Das Portal
für Engagement
Ein Projekt des Magazins stern und der Amadeu Antonio Stiftung
Zum 14. Mal in diesem Jahr haben Neonazis in Sachsen Feuer gelegt. In Leipzig wurde das KOMM-Haus, ein städtisches Kultur-und Kommunikationszentrum in Brand gesteckt. Zugleich werden in mafioser Weise Bürger bedroht, die sich gegen ein NPD-Büro im Leipziger Stadtteil Lindenau ausgesprochen haben.
Von Holger Kulick
Der Brandanschlag in der Nacht des 23.11.richtete sich gegen den Verein für Kultur und Kommunikation im sogenannten „Komm Haus“ in der Selliner Straße 17 in Grünau. Das Gebäude ist eine Einrichtung des Kulturamts Leipzig und wird von der Volkshochschule und der Volkssolidarität genutzt. Nazis ist es ein Dorn im Auge, weil sich dort einmal monatlich eine Bürgerinitiative gegen Rechtsextremismus trifft.
"Unbekannte haben gegen 2.30 Uhr die Tür aufgehebelt und Feuer gelegt", ermittelte die Polizei. Dabei sei Brandbeschleuniger benutzt worden. Menschen seien bei dem Anschlag nicht zu Schaden gekommen. Jedoch brannten die Büroräume im Erdgeschoss vollständig aus, so berichtete Klaudia Naceur von der Bürgerinitiative "Buntes Grünau" der Leipziger Volkszeitung. Die Initiative nutzt den Treff einmal im Monat. Schon bei ihrer Gründungsversammlung im Mai hatten Neonazis demonstrativ gestört.
Auf einschlägigen Naziwebsites ist nach dem Anschlag auch von deutlicher Genugtuung der rechtsextremen Szene zu lesen, weil das Haus aus Naziperspektive "vom Alternativen Ökofreak bis zum kleinkriminellen Antifaschisten alle Spektren von Grünaus realitätsfernen, gemeinschaftlichen Außenseitern" geborgen habe. So lautet eine aktuelle Formulierung im braunen "Freien Netz" der Sächsischen Neonaziszene, die von grober Unkenntnis des Komm-Hauses zeugt. Denn dort finden auch Seniorentanz und Klöppelkurse statt. Jetzt sind die Veranstaltungsräume allerdings so verrußt, dass sie vorläufig nicht genutzt werden können. Daher ist bis zum Jahresende nur ein Notbetrieb möglich, teilte die Stadt mit. Vollkommen zerstört wurde das Büro des Kulturzentrums und auch eine Arztpraxis wurde in Mitleidenschaft gezogen.
Die Initiative Buntes Grünau setzt sich aus engagierten Grünauern, Vertretern von Vereinen, Verbänden und Parteien zusammen, sie will über Hintergründe und Auswirkungen rechter Aktivitäten in Grünau informieren und macht sich für ein friedliches und menschenfreundliches Miteinander stark. Die Polizei schließt deshalb einen politischen Hintergrund nicht aus - auch, weil Feuerlegen nicht unüblich bei sächsischen Nazis ist. Die Opferberatung Dresden hat allein 2008 mindestens 14 solcher Brandanschläge in Sachsen gezählt:
7. April Pizzeria in Reichenbach/ Vogtland
17. April Döner-Imbiss in Großschweidnitz
17. April Asia-Imbiss in Löbau
17. April kurdisches Restaurant in Dresden-Cossebaude
20. April Fanshop "Fischladen" des "Roten Stern" in Leipzig
28. April alternatives Wohnprojekt Reitbahnstraß e in Chemnitz
01. Mai Imbisswagen in Wurzen
28. Mai Zirkuszelt in Schönheide / Vogtland
16. Juli Wohnheim für Behinderte in Naunhof
17. Juli alternativer Jugendclub " Alte Schmiede" in Rochlitz
12. August vietnamesisches Blumen- und Obstgeschäft in Dresden
8. September afrikanischer Kulturladen in Wurzen
13. September Asylbewerberheim in Oppach
23. November KOMM Haus Leipzig-Grünau
Im sächsischen Auerbach wurden am 10. November vier junge Leute aus der rechten Szene verurteilt, die am 7. April ein Molotowcocktail gegen eine türkische Gaststätte in der Reichenbacher Innenstadt geworfen hatten. Der selbstgebastelte Brandsatz war glücklicherweise an der Scheibe abgeprallt. Laut Gericht seien die Täter "stramm national gesinnt eingestellt". Úrsprünglich, so gaben sie zu, hatten sie ein Ausländerwohnheim in Cunsdorf anzünden wollen.
