In der Nacht zum Freitag, den 8. August musste die Polizei in Dessau mit einem Großaufgebot eine Auseinandersetzung zwischen Jugendlichen aus der rechten und der linken Szene unter Kontrolle bringen. Vorausgegangen war eine Demonstration, die auf die zunehmenden Aktivitäten von Rechtsextremen in Sachsen-Anhalts drittgrößter Stadt hinweisen wollte. Die rechte Szene reagierte schnell und griff noch in der gleichen Nacht das alternative Jugendzentrum (AJZ) an. Dies war der Höhepunkt einer Serie von Anschlägen, mit denen seit Wochen versucht wird, die linke Jugend Dessaus einzuschüchtern. Spätestens jetzt sollte allen Verantwortlichen die Verhältnisse bewusst sein, mit denen Jugendzentren wie das AJZ in vielen Gemeinden Deutschlands zu leben haben.
Von Christopher Egenberger
Seit Monaten nehmen in der Region um Dessau rechtsextreme Propagandadelikte, Drohungen und Überfälle mit Körperverletzungen zu. Die Gewaltbereitschaft der rechtsextremen Szene ist dramatisch hoch. Allein im ersten Halbjahr 2008 hat es in den drei Landkreisen Anhalt-Bitterfeld, Wittenberg und Dessau-Roßlau zwanzig Angriffe mit rechtsextremem Hintergrund gegeben. Dazu kamen 155 Fälle mit anderen Straftaten und Propagandadelikten. Das bedeutet eine Stabilisierung auf hohem Niveau. Maßgeblich mitverantwortlich für die fortwährenden rechtsextremen Aktivitäten ist der gelungene Schulterschluss von NPD und ‚Freien Kameradschaften’, der zu einer verstärkten Kampagnenfähigkeit der Szene geführt hat.
Dies bekommen auch alternative Jugendtreffs in der Region zu spüren. So wie das AJZ, das sich seit 1993 in einem zunächst besetzten Haus in der Schlachthofstraße 25 im Norden Dessaus befindet. Im Jahr 2000 wurde das Haus dann aufwendig saniert und das AJZ legalisiert. In seinen Räumen ist auch das Mobile Beratungsteam gegen Rechtsextremismus ‚Projekt Gegenpart’ untergebracht. In den letzten Wochen häuften sich dann rechtsextreme Angriffe auf das Jugendzentrum, bei dem zum Glück noch niemand verletzt wurde, aber zum Teil erheblicher Sachschaden entstanden ist.
Am 15. Juli hatten Unbekannte aus einem fahrenden Auto Flaschen gegen die Eingangstür des AJZ geworfen und diese beschädigt. Am 26. Juli zerstörten fünf Täter mehrere Scheiben und verursachten einen Schaden von einigen tausend Euro. Diese Kette von Angriffen erreichte dann am Samstag vor der Demonstration einen weiteren Höhepunkt, als zwei Neonazis mit Steinwürfen eine Sicherheitsscheibe des Vereinscafes beschädigten. Einer der Täter, der schließlich von Vereinsmitgliedern gestellt werden konnte, war mit einem Teleskopschlagstock bewaffnet. Er wurde der Polizei übergeben. Der zweite Täter konnte nach Hinweisen aus der Bevölkerung ebenfalls in der Nähe des Tatorts aufgegriffen werden. Zumindest einer der Beiden ist Mitglied in der Kameradschaft „Freie Nationalisten Aken/Elbe“. Derartige Angriffe sollen die alternative Jugend einschüchtern und klarstellen, wer in der Region das Sagen hat.
Als Reaktion auf die sich häufenden Angriffe hatte die „AG Jugendträume“ dann am Donnerstag zu einer spontanen Demonstration aufgerufen, an der sich ungefähr achtzig Jugendliche beteiligten. Sie zogen durch die Dessauer Innenstadt. Ziel waren die Wohnungen von bekannten Nazis, über die in deren Nachbarschaft dann mit Flugblättern aufgeklärt wurde. Da man sich neben diesen ‚Nazioutings’ auch mit „Kiezverschönerungen“ in Erinnerung halten wollte, wird nun gegen 22 Demonstrationsteilnehmer ermittelt. Der Vorwurf lautet auf Sachbeschädigung und Verstoß gegen das Versammlungsrecht. Die unangemeldete Demonstration wurde von der Polizei schließlich aufgelöst.
