ereignis, die Betroffene und Öffentlichkeit erregten. Auf der einen Seite stehen da die laufenden Verhandlungen gegen die bislang identifizierten Täter. Bisher wurden zwei Angeklagte zu mehrjähriger Haft verurteilt. Auf der anderen Seite gab es bereits im Januar das Sportgerichtsverfahren, das zu Lasten des RSL ausfiel. Hierbei ging es um die Verantwortung des FSV Brandis und damit auch um die Wertung der abgebrochenen Partie. Es wurde nach entsprechendem Plädoyer des Fußballverbandschefs dafür entschieden, das Spiel zu wiederholen; die Verfahrenskosten musste der Rote Stern tragen. Der Tenor war deutlich: Der Vorfall mag schrecklich sein und die Täter gehören verurteilt, aber vor dem Auftauchen des RSL kam es schließlich nie zu irgendwelchen Vorkommnissen. Woraus sich folgern lässt: Selbst schuld, wenn du im Leipziger Umland deine antifaschistische Gesinnung auf die Straßen trägst.
Erst die Demo, dann das Spiel
In Folge dieses Verfahrens trafen Mitglieder, Anhängerinnen und Sympathisanten des Vereins die Entscheidung, zum Termin des Nachholspiels eine Demonstration in Brandis durchzuführen. Es war Konsens, dass sich das Geschehen mit einigen Diskussionen und Verurteilungen von Tätern nicht erledigt hat. Die Skandalisierung des Falles darf nicht von dem Problem ablenken, dass das gewaltbereite Neonazis und organisierte Übergriffe weder neu noch selten sind. Durchaus kontrovers behandelt wurde und wird allerdings die Entscheidung des Roten Sterns, überhaupt zu der Nachholpartie anzutreten. Zuletzt kritisierte die Leipziger Antifagruppe LeA diese Bereitschaft in einem offenen Brief: "(...) den Gedanken, trotzdem zum Spiel anzutreten, mögen wir nicht. Sportlichen Ehrgeiz zu beweisen, zum gewohnten Spielbetrieb zurückzukehren und 90 Minuten über den Platz zu rennen ändert an der Situation vor Ort nichts. Wer ernstlich ein Problem mit der Alltagskultur im sächsischen Hinterland hat, kann sich mit diesem Alltag nicht auf dem Spielfeld versöhnen". Ein Nichtantritt hieße aber eben auch, dem FSV Brandis für sein Wegschauen und Passivbleiben, für sein Verstecken hinter Verbandsrichtlinien und seine Toleranz gegenüber Nazis in den eigenen Reihen, die Punkte zu schenken. Ob sie antreten oder nicht, werden wohl letztlich die Spieler selbst entscheiden. Dass sie das können, gehört schließlich auch zum Selbstverständnis des RSL: "selbstbestimmt, hierarchiefrei und basisdemokratisch". Schließlich geht es bei der Demonstration um weitaus mehr, als um Fußball. Das macht Aufruf deutlich: "Solange es nicht als problematisch empfunden wird, dass Neonazis, Rassist_innen und/oder NPD-Kandidat_innen in Vereinen aktiv sind, sei es als Spieler, Trainer oder Betreuer, wie im Fall des FSV Brandis zu beobachten, so lange es nicht problematisiert wird, dass sie auch hierüber ihre Strukturen ausbauen, ihre menschenverachtende Ideologie pflegen, Menschen angreifen, einschüchtern und jene, die sich dagegen engagieren bestraft werden, geben wir keine Ruhe!“ Die Demonstration findet am 7. April um 17 Uhr in Brandis statt. Um 18.30 Uhr wird dann zum Spiel angepfiffen.
Von Sylvia Ehl
Fotos: Roter Stern Leipzig