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„Bürgerkriegsähnliche Zustände“: Bilanz zweier Wochenenden neonazistischer Gewalt

Die beiden letzten Augustwochenenden stellen den Höhepunkt bisher dokumentierter neonazistischer und rassistischer Gewalt in Leipzig und Umgebung dar. Neonazis und rassistische Hooligans griffen Jugendliche, Nichtdeutsche, Theaterbesucherinnen und Beschucher und Polizeibeamte an. Dabei gab es mindestens sechs behandlungsbedürftige, verletzte Personen. Es kam zu mehreren Sachbeschädigungen und zahlreichen strafbaren Handlungen. Insgesamt registrierte das Projekt chronik.LE für den August über dreißig Ereignisse mit neonazistischem und/oder rassistischem Hintergrund. Doch nicht nur die Zahl der Gewaltdelikte, Sachbeschädigungen und sonstigen Straftaten ist erschreckend; vielmehr ist es die Botschaft, die von der massiven Präsenz und Gewaltbereitschaft der Neonazis ausgeht. Nazis bestimmen, wann und wo Veranstaltungen durchführbar sind (Mügeln). Nazis führen Kundgebungen, die über die Bestrebungen neonazistischer Parteien aufklären wollen, ad absurdum (Colditz). Nazis vertreiben Menschen aus ihren Wohnungen (Wurzen). Kurz: Nazis sind in vielen Orten in der Lage, das private und öffentliche Leben entscheidend zu bestimmen.

Dazu kommt, dass die herbeigerufene Polizei oftmals zu spät am Tatort eintrifft, um die Täter festzustellen. Teilweise werden Polizistinnen und Polizisten im Einsatz angegriffen. In Mügeln scheint es inzwischen eine Art Volkssport zu sein, dass Haus des Vereins Vive le Courage zu zerstören. Etwa 50 Personen griffen erst das Gebäude und dann die Polizei an. Ein Einsatzleiter der Polizei äußerte: "Ich bin zum ersten Mal in der Kleinstadt und hier herrschen bürgerkriegsähnliche Zustände." In Taucha mussten sich die eingetroffenen Beamten mit den Opfernvor 15 Hooligans in Sicherheit bringen , die zuvor drei Personen rassistisch beleidigt und angegriffen hatten. Noch schlimmer wird es für Opfer rechter Gewalt, wenn ihr Anliegen nicht die nötige Beachtung erfährt. In Döbeln werfen zwei Opfer neonazistischer Gewalt der Polizei vor, sich überhaupt nicht um die Angreifer gekümmert und stattdessendie Opfer beschimpft und beleidigt zu haben.
 
Eine kurze Chronik der Ereignisse:
 
Döbeln, 29. August. In den frühen Morgenstunden schlugen Neonazis zwei Jugendliche in Döbeln brutal zusammen, meldet die Opferberatungsstelle RAA Sachsen. Die 15 Personen aus der Region Döbeln und Rosswein beschimpften demnach die Jugendlichen mit "Scheiß Zecken". Von ihrem Szenegrundstück in Döbeln aus warfen sie mit Steinen und Flaschen und griffen die Jugendlichen mit Pfefferspray und Teleskopschlagstöcken an. Sie traten und schlugen auch dann weiter, als die beiden am Boden lagen. Den Opfern wurden zudem ihre persönlichen Gegenstände abgenommen.


Leipzig-Grünau, 28. August
. Nach einer Aufführung im "Theatrium" in der Miltitzer Allee in Grünau haben drei Männer einen Theaterbesucher krankenausreif geschlagen. Die offenbar betrunkenen Angreifer stürmten gegen 21.30 Uhr in den Eingangbereichs des Theaters und begannen zunächst Einrichtungsgegenstände zu demolieren. Anschließend fielen sie direkt vor dem Eingang über einen 20-jährigen Mann her, traktierten ihn massiv mit Schlägen und Tritten, auch auf den Kopf und in das Gesicht. Das Opfer trug einen Nasenbruch davon und lag einem Bericht LVZ zufolge in "einer riesigen Blutlache, bis ein Rettungswagen ihn in die Uniklinik brachte". Bis zum Eintreen der Polizei, die erst nach 45 Minuten aus Connewitz an den Tatort gelangte, waren die Täter längst entkommen. Augenzeuginnen und Augenzeugen des Vorfalls berichten von einem rechten Hintergund der Täter.

