Nur drei Wochen nach dem brutalen Mord an Bernd K. wurde in Templin erneut ein junger Neonazi wegen schwerer Körperverletzung verhaftet. Templin ist jene Stadt, in der es laut Bürgermeister Ulrich Schoeneich gar keine rechte Szene gibt. Aus diesem Grund hatte er auch Anfang August ein Konzert gegen rechte Gewalt verboten. Aufgrund der wachsenden Kritik lässt er die Veranstaltung nun doch zu. Der Bürgermeister erkennt inzwischen auch ein Problem mit Rechtsextremismus in seiner Stadt. Die Fehler und Versäumnisse sucht er allerdings weiterhin bei allen – nur nicht bei sich selbst.
Von
Sarah Köneke
In der Nacht zum Sonntag, den 10.8.2008 war ein 16-jähriger gemeinsam mit einem Freund mit dem Fahrrad auf dem Rückweg einer Feier, als er von einem Neonazi attackiert wird. Der tatverdächtige Roman A. soll den Jungen völlig grundlos zu Boden gestoßen und ihm anschließend heftig mit dem Fuß gegen den Kopf getreten haben. Das Opfer verlor das Bewusstsein und erlitt schwere Verletzungen, unter anderem einen Kieferbruch. Er befindet sich noch im Krankenhaus, ist aber außer Lebensgefahr. Der Tatverdächtige wurde am Montag festgenommen. Gegen ihn ist Haftbefehl wegen schwerer Körperverletzung erlassen worden. Die Tat sei laut der Staatsanwaltschaft am „Rande eines versuchten Tötungsdelikts“. Einen rechtsextremen Hintergrund schließt sie jedoch zurzeit aus. Roman A. habe die Tat gestanden und angegeben, dass er ‚ausgetickt’ sei. Er ist bereits seit seiner Kindheit bei der Polizei bekannt und wegen Körperverletzung vorbestraft. Erst vor knapp zwei Monaten wurde er aus dem Jugendstrafvollzug entlassen. Roman A. bezeichnet sich selbst als Rechtsextremist und ist eindeutig der rechten Szene zuzuordnen. Er gehört jedoch nicht zu der Gruppe von rund 30 rechtsorientierten Männern, die seit dem Mord vor drei Wochen unter Polizeibeobachtung steht.
Templin wird gerne als ‚Perle der Uckermark’ bezeichnet. Es ist ein hübsches und herausgeputztes Städtchen, das viele Touristen anzieht, auch die Kanzlerin macht gerne in der Region Urlaub. Neonazis passen da nicht in das Bild der Kleinstadt. Templins Bürgermeister Ulrich Schoeneich hatte nach dem Mord Mitte Juli auch gleich behauptet, es gebe in der idyllischen Stadt gar keine rechte Szene und Templin sogar als „Insel der Glückseligen“ bezeichnet. Als Jörg Krüger, der Neffe des ermordeten Bernd K., diese Worte des Bürgermeisters hörte, beschloss er, eine Informationsveranstaltung mit Benefizkonzert zu organisieren. Von dem Geld wollte er einen Grabstein für seinen Onkel kaufen und die Töchter finanziell unterstützen. Krüger hatte bereits Kontakte zum Mobilen Beratungsteam gegen Rechtsradikalismus und dem Verein Opferperspektive aufgebaut und auch das Ordnungsamt schien zuzustimmen. Doch plötzlich schritt Schoeneich mit der Begründung ein, dass die Stadt sich erst „besinnen müsse und keine Konzerte mit Alkoholkonsum brauche“. Die Veranstaltung gegen rechts wurde abgesagt und Bernd K. in einem anonymen Grab beerdigt.
