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Ein Projekt des Magazins stern und der Amadeu Antonio Stiftung
„Beratung über den Einzelplan 17“ stand am 5.11.2008 erneut auf der Tagesordnung des Haushaltsausschuss im deutschen Bundestag. Der Punkt war wegen der weltweiten Finanzkrise hin und her verschoben worden. Einzelplan 17 ist der Haushalt des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend, zu dem auch die Finanzierung der Bundesprogramme gegen Rechtsextremismus gehört. Die vorab gute Nachricht: der Mittelansatz bleibt zunächst gleich. Zwei schlechte Nachrichten: Es wird nicht mehr Mittel geben, obwohl der Bedarf stetig steigt. Ein solcher Vorstoß wurde abgelehnt. Und im Osten sollen Programme sogar gekürzt werden zugunsten des Westens – statt Hilfen generell auszubauen.
Von Holger Kulick
Um solche Mängel zu beheben, stellten DIE GRÜNEN im Haushaltsausschuss drei Anträge zum Themenkomplex "Rechtsextremismus". Titel 68416 umfasste dabei ein neues Programm, welches Konstruktionsfehler des "VIELFALT TUT GUT"-Programms überbrücken sollte. Titel 68414 (VIELFALT TUT GUT) schlug vor, eine Kürzung der Selbstdarstellungs- und Evaluationsmittel des laufenden Förderprogramms in Höhe von 2 Mio. EUR der praktischen Arbeit vor Ort zuzuschlagen. Der dritte Antrag schließlich zielte darauf ab, die Beratungsnetzwerke im Westen auszubauen, ohne dafür – wie geplant - Mittel in den ostdeutschen Bundesländern kompensatorisch zu kürzen. Diese Kürzung, die vor allem Beratungsnetzwerke trifft, bewerten insbesondere Initiativen aus den neuen Bundesländern als verhängnisvoll. "Nachhaltige Problemlagen" gebe es im Osten wie im Westen" meint etwa Grit Hanneforth vom Kulturbüro Sachsen. Im Osten komme aber noch die Notwendigkeit dazu, besondere Anstrengungen gegen mangelndes Demokratieverständnis zu fördern, da sei erst recht jeder Abstrich fatal. Vor allem müsse solche Initiativ-Arbeit in die Hände von Zivilgesellschaft gelegt werden, die auch Bürgermeistern "unbequeme Fragen" stellen könne, ohne von ihm abhängig zu sein. Die momentan bestehende starke Abhängigkeit vom Wohlwollen der Bürgermeister war von Initiativen schon vor Beginn der neuen Bundesprogramme des Familienministerium als "Konstruktionsfehler" kritisiert worden und erweist sich auch in der Praxis zunehmend als ein solcher. "Ich würde eine unabhängigere Lösung daher sehr begrüßen", wie sie die Grünen jetzt vorschlagen, meint etwa Grit Hanneforth.
Der Antrag der grünen Bundestagsfraktion für ein solches zusätzliches Programm zur Unterstützung kleinerer Basisinitiativen sah einen Mittelumfang von rund 19 Mio Euro vor, der gleiche Vorschlag war allerdings vor einem Jahr bereits im Haushaltsausschuss gescheitert. Jetzt hofften die Grünen auf die wachsende Einsicht ihrer Kollegen, dass die bestehende Fördermaßnahmen keineswegs ausreichen , sondern gerade in ‚Krisengebieten’ zu wenig spontanes Reagieren ermöglichen und bei Desinteresse der Kommunalpolitik überhaupt nicht funktionieren.
Vorschlag: Neues Stiftungsprogramm zur Stärkung von Zivilgesellschaft
Dieses zusätzliche Programm sollte unter dem Titel stehen "Stärkung der Zivilgesellschaft gegen Rechtsextremismus". Im Kern geht es darum, die strukturellen Schwächen, die sich beim Programm "Maßnahmen zur Stärkung von Vielfalt, Toleranz und Demokratie" finden, zu umgehen: So sollen sich auch Basis-Initiativen aus Kommunen erfolgreich um Mittel für Modellprojekte bewerben können, deren Kommunalverwaltung nicht an einer aktiven Auseinandersetzung mit Rechtsextremismus mitwirkt.
Foto: Ehrung von Kommunalpolitikern im Rahmen des Programms 'Vielfalt tut gut' im September 2008.