Mügeln, 28. August. In Mügeln kam es am letzten Augustwochenende zu Angrien durch Nazis. Am späten Abend des 28.08.2009 versammelten sich etwa 50 Neonazis vor dem Vereinsgebäude des soziokulturellen Vereins „Vive le Courage“. Die ortsbekannten Rechten griffen zuerst das Haus und später die eintreffende Polizei mit Bierflaschen, Pyrotechnik und Leuchtspurmunition an. Die Polizei konnte einen direkten Angriff auf das Gebäude vorerst verhindern und nahm eine Person in Gewahrsam. Die Neonazis führten die ganze Zeit über Elektroschocker, Schreckschusspistolen, Schlagringe, Teleskopschlagstöcke und ähnliche Gegenstände mit sich und zeigten vor den Augen der Polizei den Hitler-Gruß. Außerdem waren rechte Parolen wie „Sieg Heil“ oder „Heil Hitler“ zu hören. Der Einsatzleiter der Polizei äußerte sich wie folgt zur Situation in Mügeln: „Ich bin zum ersten Mal in der Kleinstadt und hier herrschen bürgerkriegsähnliche Zustände“. Nachdem die Neonazis vor dem Haus abzogen waren, griffen sie kurze Zeit später einen Jugendlichen an. Er erhielt von mehreren Mügelner Rechten einige Schläge ins Gesicht.

Mügeln, 23. August. Zum wiederholten Mal werden am Wochenende in Mügeln (Nordsachsen) die Vereinsräume des gegen Nazis und Rassismus engagierten Vereins Vive le Courage attackiert. In der Nacht von Sonnabend auf Sonntag haben gegen 2 Uhr mehrere "teilweise bekannte Personen" (Polizeimeldung) gegen die Eingangstür des Gebäudes getreten und eine Bierasche gegen die Tür geworfen, so dass die Verglasung zu Bruch ging. In dem Gebäude hat sich zu diesem Zeitpunkt noch ein junges Vereinsmitglied aufgehalten. Die herbeigerufene Polizei traf vor Ort noch zwei Männer im Alter von 19 und 20 Jahren sowie eine 21-jährige Frau an, welche die Vereinsmitglieder beschimpften. Alle drei standen unter Alkoholeinuss. Die Ermittlungen zum Hintergrund der Tat sowie weiteren Tatverdächtigen dauern an.

Delitzsch, 23.August. Am Sonntagabend werden in Delitzsch gegen 17.30 Uhr drei "deutsch/türkische Personen" - so die Polizei - von einer Gruppe "offensichtlicher Fußballfans" beschimpft und beleidigt. Die Äußerungen hätten einen "ausländerfeindlichen Charakter" gehabt. Als ein 17-Jähriger schlichten wollte, wurde er von einem der Täter so ins Gesicht geschlagen, dass er eine Nasenbeinfraktur erlitt. Die Ermittlungen zum Hintergrund der Tat dauern nach Polizeiangaben an.

Taucha, 22. August. In Taucha haben in der Nacht von Samstag auf Sonntag 15 Männer gegen Mitternacht drei Personen angegriffen und rassistisch beleidigt. Als Polizisten zur Hilfe kamen, wurden auch diese attackiert. Die Schläger, die von der Polizei der Leipziger Hooliganszene zugerechnet werden, hatten zuvor das Tauchaer Stadtfest besucht. Nach Polizeianagaben sollen sie nach dem Verlassen des Festes "aus bisher unbekannten Gründen" geschlossen auf die drei Ausländer zu gerannt sein und sie dabei mit "ausländerfeindlichen Parolen" beschimpft haben. Während zwei der Bedrohten fliehen konnten, sei ein 23-jähriger Libanese von den Angreifern zu Fall gebracht worden. Dann hätten sie ihn gemeinschaftlich geschlagen und getreten und ihm eine Bierflasche in den Rücken geworfen.

Colditz, 22. August. Eine Kundgebung der Initiative "Meine Stimme gegen Nazis" in Colditz wurde durch die massive Präsenz gewaltbereiter Neonazis gestört. Die am Veranstaltungsort, dem Colditzer Markt, anwesenden und weitere patroullierende Neonazis erzeugten einen permanenten Angstraum, berichteten Anwesende, darunter die Landtagsabgeordnete Kerstin Köditz sowie die Bundestagsabgeordnete Monika Lazar.

Wurzen, 22. August. Über mehrere Wochen hinweg hat eine Gruppe jugendlicher Neonazis in Wurzen eine junge Frau so lange in ihrer Wohnung terrorisiert, bis diese schließlich aus dem Haus auszog. Die Nazis treffen sich nach Angaben des Netzwerks für Demokratische Kultur e.V. (NDK) oft zum Feiern in dem Haus in der Schillerstraße, in dem auch der mutmaßliche Kopf der Gruppe zusammen mit seiner Mutter wohnt.

Mehr zu dem Übergriff in Mügeln

In Colditz wurde vor kurzem von der Stadt ein antirassistisches Fußballturnier abgesagt

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Pressemitteilung chronik.LE