Nach dem neuesten Vorfall musste sich der Bürgermeister erneut vor der Öffentlichkeit rechtfertigen und erklären, wie es zu dieser weiteren Tat eines Rechtsextremisten in Templin kommen konnte, obwohl es dort ja offiziell keine Neonazis gibt. Herr Schoeneich reagierte auf die neuerliche Gewalt mit den Worten: «Templin ist keine besondere Stadt, sie ist nicht besonders rechts oder links.». Es stelle sich aber die Frage, was „wirklich rechts“ bedeute. Es gebe bei jedem Dorffest am Ende eine Prügelei und es sei immer schlimm, wenn Menschen verletzt würden. Dabei sei es egal, ob dies durch Anhänger der linken oder rechten Szene geschehe.
So wie der Bürgermeister sieht Johanna Kretschmann von der Organisation Opferperspektive die Situation nicht. Sie erkennt in Templin ein klares Problem mit rechter Gewalt und erzählt, dass es im letzten Jahr eine erschreckend hohe Anzahl rechtsextremistisch motivierter Gewalttaten gegeben habe. Zwischen 2007 und 2008 seien in Templin zehn solcher Überfälle gezählt worden. Diese Zahlen aus der 17.000-Einwohner-Stadt sind vergleichbar mit Zahlen aus Städten wie Cottbus oder Potsdam. Kretschmanns Meinung nach wäre es vor allem „wichtig, dieses Problem zu benennen“. Verfassungsschutzchefin Winfriede Schreiber beschreibt die rechte Szene in Templin als „zahlreich. Sie unterscheidet sich von Prenzlau oder Schwedt durch eine hohe Gewaltbereitschaft“. Genau diese hohe Gewaltbereitschaft ist es, die die Szene in Templin so gefährlich macht. „Die Hemmschwelle ist sehr niedrig“, sagt der Journalist Peter Huth, der die rechte Szene in der Uckermark seit langem beobachtet. Laut Huth ereigneten sich von zehn bekannt gewordenen Delikten in der Uckermark neun in Templin. Er sagt auch: "Nach Mitternacht sind die Neonazis die Herren der Straße".
Konzert gegen Rechts findet nun doch statt
Aufgrund des großen Drucks rang sich Bürgermeister Schoeneich nun letztendlich doch dazu durch, eine Veranstaltung gegen rechte Gewalt auszurichten. Die Stadt gab am Donnerstag, den 14.8. offiziell bekannt, dass es am 23. August eine Kundgebung und ein Benefizkonzert geben wird. Die Stadt Templin organisiert die Veranstaltung nun gemeinsam mit Jörg Krüger und mit der Unterstützung des Mobilen Beratungsteams für Toleranz in Brandenburg. Schoeneich sagte auch zu, als Redner bei der Veranstaltung aufzutreten. Er möchte damit ein klares Zeichen gegen Rechtsextremismus setzen und „klar machen, dass wir den Finger darauf legen“. Diese längst überfällige Entscheidung hätte Schoeneich allerdings unmittelbar nach dem Mord und ohne Druck der Öffentlichkeit fällen müssen, um tatsächlich glaubwürdig zu erscheinen und ein starkes Zeichen gegen Rechts setzen zu können. Das Einlenken des Bürgermeisters erscheint zu diesem Zeitpunkt lediglich als Einknicken vor der Öffentlichkeit. Vor allem wenn man bedenkt, dass er zunächst nur ein Konzert gegen Gewalt genehmigt hatte. Diese Entscheidung traf in der Öffentlichkeit ebenfalls auf Kritik und auch das Mobile Beratungsteam riet ihm zu einer Präzisierung der Veranstaltung. Schoeneich lenkte erneut ein und genehmigte die Veranstaltung gegen rechte Gewalt.