Aus diesem Grund war das AJZ gut besucht, als man kurz nach Mitternacht ein Gegröle von draußen vernehmen konnte. Ungefähr 25 Neonazis marschierten die Schlachthofstraße in Richtung Jugendzentrum und skandierten „frei, sozial und national“. Alternative Jugendliche, die sich in der Nähe des Clubs aufhielten, wurden sogleich attackiert. Auch die mit der Situation überforderte Polizei wurde dabei angegriffen. Dass - abgesehen von einigen wegen Pfefferspray brennenden Augen - niemand ernsthaft verletzt wurde, grenzt an ein Wunder. Es kam zu acht Festnahmen.
Es ist erschreckend, wie schnell die Neonazis auf die Demonstration reagieren und mit beachtlicher Stärke zum Gegenschlag ausholen konnten. Dies zeigt deutlich, dass es in Dessau eine organisierte und kampfbereite rechtsextreme Szene gibt. Die Probleme, die Jugendclubs wie das AJZ mit dieser Bedrohung haben, müssen von den Verantwortlichen in Land und Kommune endlich ernst genommen werden. Denn noch immer wird das Problem Rechtsextremismus heruntergespielt. So berichtete etwa der MDR von Jugendlichen, „die teils vermutlich der rechten Szene angehörten“.
Wie prekär die Situation ist, zeigt ein weiteres Beispiel aus Brandenburg. In der Nacht vom 12. auf den 13. Juni ist in Bad Freienwalde ein Brandanschlag auf den selbstverwalteten Jugendclub „Maquis“ verübt worden. Mittlerweile gilt als gesichert, dass die Brandtstiftung rechtsextrem motiviert war. Auch in diesem Fall hatte es zahlreiche Vorfälle gegeben, die eine Bedrohung der Jugendlichen durch die rechte Szene offenbarten. Einige der Beispiele, welche die Opferperspektive gesammelt hat:
28. Dezember 2007: Eine Gruppe von sieben Rechten taucht in dem Gebäude auf und versucht durch verhörartiges Ausfragen der Anwesenden, Informationen über Personen des linken Spektrums in Bad Freienwalde zu erhalten. Sie drohen damit, dass das Gebäude sicherlich gut brennen würde und die Anwesenden vorsichtig sein sollten.
02. Februar 2008: Drei Mitglieder der rechtsextremen Szene versuchen, sich gewaltsam Zugang zu den Räumen zu verschaffen, dabei schlagen sie ein Fenster ein. Zwei Personen im Inneren der Baracke alarmieren die Polizei.
03. Februar 2008: Eine Gruppe Rechtsextremer verlangt Zutritt zu einem Konzert. Als sie am Betreten der Räume gehindert werden, schlägt einer der Rechten einen Jugendlichen ins Gesicht.
Zahlreiche Einschüchterungen und Gewaltanwendungen, deren Ausmaß belegen, dass es sich hierbei keineswegs um Ausnahmen handelt, sondern um „systematische Einschüchterungen, die das Ziel haben, andersdenkende Jugendliche zu verdrängen“, erklärt Johanna Kretschmann von der Opferperspektive. Sogenannte „national befreite Zonen“, in denen Andersdenkende und Ausländer permanent damit rechnen müssen, Opfer von Angriffen zu werden, sind in manchen Regionen Deutschlands bereits Realität. Diejenigen, die sich dem Rechtsextremismus entgegenstellen könnten, ziehen unter solchen Umständen oftmals lieber weg. Daher sollte die Politik, anstelle immer wieder Zivilcourage zu fordern, erst einmal die Sicherheit von Einrichtungen wie dem AJZ oder dem Maquis sicherstellen, damit zivilgesellschaftliches Engagement nicht im Keim erstickt wird durch Einschüchterung und Gewalt. Dazu müssten die Behörden aber rechtzeitig reagieren, wenn die Zeichen doch für jeden klar zu erkennen sind und die Drohungen und Angriffe immer neue Qualitäten erreichen. Solange die Verantwortlichen weiterhin ihre Augen verschließen, wird es keine adäquaten Strategien geben, um einem weiteren Erstarken der örtlichen rechten Szenen zu begegnen.
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