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Ein Projekt des Magazins stern und der Amadeu Antonio Stiftung
Geht es um die Situation von Flüchtlingen, scheint die Aufenthaltsgenehmigung das zentrale Problem. Dabei stehen auch Menschen mit legalem Status vor großen Hindernissen – obwohl sie nun die Möglichkeit haben, eine eigene Wohnung und einen Job zu suchen, stoßen sie nicht nur erneut auf Vorurteile und Ablehnung, sondern auch auf alltägliche Probleme. Anna Brausam hat einen syrischen Flüchtling begleitet – ihr Bericht dokumentiert Diskriminierung auf unterschiedlichsten Ebenen.
Von Anna Brausam
Zehn Quadratmeter. So »groß« war das Zimmer, das sich Nabil* mit einem vollkommen fremden Menschen teilen musste, als er nach einer dramatischen Flucht von Syrien nach Deutschland kam, um hier Asyl zu beantragen. Keine Privatsphäre, keine Möglichkeit, sich mit seinen traumatischen Erlebnissen auseinanderzusetzen – und keine Chance, sich zu bewegen: Nabil war nach dem »Königsteiner Schlüssel« per Zufall in einer 6.000 SeelenGemeinde in Bayern gelandet. Hier gilt – als einzigem Bundesland neben Sachsen – noch die Residenzpflicht. Für Nabil war diese Zeit sehr bedrückend, hat er als Journalist in Syrien doch bereits mit internationaler Presse zusammengearbeitet und ist daher viel gereist. »Ich fühlte mich eingesperrt und alleine. Niemand wollte mit mir sprechen. Traf man auf der Straße auf Anwohner, vermieden sie stets Augenkontakt. Kein einziges Mal wurde ich gegrüßt«, so der Syrer.
Vielerorts keine Willkommenskultur
Zahlreiche Geschichten hat er in dieser Zeit erlebt, die ein Zeugnis dafür sind, dass Geflüchtete vielerorts keine Willkommenskultur erleben. Da wurde beispielsweise die Polizei aus der 20 Kilometer entfernten Stadt gerufen, weil sich ein Flüchtlingskind im Nachbargarten eine Weintraube vom Strauch gepflückt hatte. Da wurde die Heimleitung angewiesen, Vorhänge anzubringen, damit sich die Nachbar/innen nicht vom heraus scheinenden Licht der Flüchtlingsunterkunft geblendet fühlten. Nein, Willkommenskultur sieht tatsächlich anders aus.
Als Nabil schließlich den Status eines politischen Flüchtlings mit einer Aufenthaltsgenehmigung von drei Jahren bekam, hielt ihn nichts mehr in der bayerischen Gemeinde. Er ging nach Berlin, um dort alte Freunde wieder zu treffen, beruflich Fuß zu fassen und sich nach Monaten der fehlenden Privatsphäre schließlich einen Rückzugsort zu suchen. Doch was er dort erlebte, erfahren viele Geflüchtete mit Anerkennungsstatus: Diskriminierung auf unterschiedlichen Ebenen.
Man spricht deutsch – Diskriminierung in staatlichen Behörden
Sei es in der Ausländerbehörde, im Einwohnermeldeamt oder im Jobcenter: Immer wieder treffen dort Menschen auf hohe Hürden und insbesondere Sprachbarrieren. In vielen Behörden Deutschlands werden zwar mittlerweile Wörterbücher auf Computern installiert, um spezielle, amtsdeutsche Vokabeln ins Englische zu übersetzen – es gibt aber immer noch eine Vielzahl von Ämtern, wie etwa jüngste Beispiele der Ausländerbehörden in Nürnberg und Berlin zeigen, in denen Ausländer/innen mit der Aufforderung »Nur Deutsch!« begrüßt werden. Für Geflüchtete, die während ihres laufenden Asylverfahrens keinen Anspruch auf einen Deutschkurs haben, ist dies besonders fatal. Ihnen ist es kaum möglich, allein ihren Alltag zu bestreiten. Für Behördenbesuche müssen sie im Glücksfall auf deutschsprachige Freund/innen und ehrenamtlich Engagierte zurückgreifen oder von ihren bereits knappen finanziellen Ressourcen ein/en Dolmetscher/in buchen, da sich die Sachbearbeiter/innen weigern, mit ihren Klient/innen englisch zu sprechen. »Einmal habe ich niemanden gefunden, der mich zum Jobcenter begleiten konnte. Da musste ich mit einem Dolmetscher gehen, der mich 100 Euro gekostet hat«, erzählt Nabil. Durch dieses fehlende Serviceangebot in Ämtern werden Geflüchtete um die Möglichkeit gebracht, ihre Angelegenheiten selbstbestimmt zu regeln.
»Jobcenter?! Nein, solche Mieter wollen wir nicht.«
Doch auch bei der Wohnungssuche werden geduldete und anerkannte Geflüchtete mehrfach diskriminiert. Hier stoßen sie nicht nur auf Ressentiments aufgrund ihrer Herkunft – viele Vermieter/innen begegnen ihnen mit Misstrauen, da ihr Aufenthalt in Deutschland nur begrenzt ist und die Mietzahlungen in vielen Fällen vom Jobcenter geleistet werden. Über 60 Wohnungen hat Nabil in Berlin besichtigt. Immer wieder hörte er denselben Satz: »Jobcenter?! Nein, solche Mieter wollen wir nicht.« Auf Nachfragen nach dem Grund für diese Vorbehalte berichtet ein Vermieter unverblümt: »Das wissen wir doch alle, dass sich diese Hartz IV-Empfänger ihre Miete vom Jobcenter auszahlen lassen, um sich davon Schnaps und Zigaretten zu kaufen und wir als Vermieter bleiben auf den Mietschulden sitzen.« Es sind Vorurteile wie diese, die eine Wohnungssuche enorm erschweren. Über ein halbes Jahr hat Nabil gesucht, bis er schließlich eine Wohnung gefunden hat, die nicht nur bezahlbar war, sondern bei der insbesondere die Mietzahlung durch das Jobcenter akzeptiert wurde. Und dennoch zeigt es, dass Engagement und Anteilnahme für Geflüchtete bei der Anerkennung nicht enden darf. »Viele Freunde und Freiwillige haben mich bei der Wohnungssuche unterstützt. Ohne deren Einsatz wäre ich heute wohl noch wohnungslos«, sagt Nabil.