Allerdings muss auch erwähnt werden, dass es nun scheinbar tatsächlich Bemühungen gibt, sich dem Problem zu stellen und auf diese Weise eventuell Versäumtes aufzuholen. Die Stadt lässt sich zum Beispiel inzwischen vom Mobilen Beratungsteam beraten. Außerdem wurde eine fraktionsübergreifende Arbeitsgruppe gegründet, die nachhaltige Maßnahmen gegen Gewalt und politischen Extremismus beraten und entwickeln soll. Die Stadtverordneten schrieben dazu in einer Erklärung: „Wir verurteilen ausdrücklich jede Form von Gewalt, Intoleranz und Rechtsextremismus auf das Schärfste“. Um weitere Handlungsschritte zu besprechen soll Anfang September ein Seminar mit dem Mobilen Beratungsteam und Winfriede Schreiber, Präsidentin des Brandenburgischen Verfassungsschutzes, durchgeführt werden. Langsam bewegt sich etwas in Templin.
Schuld sind immer die Anderen
Diese positiven Entwicklungen in Templin stehen nun allerdings im Schatten einer ganz anderen Schlammschlacht um die Frage, wer wen im Vorfeld nicht ausreichend über die gewaltbereite rechte Szene informiert habe. Bürgermeister Schoeneich wehrt sich noch immer gegen den Vorwurf der Untätigkeit. In der Erklärung berichtet er von einer vielfältigen Jugendarbeit, die eng mit dem Mobilen Beratungsteam für Toleranz in Brandenburg zusammenarbeiten würde. Schoeneich fühlte sich hingegen von den Behörden nicht ausreichend informiert. In einer Erklärung griff er das Innenministerium und die Staatsanwaltschaft an, weil den Verantwortlichen der Stadt „unverständlich“ sei, „dass sie in den letzten Jahren seitens Polizei, Staatsanwaltschaft und Verfassungsschutz über das Treiben einiger weniger Rechtsradikaler und deren Straftaten völlig im Unklaren gelassen wurden.“ Die Stadtverordneten fühlten sich deswegen „zu Unrecht als ‚ahnungslos und inaktiv’ gebrandmarkt“. Mit dieser Erklärung wehrt sich die Stadt vor allem gegen eine Äußerung des brandenburgischen Innenministers, Jörg Schönbohm, der Templin als eine Hochburg der Rechten bezeichnet hatte. Wörtlich heißt es in dem Schreiben: “die Äußerung (…) kam für uns aus heiterem Himmel. Sollte man im Innenministerium wirklich entsprechende Fakten kennen, so wurden sie uns unerklärlicher Weise nicht einmal im Ansatz mitgeteilt.“ Ein weiteres Versäumnis sei, dass die Staatsanwaltschaft Neuruppin nur die Medien, nicht jedoch den Bürgermeister oder die Stadtverordneten informiert hatte. Aufgrund dieses „unverzeihlichen Informationsverlustes“ standen die Verantwortlichen „zunächst politisch handlungsunfähig da“ als sie „von Presse, Funk und Fernsehen ‚überrannt’ wurden“.
Das Brandenburger Innenministerium weist die Anschuldigungen entschieden zurück. Ein Sprecher des Innenministers dementierte zunächst diese angebliche Äußerung Schönbohms. Darüber hinaus berichtete er, dass die Polizei eng mit der Templiner Stadtverwaltung zusammenarbeite und es einen regelmäßigen Austausch über die Lage gebe. Dieser Austausch schließe auch den Kampf gegen Rechtsextremisten ein und somit sei die Kritik für ihn unverständlich. Zusätzlich informiere auch der Verfassungsschutz regelmäßig über die Aktivitäten der rechten Szene und man könne diese Informationen sogar im Internet finden. Im Juli erst hatte die Behörde erklärt, dass es in Templin circa 80 Rechtsextreme gebe, von denen etwa 30 gewaltbereit seien.
