Koalitionsvertrag sieht Anti-Extremismusprogramme vor. Bundesprogramme gegen Rechtsextremismus stehen nun auf dem Prüfstand. Zukunft ungewiss.
Zurzeit zirkulieren mehrere Entwürfe des Koalitionsvertrages durch die Redaktionsstuben der Berliner Hauptstadtmedien. Danach hat sich im Bereich der Rechtsextremismusbekämpfung offensichtlich die "Anti-Extremismusfraktion" durchgesetzt. Zwischen den Koalitionsfraktionen gibt es wohl keinen Dissens mehr darüber, dass die bestehenden Programme gegen Rechtsextremismus in Anti-Extremismusprogramme umgewandelt werden, die sich sowohl gegen Rechts- als auch gegen Linksextremismus, Antisemitismus und Islamismus wenden sollen. Zudem wird explizit das Bündnis für Demokratie und Toleranz aufgefordert, sich stärker allen Formen des Extremismus zu widmen. Auch der Opferfonds der Bundesregierung beim Bundesgerichtshof soll in Zukunft für alle Opfer von Extremismus da sein. Timo Reinfrank, der Stiftungskoordinator der Amadeu Antonio Stiftung warnte gegenüber MUT davor, die Gefahr des Rechtsextremismus durch eine Gleichstellung der rechtsextremen mit der linksradikalen Gewalt zu bagatellisieren. Er vermisst eine Weiterentwicklung in Richtung lokaler Demokratie- und Menschenrechtsorientierung: „Es ist wichtig den demokratiegefährdenden Entwicklungen positive Werte entgegen zu setzen, wie der Bezug auf die Entwicklung einer demokratischen Alltagskultur und die Stärkung von Kinder- und Menschenrechten vor Ort.“ Ebenso problematisch sieht er die Idee Extremismusaussteigerprogramme zu konzipieren, die den jeweiligen Formen der demokratiegefährdenden Phänomene nicht gerecht werden.
Der Entwurf im Wortlaut:
„Bekämpfung des politischen Extremismus
Gewalttätige und extremistische Formen der politischen Auseinandersetzung nehmen wir nicht hin. Extremismen jeder Art, seien es Links- oder Rechtsextremismus, Antisemitismus oder Islamismus, treten wir entschlossen entgegen. Die Grundwerte der pluralen Gesellschaft, insbesondere die freie Entfaltung der Person, Meinungs-, Presse-, Kunst- und Wissenschaftsfreiheit, sind konstitutive Werte unserer freiheitlich-demokratischen Grundordnung. Sie gilt es zu schützen und zu verteidigen. Die Ursachen von Extremismus wollen wir mit einem langfristigen Engagement und einer nachhaltigen Prävention bekämpfen. Aussteigerprogramme gegen Extremismus werden wir weiterentwickeln, ihre Finanzierung sicherstellen und dabei Schwerpunkte in gefährdeten Regionen setzen. Die Aufgabenfelder des Fonds für Opfer rechtsextremistischer Gewalt sowie des Bündnisses für Demokratie und Toleranz sollen auf jede Form extremistischer Gewalt ausgeweitet werden.“
Rechtsextremismus = Linksextremismus?
Wenn man auf das Jahr 2008 blickt, sind die Straftaten der rechten Szene wieder deutlich gestiegen - um 15,8 Prozent auf insgesamt 19.894 Delikte. Auch für die Straftaten mit linksextremem Hintergrund verzeichnet der aktuelle Bundesverfassungsschutzbericht ein Plus von 13 Prozent mit 3.124 registrierten Delikten. Neben dem großen quantitativen Unterschied ist jedoch die Tendenz interessant, dass die rechte Gewalt um 6,3 Prozent zunimmt, (1.042 Gewalttaten), während die linken Gewaltstraftaten um 15,8 Prozent (701 Gewalttaten) abnehmen. Reinfrank gibt dazu zu bedenken: „Entscheidend ist nicht nur die tatsächliche Gewalt, sondern die Bereitschaft, jederzeit Gewalt anzuwenden. Und die rechtsextreme Szene setzt diese Bereitschaft zur Gewaltanwendung systematisch ein. Mit diesem Mittel gelingt es ihr, in vielen Orten eine rechtsextreme Hegemonie im Alltag und im öffentlichen Raum durchzusetzen. Das ist der entscheidende Unterschied zum Linksextremismus, die keine No-Go-Areas schafft.“
Bundesprogramme 2010 vor dem Aus?
Die zwei zentralen Bundesprogramme gegen Rechtsextremismus, die zurzeit noch beim Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend angesiedelt sind, stehen mit dieser Entscheidung des Koalitionsvertrages auf der Kippe. Das Programm „Vielfalt tut gut. Jugend für Vielfalt, Toleranz und Demokratie" (Jahresbudget: 19 Mio.) richtet sich hauptsächlich an Kinder- und Jugendliche, insbesondere an „rechtsextrem gefährdete" junge Menschen. Teil dieses Programms sind Lokale Aktionspläne (LAP) in vielen Kommunen, die demokratische Strukturen vor Ort festigen sollen. Das zweite Programm „Kompetent für Demokratie – Beratungsnetzwerke gegen Rechtsextremismus" (Jahresbudget 5 Mio.) fördert den Aufbau von landesweiten Beratungsnetzwerken zur fachkompetenten Beratung bei rechtsextrem motivierten Vorfällen in jedem Bundesland. Darüber werden in vielen Bundesländern Mobile Beratungsteams und Opferberatungen gegen rechte Gewalt finanziert. Zwar wird die Arbeit einiger Teams in Ostdeutschland mittlerweile durch aufgeweckte Landesregierungen kofinanziert, doch ist die Koalitionsentscheidung für alle durchaus existenzgefährdend. Insbesondere in Westdeutschland hängt die gesamte Arbeit gegen Rechtsextremismus an den Bundesmitteln aus den zwei Programmen. Timo Reinfrank setzt auf die Mitarbeiter in den Ministerien: „Insgesamt kommt es jetzt sehr auf eine glückliche Hand der Ministeriumsebene an, die bestehenden erprobten und erfolgreichen Projekte und Beratungsteams nicht zu gefährden und ihnen die weitere Arbeit gegen Rechtsextremismus zu ermöglichen. Diese erfolgreichen Projekte nicht fortzuführen, würde den Neonazis direkt in die Hände spielen.“ Als gutes Zeichen wertet Reinfrank, dass die Antisemitismusbekämpfung nun durch die explizite Erwähnung eine stärkere Bedeutung bekommt, da sie in der Vergangenheit nicht im ausreichenden Maße berücksichtigt worden sei.