"Der Hamburger Rechtsextremist und NPD-Funktionär Jürgen Rieger kann wieder über das 'Schützenhaus' in Pößneck verfügen". Diese Gerichtsentscheidung sorgte am Montag für Ernüchterung in der thüringischen Kleinstadt Pößneck. Dort hatten Kommune und ein ausgesprochen kreatives Jugendbündnis seit drei Jahren erfolgreich gegen die Nutzung des zentral im Ort gelegenen Hotel- und Gaststättenbaus durch NPD-nahe Kreise gewirkt. Umsonst?
Das Landgericht Gera entschied am 21.7., dass der Hamburger NPD-Kader wieder den vollen Zugriff auf seine beiden Immobilien der "Wilhelm Tietjen Stiftung" erhält - den "Heisenhof" im niedersächsischen Dörverden und in Thüringen das Pößnecker "Schützenhaus". "Herr Rieger gilt als Eigentümer der gesamten Immobilien", betont Philip Redeker, Pressesprecher des Gerichts gegenüber der taz. Das Blatt berichtet weiter:
"Im März 2007 hatte die thüringische Stadt Pößneck vor dem Amtsgericht Jena erwirkt, dass Rieger die Verfügung über die Immobilien entzogen wurde. Mitten im Ort hatte er 2003 für 360.000 Euro das "Schützenhaus" erworben. 2004 kaufte er für 255.000 Euro den "Heisenhof" am Rand von Dörverden. Beide Komplexe wollte er zu Neonazizentren ausbauen.
Rieger versäumte allerdings in London, wo die "Stiftung" als Firma im Handelsregister eingetragen war, die Geschäftsbücher vorzulegen. Die britische Behörde löschte sie. Das Amtsgericht Jena hatte deswegen 2007 entschieden, die Immobilien sind herrenlos, und setzte einen Nachtragsliquidator ein. Erfolgreich konnte Rieger Anfang April 2008 vor dem Landgericht Erfurt erwirken, dass ohne seine Zustimmung keine Immobilie veräußert werden darf. Längst hatte Rieger zudem im britischen Handelsregister wieder eine "Wilhelm Tietjen Stiftung Ltd." eintragen lassen. Das Landgericht stellte nun fest, dass das Unternehmen, weil es wieder im Handelsregister stehe, auch wieder Eigentümer des Vermögens sei. Ein Widerspruch des Nachtragsliquidators ist möglich, aber unwahrscheinlich.
Die Anwesen kann Rieger jetzt gleich betreten. Bauen und nutzen aber darf er noch nicht. Denn es gibt noch rechtliche Auflagen der Gemeinden und Rechtseinsprüche. Regina Tryta, Erste Kreisrätin des Landkreis Verden, sagte gestern zu NDRInfo: "Der Landkreis bleibt bei seiner Auffassung, dass die Nutzung weitgehend ausgeschlossen sei." Nachlassen wird Rieger jedoch nicht."
Eingeweiht worden war das Schützenhaus Anfang April 2005 mit einem mehr als 1000 Besucher zählenden Neonazikonzert (Foto). Daraufhin hatte sich in der Thüringer Kleinstadt ein schon nach kurzer Zeit weit über Pößneck hinweg respektiertes Jugendbündnis gegründet, das "ABC-Pößneck". Dessen Sprecher Philipp Gliesing kommentierte am Montagabend die Entscheidung mit einem Appell an alle bisherigen Unterstützer:
"Der Traum scheint vor dem Aus! Die Nazis bleiben im Haus! Wie werden wir nun agieren? Gibt es uns neuen Mut und Stärke?
Ich bitte Sie alle: Lasst uns eine starke demokratische Bewegung werden. Lasst uns nicht hinnehmen, dass dieser Nazianwalt weiterhin Pößneck missbrauchen kann. Unser Widerstand gegen die NPD hat in den ersten zwei Jahren bundesweiten Vorbildcharakter gehabt. Doch längst hat er nicht das Niveau erreicht, dass notwendig ist, um die braune Gefahr zu bändigen. Es erscheint wie ein Problem von Außen. Jedoch müssen wir erst vor der eigenen Haustür kehren, bevor wir diese Gefahr bannen können. Pößnecker Neonazis gibt es. Pößnecker Fremdenhass gibt es. So lange ein Klima der Angst herrscht, wird sich nichts ändern. Zeigen wir, dass wir kreativ und solidarisch sind, wenn sich Braune versammeln und zur Wahl antreten wollen. Wir brauchen eine Jugend, die sich nicht vergiften lässt. Wir brauchen Bürger, die sich nicht wegducken. Wir lieben unsere Stadt und für diese Heimat wollen wir streiten!"