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Auf einer gemeinsamen Pressekonferenz von ReachOut, der Berliner Opferberatungsstelle und den bezirklichen Registern wurden am 9. März die Zahlen und Hintergründe rassistisch, antisemitisch, homophob und rechtsextrem motivierter Vorfälle und Übergriffe im Jahr 2009 vorgestellt. Insgesamt nahmen die Zahlen insbesondere gewalttätiger Angriffe im Vergleich zum Vorjahr ab. Entwarnung kann dennoch nicht gegeben werden.
Die gute Nachricht gleich vorweg: Im Großen und Ganzen haben Vorfälle mit rassistischem und rechtsextremem Hintergrund in Berlin im Vergleich zum Vorjahr abgenommen. Besonders erfreulich ist dabei, dass insbesondere die Zahl gewalttätiger Angriffe rückläufig ist. So waren im Jahr 2009 102 Übergriffe zu verzeichnen, während es 2008 noch 148 gewesen sind. Jedoch: Die sinkende Quantität ging nicht einher mit einer geringeren Qualität der der Vorfälle. „Die Zahlen sind zwar rückläufig, doch die Brutalität nimmt stark zu“, stellt Heike Weingarten vom Register Friedrichshain fest. Man erinnere sich an den "Bordsteinkick", bei dem Jonas K. im vergangenen Jahr einen Jochbeinbruch erlitt. Auch Fei Kaldrack vom Pankower Register warnt: „Im Jahr 2007 sind die Zahlen zurückgegangen, nur um 2008 wieder dramatisch zuzunehmen. Insofern sagen die Zahlen für 2009 nichts über die Zukunft aus.“ Angesichts der Vorkommnisse in den vergangenen Wochen und Monaten, in denen eine Häufung und eine Radikalisierung der Übergriffe zu beobachten waren, stellt sich außerdem die Frage, ob dieser nun festgestellte Trend des vergangenen Jahres nicht schon als überholt betrachtet werden muss.
Rassismus im Alltag
Ein in jedem Fall bedenkliches Ergebnis der nun vorgestellten Statistik ist, dass trotz des allgemeinen Rückgangs gewalttätiger Übergriffe, diejenigen, die rassistisch motiviert waren mit 53 Fällen auf einem vergleichbar hohen Niveau waren, wie zuvor (2008: 65). Dies verleitet Sabine Seyb von ReachOut zu der Einschätzung: „Rassistisch motivierte Angriffe stellen unserer Einschätzung nach in Berlin das größte Problem dar.“ Denn diese werden nach Beobachtungen der Vertreterinnen und Vertreter der Opferberatungsstellen zumeist spontan von Tätern begangen, die nicht politisch organisiert sind, sondern aus einer eher diffusen rassistischen Gesinnung heraus handeln. Das breite Täterspektrum erschwere darum die Identifizierung und Problematisierung der Übergriffe und deute auf eine stärkere Verwurzelung in der Gesellschaft hin.
Friedrichshain erneut Spitzenreiter der Statistik
Mit 17 Übergriffen war Friedrichshain auffällig oft von rechtsextremen und rassistischen Übergriffen betroffen (2008: 30). Wie in den Jahren zuvor, belegt dieser Bezirk den traurigen ersten Rang in der Statistik, was die Vertreterinnen und Vertreter der Opferberatungen unter allem darauf zurückführen, dass hier ein hohes Personenaufkommen an den Verkehrsknotenpunkten herrsche und darum unterschiedlichste Personen aufeinander träfen. Zudem werde die vorhandene Freizeitinfrastruktur auch von Neonazis genutzt, weshalb es hier, auch in Verbindung mit Alkohol, besonders oft zu Konflikten komme. Vor dem Hintergrund der Spitzenreiterschaft in der Gewaltstatistik erscheint die Beobachtung des dort ansässigen Registers, dass die Brutalität der Angriffe erheblich zugenommen habe umso erschreckender. Ein weiterer Befund der Opferberatungen ist, dass der Wedding mit 9 gewalttätigen Übergriffen (2008: 3) gleich hinter Friedrichshain in der Statistik erscheint und damit zum ersten Mal ein Westberliner Bezirk auf den zweiten Platz rückte.
Abgesehen von gewalttätigen Übergriffen machten sich Neonazi-Aktivitäten vor allem durch Propagandaaktionen, wie beispielsweise das Verbreiten von Plakaten, Aufklebern und Flyern bemerkbar. Einvernehmlich stellten die Vertreterinnen und Vertreter der bezirklichen Opferberatungs- und Dokumentationsstellen fest, dass die Zahl solcher Aktivitäten in den meisten Bezirken wie bereits im Vorjahr bei einem Anteil von etwa zwei Dritteln der registrierten rechtsextremen Vorfälle lag.
Schwierigkeiten bei der Erfassung genauer Zahlen
Auch wenn die vorgestellte Statistik aufgrund der gesunkenen Zahl gewalttätiger Übergriffe durchaus positiv aufgefasst werden kann, muss dennoch auf grundsätzliche Schwierigkeiten der Erhebung hingewiesen werden. So steigen erfahrungsgemäß die Zahlen aufgrund von Nachmeldungen noch deutlich an. Darüber hinaus kann davon ausgegangen werden, dass die Dunkelziffer wesentlich höher liegt und viele Fälle von verschüchterten oder unzureichend sensibilisierten Opfern nicht gemeldet werden oder von den Ermittlungsbehörden nicht als rechtsextrem oder rassistisch motiviert erkannt werden. Zudem fehlen insbesondere in Westberlin geeignete Opferberatungs- und Dokumentationsstellen, und dort, wo es sie gibt, verfügen sie oftmals nicht über eine geeignete Infrastruktur um den schwierigen Arbeitsumständen gerecht werden zu können, oder sind von Kürzungen der Finanzmittel bedroht.
Von Thomas Olschewsky
Foto: Jörn Möller, zur Austellung Berliner Tatorte von ReachOut
Das Foto zeigt die Straße in Berlin-Neukölln, in der zwei Männer rassistisch beleidigt und mit einer Schusswaffe bedroht wurden.