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Ein böser Verdacht bleibt

Revisionen beantragt! Das Urteil nach dem Feuertod des Asylbewerbers Oury Jalloh vor knapp vier Jahren in einer Polizeizelle in Dessau-Roßlau hat hat noch keine Rechtsgültigkeit. Das zuständige Landgericht hatte die beiden angeklagten Polizisten am Montag freigesprochen. Ihnen sei keine Mitschuld am Tod des Mannes aus Sierra Leone nachzuweisen. Nach dem Urteil versuchten empörte Zuschauer, die Richterbank zu stürmen. Ihr Vorwurf: das war Mord. Denn wie kann sich ein an Händen und Füßen gefesselter selber anzünden?


Folgende Mitteilung hat am 11.12. die Pressestelle des zuständigen Landgerichts Dessau veröffentlicht:

"Im Hauptverfahren 6 Ks 4/05, in dem zwei Polizeibeamte des Polizeireviers Dessau-Roßlau vom Vorwurf der fahrlässigen Tötung bzw. der Körperverletzung mit Todesfolge freigesprochen worden sind, ist sowohl von der Nebenklage als auch der Staatsanwaltschaft Dessau-Roßlau Revision gegen das am 08.12.2008 verkündete Urteil eingelegt worden. Während die Revision der Nebenklage unbeschränkt ist, richtet sich das Rechtsmittel der Staatsanwaltschaft nur gegen den Freispruch des Angeklagten Andreas S.
Der Strafkammer steht aufgrund der Dauer der Hauptverhandlung eine Frist bis zum 23.03.2009 zur Verfügung, um das Urteil vollständig schriftlich abzusetzen. Erst mit dessen Zustellung beginnt die einmonatige Frist zur Begründung der Revisionen zu laufen."


Die beiden Polizisten wurden (und werden) verdächtigt, am Tod des 23-jährigen Oury Jalloh aus Sierra Leone eine Mitschuld zu tragen und mussten sich seit dem vergangenen Jahr vor dem Landgericht Dessau verantworten. Nach dem Richterspruch am Montag kam es zu tumultartigen Szenen im Gerichtssaal, weil mehrere Prozessbeobachter gegen das Urteil laut protestierten und die Richterbank stürmen wollten. Die Begründung konnte zunächst nicht verlesen werden. Ein Protestierer wurde von der Polizei aus dem Gerichtssaal gebracht.

Die Staatsanwaltschaft hatte zuvor für einen der beiden Polizisten eine milde Geldstrafe gefordert und beim zweiten Angeklagten auf Freispruch plädiert. Der Dienstgruppenleiter Andreas S. habe sich der fahrlässigen Tötung durch Unterlassen schuldig gemacht, wobei sich sein Verschulden "im niedrigen Bereich bewege", sagte Oberstaatsanwalt Christian Preissner. Die Verteidiger beantragten für ihre Mandanten Freispruch.

S. sei vorzuwerfen, dass er beim Alarm des Rauchmelders in Jallohs Zelle nicht an Brand gedacht und nicht zu einem Feuerlöscher gegriffen habe, erklärte der Oberstaatsanwalt. Für diesen Polizeibeamten beantragte er eine Geldstrafe in Höhe von 4800 Euro. Bei dem zweiten Angeklagten habe die Beweisaufnahme keinen Tatvorwurf ergeben. Dem Streifenpolizisten Hans-Ulrich M. war anfänglich vorgeworfen worden, bei der Durchsuchung des in Gewahrsam genommenen Jalloh ein Feuerzeug übersehen zu haben.

An Händen und Füßen gefesselt

Beide Polizeibeamte standen seit März 2007 vor Gericht. Der 23-jährige Jalloh wurde vor fast vier Jahren in Dessau festgenommen, weil sich Frauen von dem alkoholisierten Mann belästigt fühlten und die Polizei riefen. Er starb am 7. Januar 2005 in der Ausnüchterungszelle, in der man ihn auf einer Matraze liegend an Händen und Füßen fesselte. Todesursache war ein Hitzeschock durch einen Brand, den der Mann anscheinend selbst entfachte - zuvor war er jedoch auf Gegenstände durchsucht worden und ein Feuerzeug wurde nicht bei ihm entdeckt. Für die Verteidiger war dies nicht mysteriös. Sie argumentierten, es handele sich um einen Unglücksfall. Der Dienstgruppenleiter habe den Mann retten wollen, es sei ihm jedoch nicht gelungen.

Die Vertreter der Eltern und Geschwister Jallohs wandten sich gegen die Darstellung, dass keine andere Möglichkeit als Selbstentzündung infrage käme. Dieser Sachverhalt sei nicht beweisbar, lediglich eine theoretische Möglichkeit, sagte Rechtsanwalt Felix Isensee, der einen Bruder Jallohs vertrat. Dieser äußerte am Montag vor Gericht, dass sein Bruder vor einem Bürgerkrieg weggelaufen sei und sich selbst nicht umgebracht habe. "Wir wollen wissen, wer hat ihn umgebracht. Es geht nicht um Schwarz oder Weiß, es geht um einen Menschen, der ums Leben kam."