Die Mittel sollten jedoch nicht von einer staatlichen Stelle verwaltet werden, sondern von einem freien Träger oder einer Stiftung, „die entsprechende Kompetenzen vorweisen kann“, heißt es im Vorschlag der Grünen. Ein Vorbild dafür, so verlautet aus der grünen Bundestagfraktion, sei die seit 10 Jahren aktive Amadeu Antonio Stiftung. Deren Vorsitzende, Anetta Kahane, hält die Idee für sehr nachdenkenswert, regt aber an, dass auch durch ein Stiftung finanzierte Projekte dazu angehalten werden sollten, lokale Ko-Finanzierungspartner unter Bürgern und in der Privatwirtschaft vor Ort zu suchen, um die lokale Anbindung zu stärken.
Die Grünen begründeten ihren Vorschlag damit, dass gerade kleinere, häufig ehrenamtlich organisierte Initiativen zur Förderung demokratischer Jugendkultur auf eine weniger bürokratische Abwicklung und andere Formen der Ko-Finanzierung angewiesen sind. Tatsächlich bildet die Ko-Finanzierung in Höhe von 50% beim Programm „VIELFALT TUT GUT“ Maßnahmen zur Stärkung von Vielfalt, Toleranz und Demokratie" für diese Gruppen einen entscheidenden Nachteil und oftmals ein Ausschlusskriterium. Zusätzlich werden vor allem kleine Träger vor kaum lösbare Probleme gestellt, die vom Bund geforderte Entwicklung der Kofinanzierung (1. Jahr 25%, 2. Jahr 50%, 3. Jahr 75%) für ihre Modellprojekte zu realisieren.
Diese Hürde sollte innerhalb des neuen Ansatzes der Grünen durch eine modifizierte Gewichtung bei der Ko-Finanzierung vermieden werden. Mit diesen Mitteln sollten zudem Projekte finanziert werden, die sich intensiv mit dem Opferschutz und der Opferschutzperspektive sowie genderspezifischen Fragen im Rechtsextremismus auseinandersetzen. Diese Themen werden durch die bisherigen Programme nur unzureichend oder gar nicht abgedeckt.
Zum anderen sollte die Förderung von Beratungsnetzwerken so weit aufgestockt werden, dass für jedes Bundesland 400 T€ pro Jahr entfallen und somit eine degressive Abschmelzung im Osten zugunsten des Aufbaus von Strukturen im Westen nicht nötig wird.
Foto: Schwerpunkt im Osten - Karte lokaler Aktionspläne gefördert durch das Bundesprogramm "Vielfalt tut gut".
Diese Abschmelzung ist bislang unsinnigerweise vorgesehen - damit verbunden ist ein Verzicht auf die so notwenige Kontinuität. "Solche Entscheidungen werden weit weg vom Leben an Schreibtischen gefällt und sind totaler Bödsinn", sagt Anetta Kahane: "Im Osten brechen durch solche bürokratische Fahrlässigkeit ganze Gebiete weg".
Unter Projekten und Initiativen stießen die Vorstöße der Grünen daher durchweg auf Zustimmung. Aber umsonst. Der Haushaltsausschuss des Bundestags lehnte am 5.11. alle drei Anträge ab, CDU/CSU, SPD und FDP-Ausschussmitgleider gaben den Vorschlägen einen Korb, nur die LINKE stimmte mit den GRÜNEN dafür.
Kritik aus Projekten
"Es fehlen", so Grit Hanneforth vom Kulturbüro Sachsen, " in Politik und Gesellschaft der Nachdruck und eine Lobby, die durchsetzt, um was es eigentlich gehen müsste - eine Regelfinanzierung, die Projekten die so wichtige Kontinuität in ihrer Arbeit erlaubt". Nach wie vor sei die permanente Jagd nach Fördermitteln und die damit verbundene Bürokratie der größte Hemmschuh für effektive Arbeit gegen Rechtsextremismus.
Die neu entwickelten Bundesprogramme hätten dieses Ausmaß an bremsender Bürokratie sogar verdoppelt, sagt Anetta Kahane von der Amadeu Antonio Stiftung. Jetzt gebe es eben nicht mehr wie früher nur ein zuständiges Ministerium und eine Servicestelle, sondern zusätzliche Verwaltungsebenen in Rathäusern und Landratsämtern, die sich im ständigen Rechtfertigungszwang untereinander sähen, aber die praktische Arbeit eher lähmten und die wissenschaftliche Evaluation häufig ignorieren würden.
www.mut-gegen-rechte-gewalt.de / Fotos: vielfalttutgut (2), kulick (2)