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1964 besuchte Martin Luther King jr. Berlin – 50 Jahre danach feiert die Stadt ein unwürdiges Gedenken des Menschenrechtlers.
Ein Kommentar von Christian Sommer
50 Jahre ist es her, dass Dr. Martin Luther King Jr. das geteilte Berlin besuchte. Der Menschenrechtler aus den USA, der für die Anerkennung und Gleichstellung Schwarzer Menschen kämpfte, und sie zum gewaltlosen Widerstand aufrief, war damals der Einladung des regierenden Bürgermeisters Willy Brandt gefolgt. Vom 13. bis zum 14.September 1964 besuchte er den damaligen Westteil der Stadt. Eine persönliche Verbindung zu einem Vertreter der katholischen Kirche führte dazu, dass King am Abend des 13. September nach Ostberlin gelangte, und dort in der völlig überfüllten St. Marien- und Sophienkirche predigte. „Die Ostberliner fühlten sich ermutigt, wahrgenommen und gestärkt“, so berichten ehemals Anwesende. Völlig begeistert seien sie gewesen, so Zeitzeuginnen und -zeugen, dass Martin Luther King ausgerechnet zu den Menschen im Berliner Osten gekommen sei, um ihnen Mut zuzusprechen.
Berlin feiert nun Jubiläum: Martin Luther King in Deutschland. Seine Botschaft und sein Anliegen einer gerechteren, rassismusfreien Gesellschaft, in der Menschenrechte für alle gelten, nehmen viel Raum ein in den Festreden dieser Tage.
Jenseits der Festsäle sieht die Realität für Viele anders aus: Stimmen betroffener Menschen, die täglich mit Rassismus konfrontiert sind, in Institutionen wie in ihrem Alltag, der sich in einer Realität eines nicht aufgearbeiteten Kolonialismus abspielt, bleiben ungehört. Seit Jahren kämpfen Flüchtlinge erbittert und verzweifelt um die Gewährung ihrer Menschenrechte, doch ihr friedlicher Protest stößt auf taube Ohren.
Drinnen werden derweil die Festreden ausgerechnet von denjenigen gehalten, die als Bürgermeister und Senator Berlins für die gegenwärtige Flüchtlingspolitik verantwortlich sind. Ausgerechnet jene, die derzeit eine Politik repräsentieren, die Geflüchtete und ihre berechtigten Proteste von Anfang an kriminalisiert hat und zu unterbinden versucht, inszenieren sich nun anlässlich des Gedenkens an Martin Luther King.
„Diese akuten Tatsachen anlässlich einer Ehrung von Martin Luther King durch sämtliche Veranstaltungen hindurch strategisch zu verschweigen, kommt einem Missbrauch seines Andenkens gleich“, so konstatiert die Initiative Schwarzer Menschen in Deutschland. „Es scheint, als ob seine Figur im Rahmen einer Image-Kampagne für Politiker_innen instrumentalisiert werden soll“.
Der Verein hatte in einer schriftlichen Stellungnahme anlässlich der Gedenkfeierlichkeiten, in der er die Instrumentalisierung Kings durch verantwortliche Volksvertreter kritisiert, eine Auseinandersetzung von Politikerinnen und Politikern sowie Organisatorinnen und Organisatoren mit strukturellem und institutionellem Rassismus in Deutschland gefordert. Nur so könnten Fehltritte in der Erinnerungspolitik in Zukunft vermieden werden.
Ein halbes Jahrhundert später also, sind wir offenkundig weit entfernt von einer Realität, wie sie King erträumt hat.
Die gute Nachricht ist: Die Situation ist veränderbar. Lernen wir aus der Geschichte und stellen wir uns unserer Verantwortung, rassistische Politik wie auch Alltagspraxen zu reflektieren, anstatt sie unsichtbar zu machen, und orientieren wir uns an den Worten Kings, der schon damals konkret zum Handeln ermutigt hat: The time is always right to do what is right.