Auch Staatsanwaltschaft geht von Unfall aus


Wie die Verteidigung ging dagegen auch die Anklage von einem Unfall aus. "Es gibt keine andere denkbare Variante als die, dass Oury Jalloh selbst das Feuer angezündet hat", sagte Oberstaatsanwalt Preissner. Für ihn handele es sich "hier um einen ganz tragischen Unglücksfall", bei dem nach seiner Überzeugen der Tod von Jallohs aber vermeidbar gewesen wäre.

deaauere polizeizelle
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In dem fast 60 Verhandlungstage dauernden Prozess hatte das Gericht vergeblich versucht, die genauen Umstände des Sterbens des Asylbewerbers zu ermitteln. Mehrfach ordnete es Brandversuche in Nachbauten der Zelle (s.Foto) am Feuerwehrinstitut Sachsen-Anhalt an, um Aufschluss über die genaue Todesursache und den exakten zeitlichen Ablauf zwischen Ausbruch des Feuers und dem Tod Jallohs zu erhalten. Der Vorsitzende Richter selbst gab sich am Ende zerknirscht, weil die Polizei eher verhindert habe, für eine Aufklärung des Falles zu sorgen.

Vorwurf der African Black Community

Schon in Vorahnung, dass das Urteil so ausfallen würde, hatte die Dessauer African Black Community (ABC) am Vortag der Urteilsverkündung erklärt:

"Wir hegen keinen Zweifel, dass das Gericht voreingenommen ist und bereit, mit seinem Urteil die beiden Polizeibeamten zu schützen, die angeklagt sind, den Tod Oury Jallohs am 07. Januar 2005 zu verantworten zu haben. Schließlich dämmert es uns, dass Richter Steinhoff weder fähig noch gewillt ist, der Wahrheit auf den Grund zu gehen und Gerechtiglkeit sprechen zu lassen. Es begann damit, dass die Hauptzeugin, die Polizeibeamtin Beate Höffner, ihre Aussage mehrmals geändert und im Gerichtssaal gelogen hat, um hre Kollegen zu schützen.

Seit wir von dem grauenhaften Tod unseres Bruders erfuhren, sind wir überzeugt, dass es sich hierbei um Mord handelt. Wir haben seitdem diverse Proteste und Petitionen eingereicht, um den Fall vor Gericht zu bringen und Wahrheit, Gerechtigkeit und den Respekt vor der Menschenwürde zu ihrem Recht zu bringen. Nun müssen wir feststellen, dass das System von Hass und Rassismus sich bis in Institution der Wahrheit und Gerechtigkeit Einlass verschafft hat. Wir bleiben dabei, dass Oury Jalloh von der Dessauer Polizei absichtlich in Brand gesteckt worden ist.

Wir sind bereit, alle uns zur Verfügung stehenden Mittel einzusetzen, um Gerechtigkeit zu bekommen. Ferner haben wir beschlossen, die Verhandlung zu boykottieren, da Gerechtigkeit zu keinem Zeitpunkt des Prozesses geübt
worden ist. Über zwei Jahre nach Prozessbeginn und 58 Anhörungen später bleibt immer noch festzustellen, dass kein Schritt Richtung Gerechtigkeit unternommen wurde, wenn man einmal von der zynischen Bemerkung des Richters absieht, mit der er auf ‚Murphy’s Law’ hinwies, also darauf, dass eine Reihe von Ereignissen an diesem Tage einfach schief gelaufen seien. ‚Das Gericht muss sich entscheiden, sich entweder von dem rassistischen Verhalten der Polizei
zu distanzieren und es zu verurteilen; oder es zu entschuldigen und damit zu unterstützen’, sagt Mouctar Bar, der Gründer der African Initiative in Dessau. Unserer Meinung nach ist das für die Medien, die politischen Parteien und die Gesellschaft als Ganzes in unserem vermeintlich demokratischen System genauso gültig.

In den letzten Tagen der Anhörungen wurde die Sitzung zwei Mal unterbrochen, und der vorsitzende Richter Herr Steinhoff hat mit einem monetären Vergleichsangebot sowohl die Afrikanische Gemeinschaft als auch die Familie unseres verstorbenen Bruders Oury Jalloh aufs ärgste beleidigt. Dies zeigt deutlich, wie weit dieses rassistische System und
seine Instrumente gehen können. Ohne Gerechtigkeit und Wahrheit darf es auch keine Reparationen geben. Kein Geld der Welt kann Oury Jalloh zurück kaufen.

Wir fordern alle Afrikanischen Gemeinschaften in Deutschland und aus dem Ausland auf, uns bei unserer Forderung nach einer unabhängigen Verfolgung des Mordfalls an Oury Jalloh zu unterstützen.  Oury Jalloh und Láye Konde wurden beide am selben Tag in zwei verschiedenen deutschen Städten aus denselben, verachtenswürdigen Motiven umgebracht. "Wir fordern sehr wohl eine Wiedergutmachung’, sagt Regina Kiwanuka von ABC." "Aber erst nachdem es Wahrheit und Gerechtigkeit in dieser Sache gibt."

Wir fordern daher eine unabhängige Kommission, die die Ursachen für den Tod Oury Jallohs, für seine Haft und für die Kettung seines Körpers am Tag des 7. Januar 2005 wie auch  das Gerichtsverfahrens unabhängig untersucht. Damit könnte ein Präzedenzfall geschaffen werden für andere Fälle  von tödlicher Polizeigewalt gegen Menschen nichtdeutscher Herkunft, die bis heute ungeklärt sind."


Stellungnahme der Landesregierung Sachsen-Anhalts: http://www.asp.sachsen-anhalt.de/presseapp/data/stk/2008/642_2008_e7d590e9eb11df85e302cb780be6d852.htm

"Ein Gericht kapituliert" (
Berliner Zeitung, 10.12.2008)

Kommt es zur Revision vor dem Bundesgerichtshof? (
mdr, 10.12.2008)

www.mut-gegen-rechte-gewalt.de / hkulick / Fotos: WDR & www.thecaravan.org & www.nadir.org