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Im Schatten der diesjährigen Fußball-Weltmeisterschaft verabschiedete der Bundestag sang- und klanglos eine tiefgreifende Änderung des Asylrechts: Serbien, Mazedonien und Bosnien-Herzegowina gelten künftig als sogenannte sichere Herkunftsstaaten. Diesen Freitag soll der Gesetzesentwurf den Bundesrat passieren. Doch nun regt sich Widerstand, da gerade Minderheiten wie Sinti, Roma, aber auch Homosexuelle in diesen Ländern von Verfolgung bedroht sind.
Von Jan Riebe und Anna Brausam
„Dieser Gesetzentwurf ist das Schärfste und das Schäbigste, was einem deutschen Ministerium seit der Änderung des Asylgrundrechts vor 21 Jahren eingefallen ist. Er ist nicht nur eine Ansammlung von Nickeligkeiten, neuen Erschwernissen und Bürokratismen; im Kern ist er die Perfidie in Paragrafenform.“ Die Wortwahl von Heribert Prantl, Leiter des Ressort für Innenpolitik bei der Süddeutschen Zeitung ließ keinen Deutungsspielraum zu. Er äußerte seine unmissverständliche Kritik am 9. Mai 2014 anlässlich der Veröffentlichung des Referentenentwurfs des Bundesministeriums des Inneren "zur Neubestimmung des Bleiberechts und der Aufenthaltsbeendigung". Seitdem sind knapp vier Monate vergangen, viel Zeit zum Umdenken. Doch eine deutliche Kursänderung ist von Seiten der Bundesregierung nicht erkennbar. Und so verhallt auch die Kritik nicht.
Anspruch auf eine sorgfältige, einzelfallbezogene und unvoreingenommene Prüfung
Petra Follmar-Otto vom Deutschen Institut für Menschenrechte warnt anlässlich aktueller Gesetzesvorhaben der Bundesregierung vor einer Verschärfung im deutschen Asylrecht: „Die geplanten Restriktionen würden den Umgang mit Schutz suchenden Menschen in Deutschland gravierend verändern“. Sie geht sogar noch weiter: „Die Einstufung weiterer Staaten als so genannte sichere Herkunftsstaaten beschneidet den menschen- und flüchtlingsrechtlichen Anspruch auf eine sorgfältige, einzelfallbezogene und unvoreingenommene Prüfung der Schutzbedürftigkeit von Menschen. Weitere geplante Gesetzesänderungen sehen grund- und menschenrechtswidrige Verschärfungen der Abschiebungshaft vor. Pauschale Kürzungen der Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz widersprechen dem Menschenrecht auf ein menschenwürdiges Existenzminimum.“
Asylrechtsverschärfung im Schatten der Fußball-WM
Anfang Juli – wohl nicht ganz zufällig während der Fußball WM – beschloss der Bundestag, dass Serbien, Mazedonien und Bosnien-Herzegowina künftig als sogenannte sichere Herkunftsstaaten gelten. Das Ziel dieser Gesetzesverschärfung ist offensichtlich: Asylanträge von Menschen aus den drei Ländern können künftig leichter abgelehnt werden. Viele Menschrechtsorganisationen sehen die drei Staaten keineswegs als sichere Herkunftsländer. Insbesondere Minderheiten wie Sinti, Roma, aber auch Homosexuelle seien in diesen Ländern von Verfolgung bedroht.
Der Vorstoß der Bundesregierung ist nicht zuletzt eine Reaktion auf eine wiederaufkeimende Diskussion über zu hohe Flüchtlingszahlen, die in großen Teilen der Öffentlichkeit geführt wird. In diese Debatte schleichen sich nicht nur altbekannte Neonazis und Rechtsextreme der NPD, sondern auch „besorgte Bürgerinnen und Bürger“ schließen sich zu Initiativen à la „Nein zum Heim“ zusammen. Auch die AfD feiert mit ihren Schlagworten der „Armutsmigration“ und den „Wirtschaftsflüchtlingen“ bei den letzten Landtagswahlen große Erfolge. Infolge dieser gefährlichen Allianz sind in der aktuellen Asyldebatte zunehmend altbekannte Stereotype der 1990er zu vernehmen. Das Zeichnen der Katastrophenszenarien von Flüchtlingswellen, die Deutschland überfluten, bleibt nicht ohne Folgen. Dies zeigt nun auch das Vorhaben der Bundesregierung, das Recht auf Asyl noch weiter einzuschränken.