Das Leipziger KOMM-Haus erlebte vor der Brandstiftung eine Serie kleinerer Attacken. Erst am Vortag waren vier Scheiben des Gebäudes eingeworfen und Aufkleber mit rechtsextremen Inhalten angebracht worden. Mit diesen Anschlägen hätten militante Rechte, die im Umfeld sogenannter "Freier Käfte" oder selbsternannter "Volkstreuer" vermutet werden, eine neue Stufe des Vandalismus erreicht , berichtete Klaudia Naceur in der LVZ. Bislang wären die Mitarbeiter regelmäßig nach den Wochenenden mit gesprühten Nazi-Parolen und rechtsgerichteten Aufklebern an Fenstern, Türen oder Wänden der kommunalen Einrichtung begrüßt worden.
"Solche Aufkleber wurden jetzt wieder am Tatort gefunden", so Naceur. Vor einer Woche seien solche außerdem bei einer Putzaktion von den Mitgliedern der Initiative im Umfeld des Komm Hauses entfernt worden. Kurze Zeit später drohte man einem Komm Haus-Mitarbeiter, das würde "demnächst Konsequenzen haben.“
Offene Drohungen mit Gewalt
Solchen Drohungen sind neuerdings auch Bürger und Einrichtungen ausgesetzt, die sich in Leipzig gegen einen neuen NPD-Treff im Stadtteil Lindenau ausgesprochen haben. „Gezieltes Präsenzzeigen und Einschüchtern“ durch Rechtsradikale sei inzwischen an der Tagesordnung schildern Betroffene.
Auf einem Initiativtreffen am Montag wurde beispielsweise berichtet, dass jüngst drei Vermummte sogar in einer Buch- und Schreibwerstatt für Kinder augetaucht seien, weil sie die Einrichtung zu ihren Gegnern zählen. Im Zusammenhang mit einem „Vorsicht Nazis“-Graffiti an einem Wellblechzaun vor dem NPD-Büro in der Odermannstraße nahe dem Lindenauer Markt (Foto unten) hätten sie dort offen mit Gewalt gedroht. Zwei seien vermummt gewesen, einer habe gesprochen. Sie bedrängten einen Mitarbeiter und hätten wie die Mafia mit „Glasschaden“ gedroht. Eine griffbereite Nummer der nächsten Polizeidienststelle gehört jetzt auch in dieser Einrichtung dazu, denn die Menschen vor Ort wollen sich nicht einschüchtern lassen.
Hinter diesem Zaun liegt Leipzigs neuer "Volkstreuen-Treff" der NPD - ein Abgeordnetenbüro.
Kati Lang von der Opferberatung des RAA Sachsen e.V. appellierte an die sächsische Polizei sich aufmerksamer dem Thema Bedrohungen und Brandstiftungen aus der Neonaziszene zu stellen, denn die Zunahme solcher Gewalttaten sei "eklatant". Nur dem Zufall sei es zu verdanken, dass bislang keine Menschen verletzt oder getötet wurden.
Die Opferberatung fordert nun die Polizei auf, "das Problem rechtsextremer Brandanschläge als extra Phänomen zu behandeln, alle Brandanschläge endlich aufzuklären und Maßnahmen zum Schutz potentiell Betroffener zu ergreifen. Die erneut deutlich gewordene Bedrohung durch den Brandanschlag in Leipzig-Grünau offenbart, dass unsere Solidarität für die Betroffenen notwendig ist und alle demokratischen Bürger und Bürgerinnen aufgefordert sind sich konsequent und langfristig gegen Rechtsextremisten zu engagieren.“
Aufzählung rechter Gewalt im Raum Leipzig: www.chronikLE.org
Aufzählung weiterer Brandstiftungen: RAA-Sachsen 27.11.
Regionales Infoportal: http://ladenschluss.blogsport.de/2008/11/15/npd-stuetzpunkt-in-leipzig-unter-protesten-eroeffnet/
Auerbach: Verfahren gegen jugendliche Brandstifter abgeschlossen (endstation-rechts.de, 10.11.2008)
Indymedia über die Brandstiftungen in Leipzig vom 24.11. und 26.11.
Aufruhr in Lindenau - über das Bürgerengagement gegen ein NPD-Büro. Mephisto 21.11.
Sächsischer Förderpreis für Demokratie für Projekt Bunte Platte aus Leipzig, MUT 20.11.
www.mut-gegen-rechte-gewalt.de / Quellen: ray r. / lvz, indymedia, hk / Fotos: indymedia, mephisto, ray r.