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"Wir waren wohl einfach zu wenige"

Seit ungefähr 10 Jahren gedenken Neonazis aus ganz Deutschland im Januar der Bombardierung Magdeburgs, zuletzt am vergangenen Samstag. Auch Jule und ihre Freund_innen reisten in die sachsen-anhaltinische Landeshauptstadt, allerdings um gegen den Nazi-Aufmarsch zu protestieren. Mut gegen rechte Gewalt erzählt die junge Antifaschistin von ihren Erlebnissen an diesem Tag.
 
Der so genannte „Trauermarsch“ ist mit einer Teilnehmerzahl, die sich seit 2005 stabil jenseits der Tausend bewegt, mittlerweile für die rechte Szene zu einem attraktiven Großevent geworden. Anders als in Dresden ist es nämlich in Magdeburg bisher nicht gelungen, den Aufmarsch zu verhindern oder wenigstens teilweise zu blockieren. Das war auch einer der Gründe, warum wir uns entschieden hatten am Samstag nach Magdeburg zu fahren.

Ich möchte an dieser Stelle betonen, dass es sich bei diesem Bericht um meine rein subjektiven Eindrücke handelt und ich nicht den Anspruch erhebe, die Geschehnisse vom Samstag vollständig wiedergeben zu können.

Als wir etwa halb Zehn in Magdeburg am Hauptbahnhof ankamen, sammelten sich bei gefühlten Minusgraden bereits einige Antifaschist_innen unter den Augen der Polizei auf dem Bahnhofsvorplatz. Dort sollte, so war es zumindest angekündigt worden, eine Stunde später die Antifa-Demo des Bündnisses „Entschlossen Handeln“ beginnen. Da wir allerdings befürchteten, im Anschluss an die Demonstration irgendwo von der Polizei eingekesselt zu werden, entschieden wir uns, lieber nach dem Blockade-Treffpunkt am Hundertwasserhaus zu suchen. Später sollte sich herausstellen, dass die Demonstration abgesagt wurde, weil die Gruppe, die zu ihr aufgerufen hatte, von der Polizei am Bahnhof in einem nahegelegenen Ort festgehalten wurde.
 
Verwirrung und viel Polizei

Am Hundertwasserhaus, irgendwo in der Magdeburger Innenstadt angekommen, konnten wir leider keinen Infopoint, dessen Existenz zuvor im Internet angekündigt worden war, entdecken. Auch andere Personen, die wir danach fragten, konnten uns nicht wirklich helfen. Ob es tatsächlich keinen Infopoint gab oder wir ihn nur übersehen und die falschen Leute gefragt haben, kann ich nicht beurteilen. Wir entschlossen uns dann dazu, die Kundgebung „Jüdisches Leben in Magdeburg bewahren“ zu suchen, die irgendwo in der Nähe des Treffpunkts der Neonazis, im nördlichen Teil der Stadt, stattfinden sollte. Dementsprechend groß war auch das Polizeiaufgebot, das uns den Weg versperrte und wie eigentlich nicht anders zu erwarten war, wurden wir nicht zu besagter Kundgebung gelassen.
 
Nachdem wir auf Umwegen und durch unzählige Seitenstraßen versucht hatten, irgendwie zum Platz vor der Synagoge zu kommen, mussten wir feststellen, dass wir plötzlich – und eher zufällig – am Rande der rechten Auftaktkundgebung standen. Dort sammelten sich zu diesem Zeitpunkt die, wie später bekannt wurde, 1200 Neonazis, von denen uns nur eine Handvoll eher gelangweilt wirkender Polizist_innen trennte, die halbherzig die Taschen einer älteren Frau kontrollierten. In dieser Situation erschien uns ein geordneter Rückzug am sinnvollsten und wir machten uns auf den Weg zu einem weiteren Blockade-Treffpunkt, der unweit der Neonazi-Kundgebung liegen sollte. Dort wurden wir von sage und schreibe vier weiteren Antifaschist_innen in Empfang genommen, die es wohl auch eher zufällig hierher verschlagen hatte. Nach einer kurzen Pause und einem halbwegs informativen Telefonat mit dem Infotelefon machten wir uns mit den anderen auf den Weg zur Universität, wo sich angeblich eine größere Gruppe von Menschen sammelte, die versuchen wollte, auf die Route der Neonazis zu gelangen, um diese zu blockieren.
 
