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Ein Projekt des Magazins stern und der Amadeu Antonio Stiftung
Wir leben in sehr ambivalenten Zeiten. Auf der einen Seite pöbelt der Mob Tag für Tag gegen Flüchtlinge und die Nachbarn klatschen Beifall. Und auf der anderen Seite zeigen die Menschen eine nie dagewesene Hilfsbereitschaft und Offenheit und helfen, wo sie nur können. Manchmal geschieht beides gleichzeitig. Und die Frage ist dann, was wir wahrnehmen und welche Schlüsse wir daraus ziehen. Ich hatte gerade ein aufregendes Wochenende mit solch zwiespältigen Eindrücken. Ich war beim Willkommensfest in Heidenau und ehrlich gesagt hat es mich hin und hergerissen.
Ein Kommentar von Anetta Kahane
Nach Tagen und Nächten der Randale sogenannter besorgter Bürger vor der Flüchtlingsunterkunft in Heidenau sollte es schließlich ein Willkommensfest geben. Dem vorangegangen war ein beschämendes Versagen der Polizei, die vor dem Mob kapitulierte. Dann besuchten Politiker den Ort und sprachen mit den Flüchtlingen über deren Lage. Sachsens Ministerpräsident versuchte sogar mit den Anwohnern zu reden und war entsetzt über das Ausmaß an Hass, das ihm entgegenschlug. Als die Prominenz fort war, sollte vor dem ehemaligen Baumarkt ein Willkommensfest stattfinden. Die Polizei verbot dieses Fest, weil sie die Sicherheit nicht gewährleisten könne. Als ich im Zug nach Heidenau saß, war es noch ein Akt zivilen Ungehorsams, dennoch hinzufahren und mit den Flüchtlingen zu feiern. Unterwegs kippte ein Gericht das Verbot - so dass alle, die sich ebenfalls auf den Weg gemacht hatten nun legal feiern durften. Der Anblick der Szenerie in Heidenau war deprimierend. Das öde Gelände vor dem Baumarkt war abgeriegelt. Die Polizei stand mit vielen Einsatzwagen vor Ort. Die Pogromstimmung der letzten Tage war zwar abgeklungen, doch es lag eine ungeheure Spannung in der Luft. Vereinzelt sammelten sich Nazis und Anwohner und standen auf der anderen Straßenseite.
Auf dem Gelände hatten Wohlmeinende, Demonstranten und Nazigegner eine ganze Lastwagenladung Kartons mit Kleidung abgeladen. Einige Flüchtlinge suchten sich Sachen heraus und die Kameras aller Fernsehsender hielten drauf. Einige der Flüchtlinge baten dringend darum nicht gefilmt oder fotografiert zu werden. Eine Wiese, Kartons, herumliegende Kleidung und Menschen, die darin wühlten – dieses Bild war mir unangenehm. Ich fand das Szenario demütigend. Denn ich wusste, dass seit Tagen die „Aktion Zivilcourage“ keine Kleiderspenden mehr annahm, weil bereits mehr als genug da war. Ein Kollege dieser Initiative berichtete von der Kinderbetreuung, den Deutschkursen, den regelmäßigen Arztsprechstunden vor Ort und den vielen Helfern aus Heidenau ohne die der Betrieb des Heimes gar nicht aufrecht zu erhalten möglich gewesen wäre. Ich durfte auch die Unterkunft von innen sehen. Niedrige Pritschen direkt nebeneinander auf der riesigen Fläche des Baumarkts. Dort wo die Abteilung für Bauzubehör war, schliefen jetzt 650 Menschen und in der ehemaligen Gartenabteilung standen die Sanitärcontainer. 36 Einheiten mit jeweils mehreren Duschen und Toiletten. Mehr seien nicht aufzutreiben gewesen, meinte der Einsatzleiter des Roten Kreuzes, ein freundlicher, geduldiger und übermüdeter Mann ebenfalls aus der Umgebung. Draußen entwickelte sich langsam Feierstimmung. Wir hatten Kuchen mitgebracht und einige der Flüchtlinge improvisierten einen Grill. Es begann bald nach Kebab zu riechen und an zwei Ecken der Wiese kam Musik aus krächzenden Geräten. Auf der einen Seiten klang es pakistanisch, auf der anderen arabisch. Beides jedoch zum Tanzen geeignet. Viele der verschlossenen Gesichter der Flüchtlinge begannen sich langsam aufzuhellen.
Wir leben in ambivalenten Zeiten und keine der beiden Seiten sollte ungesehen bleiben. Ebenso sollte der Unsinn aufhören zu leugnen, dass es im Osten ein besonderes Problem gibt. Die Zahlen und Fakten sind eindeutig. Diese Tatsache abzuwehren ist zutiefst infantil und unsouverän. Und sie bedeutet ein weiteres Mal die Probleme hinter Angst um das Image zu verstecken. Eine solche Haltung ist eine der Ursachen für die Situation im Osten. Nicht wahrhaben wollen, auf andere zeigen, verdrängen und leugnen. So werden Probleme nie zu lösen sein! Heidenau zeigt doch, dass sich trotz des Mobs Menschen engagieren und bereit sind erwachsen auf die Herausforderungen zu reagieren. Und das bedeutet zu sagen: Ja, wir haben hier spezifische Probleme und ja, wir sind bereit uns damit auseinanderzusetzen. Nur so wird auch Ostdeutschland ein weltoffene Region, in der Einwanderer willkommen sind.