Auf diese Probleme stoßen viele Flüchtlinge, die zwar den Anerkennungsstatus haben und damit eine eigene Wohnung beziehen können, aber einfach keine finden. Immer wieder müssen einige über mehrere Jahre in einem Flüchtlingsheim leben, das eigentlich nur als Übergangslösung gedacht ist. Wenn die Plätze in der Sammelunterkunft dann jedoch für neue Asylsuchende benötigt werden, werden anerkannte Geflüchtete oftmals in Obdachlosenheimen untergebracht. Nicht zuletzt vor diesem Hintergrund braucht es Sozialarbeiter/innenstellen bei freien Trägern, die vom Land finanziert werden, um eine gezielte Unterstützung bei der Wohnungssuche anzubieten. Denn nicht jeder anerkannte Flüchtling wie Nabil hat das Glück bereits über ein so großes Netzwerk von Freund/innen zu verfügen, die ihn tatkräftig unterstützen. Hierfür müssen auch Verhandlungen über Wohnungskontingente mit Wohnungsgesellschaften ausgeweitet werden, um anerkannten Asylsuchenden die Wohnungssuche zu erleichtern.
Engagement für Flüchtlinge auch nach der Anerkennung
Weil Vorurteile und Diskriminierung mit der Anerkennung nicht enden, darf auch das Engagement für Flüchtlinge und das Interesse an ihrer Lebenssituation nicht enden. Um ihnen ein selbstbestimmtes Leben zu ermöglichen, in dem sie ihren Alltag eigenständig bestreiten, braucht es die entsprechenden Strukturen auf staatlicher wie gesellschaftlicher Ebene. So müssen von staatlicher Seite sprachliche Hürden in Behörden abgebaut und Wohnungskontingente aufgestockt werden. Doch auch die Gesellschaft steht in der Pflicht, ein Zeichen des Willkommens zu setzen. Dabei geht es nicht um paternalistische Hilfe, also Bevormundung, denn Geflüchtete sind sehr gut darin, Netzwerke in Form von Hilfe zur Selbsthilfe aufzubauen. »Wir sind mittlerweile eine Gruppe von zehn Syrern. Wir helfen uns beim Einrichten der Wohnung gegenseitig. Dabei halten wir Ausschau nach günstigen Möbeln und treffen uns dann zum gemeinsamen Aufbau«, berichtet Nabil. Was Flüchtlinge jedoch brauchen, sind Menschen, die ihnen vorurteilsfrei begegnen, um ihnen die Möglichkeit zu eröffnen, in Deutschland ein neues Leben aufzubauen.
*Name von der Redaktion geändert
Hintergrundinformation: Die Situation syrischer Flüchtlinge
Seit Beginn des Bürgerkriegs im März 2011 sind zwei Millionen Menschen aus Syrien geflohen. Innerhalb Syriens ist die Anzahl der Menschen, die auf der Flucht sind, noch einmal doppelt so hoch. Täglich fliehen zwischen 5.000 und 10.000 Syrer/innen in die Nachbarländer Libanon, Jordanien, Türkei, Irak und Ägypten. Die Menschenrechtsorganisation PRO ASYL schätzt die Zahl der nach Deutschland geflohenen Syrer/innen auf circa 30.000, die hier »mit diversen Aufenthaltstiteln« leben. Die meisten von ihnen haben ihre Einreise selbst organisiert, zumal das Bundesinnenministerium erst im März 2013 entschied, einmalig ein Kontingent von 5.000 syrischen Flüchtlingen in Deutschland aufzunehmen. Ein begrüßenswerter Schritt, der jedoch im Vergleich der Zahlen zu den syrischen Nachbarländern ein Tropfen auf den heißen Stein ist. Für das Auswahlverfahren werden hohe Hürden aufgebaut – ein Mensch braucht viel Glück, um einen der 5.000 begehrten Plätze nach Deutschland zu erhalten. Zudem ist Bedingung, dass die Ausreise über den Libanon geschehen muss. Tatsächlich eingereist sind seit Mai erst etwa 1.300 Syrer/innen. Rund die Hälfte davon sind auf eigene Kosten nach Deutschland gekommen. Das heißt, dass bislang erst ein gutes Zehntel des Kontingents ausgeschöpft wurde. Bei der Innenministerkonferenz Anfang Dezember ist die Zahl der Kontingentflüchtlinge aus Syrien nun noch einmal um 5.000 Menschen erhöht worden.
Foto: Resident on Earth, (CC BY 2.0)
Der Artikel ist der Broschüre "Refugees welcome - Gemeinsam Willkommenskultur gestalten" entnommen und wird Ende Januar erscheinen. Diese Broschüre ist im Projekt »Region in Aktion. Kommunikation im ländlichen Raum« der Amadeu Antonio Stiftung entstanden. Region in Aktion wurde durch das Bundesministerium des Innern im Rahmen des Bundesprogramms Zusammenhalt durch Teilhabe und durch die Freudenberg Stiftung, Weinheim gefördert.