Die Neuruppiner Staatsanwältin sagte zu den Vorwürfen, dass es nicht Aufgabe ihrer Behörde sei, automatisch Bürgermeister über aktuelle Straftaten aufzuklären. Sie habe kein Informationsbedürfnis bemerkt, da Schoeneich im Gegensatz zu anderen Bürgermeistern nicht nach Informationen zu rechtsextremistischen Delikten gefragt habe, auch nicht nach dem Mord im Juli. Von der örtlichen Polizeistelle gab es keine direkte Stellungnahme. Bekannt ist aber, dass es für den Schutzbereich Uckermark seit November ein spezielles Konzept zur Prävention von rechtsextremen Straftaten gibt. Es sind also Spezialkräfte der Polizei im Einsatz, die die rechtsextreme Szene durch ihre Präsenz unter Druck setzen sollen. Der Polizeichef soll darüber hinaus auch auf das Problem mit der rechten Szene in Templin hingewiesen haben.
Auch von anderen Seiten gab es Kritik an den Vorwürfen des Bürgermeisters, unter anderem von Johanna Kretschmann von der Organisation Opferperspektive. Sie findet es „völlig unverständlich“, denn „jemand, der die Verantwortung für eine Stadt bekommt, muss sich selbst solche wichtigen Informationen beschaffen.“ Die rechte Szene sei in Templin nicht zu übersehen, regelmäßig wären neue rechtsextremistische Schmierereien an den Wänden und auch die Angehörigen der Szene seien durchaus im Stadtbild präsent. Sie sehe einfach „keine Bereitschaft, das Rechtsextremismusproblem wahrzunehmen.“
Nach dem Streit und den gegenseitigen Schuldzuweisungen scheint es nun zu einer Aussprache zwischen der Stadt und den Landesbehörden zu kommen. Für den 8. September ist ein internes Gespräch zwischen den Stadtverordneten, dem Verfassungsschutz und der Polizei geplant. „Einmischung von außen“ lehnt Schoeneich allerdings weiterhin ab. Man brauche die vom CDU-Bundestagsabgeordneten Jens Koeppen zusätzlich für nächste Woche angekündigte öffentliche Podiumsdiskussion zum Thema Gewalt in Templin nicht.
Es verwundert dennoch, dass die Templiner Verantwortlichen angeblich nichts wussten, obwohl die Polizei vor Ort und die speziell für Kommunen gebildeten Mobilen Beratungsteams offenbar informiert waren. Es hätte genügend Möglichkeiten für Bürgermeister Ulrich Schoeneich gegeben, sich über die Situation der rechten Szene in seiner Stadt zu informieren. Die Frage ist, ob er das überhaupt wollte, oder ob es ihm nicht lieber war, weiterhin die heile Welt der Kurstadt vorzuspielen. Allerdings sollten auch die Landesbehörden aus der Situation lernen und überlegen, wie man Kommunalpolitiker, die zu oft mit der Situation überfordert sind, unterstützen und auf die Dringlichkeit des Handlungsbedarfes hinweisen kann. Es ist auch vom Innenministerium zu einfach, den Kopf aus der Schlinge zu ziehen, indem lediglich gesagt wird, der Verfassungsschutz habe keine Informationspflicht. Wenn er Erkenntnisse über Gewalttäter hat, sollte davon auch sofort die betroffene Kommune erfahren. Sich nun aber gegenseitig die Schuld in die Schuhe zu schieben, wird nicht helfen, das Problem zu lösen. Es sollte spätestens jetzt nach dem zweiten schweren rechtsextremen Angriff versucht werden, das Versäumte nachzuholen und aus Templin wirklich eine möglichst rechtsextremismusfreie Stadt zu machen.
Für Bernd K. kommen sämtliche Bemühungen der Stadt zu spät. Es gab in der Region bereits vorher Gewalt durch Neonazis und die Verantwortlichen hätten rechtzeitig reagieren und Präventionsmaßnahmen starten können. Der Vorfall in Templin zeigt aber leider wieder einmal sehr deutlich, dass Rechtsextremismus immer noch solange es geht totgeschwiegen wird – oft solange bis das Schweigen ein Menschenleben kostet.
Lies bei MUT auch die Artikel zum
Mord an Bernd K. und dem
Verbot des ursprünglich geplanten Benefizkonzertes Anfang August.
www.mut-gegen-rechte-gewalt.de