Parallelen zum Asylkompromiss von 1993
Denn bereits Anfang der 1990er Jahre verabschiedete die Bundesregierung infolge der Angriffswellen auf Flüchtlingsunterkünfte wie Rostock-Lichtenhagen den sogenannte Asylkompromiss: Der Artikel 16 des Grundgesetzes der das Recht auf Asyl regelt, wurde durch den Absatz a) ergänzt. Damit trat die sogenannte Drittstaatenregelung in Kraft. Flüchtlingen wird seitdem in Deutschland Asyl verweigert, wenn sier aus einem Mitgliedsstaat der EU oder aus einem sicheren Drittstaat einreisten. Bedenkt man die Tatsache, dass Deutschland in der Mitte Europas liegt, das ausschließlich von „sicheren Drittstaaten“ umgeben ist, glich diese Verschärfung einer de facto Abschaffung des Asylrechts.
Die Asylrechtsverschärfung von 1992/93 und der aktuelle Versuch einer weiteren Einschränkung durch die Bundesregierung zeigen, dass rechte Kräfte die Asyldebatte maßgeblich befeuern. Es ist aber auch das Versäumnis der etablierten Parteien, rechtsextremen und rechtspopulistischen Parteien entschieden eine Absage zu erteilen.
Kretschmann verschafft Mehrheit
Bei der Abstimmung im Bundesrat über das Gesetz zu sicheren Herkunftsstaaten verhalf letztlich die rot-grüne Regierung Baden-Württembergs unter Kretschmann zur Mehrheit. Andere Bundesländer mit einer rot-grünen Regierung lehnten das Gesetz im Bundesrat ab. Kretschmann widersetzte sich so der ursprünglichen Ankündigung des Bündnis 90/Die Grünen, den Gesetzesentwurf in der jetzigen Form zu stoppen. Er rechtfertigt die Zustimmung mit Verbesserungen für die hier lebenden Flüchtlinge im Bereich des Arbeitsmarktzugangs und der Residenzpflicht.
Gegen die Entscheidung regt sich jedoch innerparteilicher Widerstand. “Ich halte die Entscheidung des Bundesrates für falsch. Ich bedauere sie auch“, kommentierte die Fraktionsvorsitzende Katrin Göring-Eckardt die Zustimmung. Im Vorfeld zu den Verhandlungen hatten auch die Spitzenkandidatin der europäischen Grünen zur Europawahl 2014, Ska Keller, und zwei weitere Grüne den Aufruf „Das Recht auf Asyl gilt ohne Kompromisse“ initiiert, der vor einer Zustimmung zur Asylverschärfung warnte. Diesen Aufruf haben viele Prominente Grüne wie Claudia Roth, Volker Beck oder Sven-Christian Kindler unterschrieben.
Auch Flüchtlingsaktivistinnen und -aktivisten haben deutlich gemacht, was sie von dem vermeintlichen Asylkompromiss halten. Am 17. September besetzten 30-40 von ihnen vorübergehend die Bundesgeschäftsstelle der Grünen in Berlin, um gegen die Asylrechtsverschärfung zu protestieren.
Weitere Aushöhlungen des Asylrechts im Hebrst?
Im Herbst sollen weitere Regelungen des Referentenentwurfs Kabinettsreife erlangen. Der bisherige Entwurf zielt vor allem auf die Ausweitung von Gründen für die Abschiebehaft bzw. eine Verschärfung des Einreise- und Aufenthaltsverbots. So reicht es beispielsweise nach dem aktuellen Entwurf des Artikels 1 (2) für das Attestieren einer erheblichen Fluchtgefahr aus, wenn ein Asylsuchender „bereits früher in Deutschland oder in einem anderen Mitgliedstaat untergetaucht ist“. Der Deutsche Anwaltverein kritisiert den Entwurf scharf: „Wer den zuständigen Staat verlässt, um in einem unzuständigen Staat um Asyl nachzusuchen, wird sich bei den Behörden des zuständigen Staates nicht abmelden und als „untergetaucht“ gelten. Faktisch erfüllt jeder Asylsuchende, der auf dem Landweg in das Bundesgebiet einreist, diesen Haftgrund.“
Nun bleibt abzuwarten, ob die kritischen Stimmen der vergangenen Tage bis zu den Verhandlungen im Herbst andauern. Zu befürchten ist jedoch, dass mit vermeintlichen Kompromissangeboten auch beim nächsten Mal versucht wird, Mehrheiten zu erzielen.
Weitere Kritikpunkte am Referentenentwurf des Bundesministeriums des Innern zum Entwurf eines Gesetzes zur Neubestimmung des Bleiberechts und der Aufenthaltsbeendigung (Stand: 07.04.2014):
http://anwaltverein.de/downloads/DAV-SN-29-14.pdf
Foto: Rasande Tyskar/ CC BY-NC 2.0