Brennende Müllcontainer und Pfefferspray

Als wir endlich dort ankamen, lag bereits der Geruch von verbranntem Plastik in der Luft und die Feuerwehr war damit beschäftigt, auf dem Campus verteilte, brennende Müllcontainer zu löschen. Einige Personen versuchten, die Reihen der Polizei zu durchbrechen und vom Uni-Gelände in Richtung der Route zu laufen, was aber von der Polizei durch den Einsatz von Schlagstöcken und Pfefferspray verhindert wurde. Einige Minuten später kam es zu erneuten Zusammenstößen zwischen Antifaschist_innen und der Polizei, als sich in einem nahegelegenen Park eine größere Menge Gegendemonstrant_innen sammelte und versuchte, die angrenzende Straße in Richtung Neonazi-Route zu überqueren. Auch dieser Durchbruchsversuch wurde von dem massiven Polizeiaufgebot verhindert, was von den Gegendemonstrant_innen mit vereinzelten Flaschenwürfen und Feuerwerkskörpern beantwortet wurde. Daraufhin rannten mehrere Beweissicherungs- und Festnahmeeinheiten (BFE) der Polizei in die Menschenmenge, die sich in alle Richtungen verteilte. Später kam es dort zu einigen, teilweise  brutalen Festnahmen.
 
Die Neonazis marschieren fast ungestört

Nachdem sich die Gegendemonstrant_innen wieder in alle Himmelsrichtungen verteilt hatten, machten wir uns erneut auf den Weg zur Universität, wo wir diesmal sogar bis auf Sichtweite an den „Trauermarsch“ herankamen. Abgeschirmt durch „Hamburger Gitter“ und mehrere Reihen Polizei zogen nun – unter den Rufen und Pfiffen der Gegendemonstrant_innen - die ca. 1200 Neonazis vorbei. Kurz darauf flogen einzelne Feuerwerkskörper und pinke Rauchtöpfe in Richtung der Neonazis. Das nahm die Polizei zum Anlass, die Antifaschist_innen von den Gittern zurückzudrängen und willkürlich auf Menschen einzuschlagen. Mindestens eine Person wurde dabei am Kopf verletzt und musste vor Ort von Sanitätern behandelt werden.

Als die Neonazis vorbei gezogen waren, machten auch wir uns langsam wieder auf den Heimweg, mussten noch ein paar Stunden in der Stadt totschlagen, weil der Bahnhof gesperrt war und wurden dann endlich zu unserem Zug gelassen. Von der Repression gegen den Infoladen, der bis in die frühen Morgenstunden durchsucht wurde, der antifaschistischen Spontandemonstration oder den anderen, etwas erfolgreicheren Blockadeversuchen erfuhren wir erst am nächsten Tag in den Medien.
 
Widerstand gegen Naziaufmärsche, auch ohne Patentrezept
 
Mein Fazit ist, dass die Strukturen vor Ort noch ausbaufähig sind. Gut war, dass es mehrere Blockade-Treffpunkte gab, die aber in der Realität teilweise menschenleer waren und auch in Situationen, in denen es hätte gelingen können, die Route zu erreichen, waren wir wohl einfach zu wenige. Denn wenn die Polizei, die mit ungefähr 2000 Beamt_innen zugegen war, den Aufmarsch wirklich „durchprügeln“ will, bedeutet eben das Blockadekonzept auch häufig eine direkte Konfrontation mit den Einsatzkräften, die in ihrer Wahl der Mittel oft über die Stränge zu schlagen scheint.

Mit Sicherheit gibt es kein Patentrezept, um Neonazi-Aufmärsche erfolgreich zu verhindern aber es ist wichtig, dass der Widerstand gegen den Trauermarsch in Magdeburg nicht nachlässt. Während nämlich Dresden aufgrund der erfolgreichen Massenblockaden und der guten Zusammenarbeit von verschiedensten Gruppen von Jahr zu Jahr an Reiz für die rechtsradikale Szene verliert, könnte es passieren, dass Magdeburg zu einer Art Ersatzveranstaltung wird, wenn es in Zukunft nicht gelingen sollte, den „Trauermarsch“ erfolgreich zu blockieren.
 

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