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Ein Projekt des Magazins stern und der Amadeu Antonio Stiftung
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Angesichts der durch den Tod des schwarzen US-Amerikaners George Floyd ausgelösten Black Live Matter Demos schauen auch wir als Deutsche gespannt auf die USA. Bei den Protesten, die sich mittlerweile fast auf die ganze Welt ausgedehnt haben geht es um Polizeigewalt und Rassismus. Doch gerade in Deutschland muss man beim Thema Rassismus und rechter Gewalt gar nicht über den großen Teich schauen. Die Amadeu Antonio Stiftung zählt 208 Todesopfer rechter Gewalt seit der Wende. Einer von ihnen ist der mosambikanische Vertragsarbeiter Alberto Adrianos. Am 11. Juni, vor zwanzig Jahren, wurde er von Neonazis in Dessau-Roßlau zu Tode geprügelt.
Alberto Adriano kam 1988 als Vertragsarbeiter in die DDR
Alberto Adriano ist 1988 als einer der letzten Vertragsarbeiter aus Mosambik in die DDR gekommen. In Dessau arbeitete er als Fleischermeister. 1990 lernte er seine spätere Ehefrau Angelika kennen, das Ehepaar hat drei Kinder. Sein ältester Sohn Belarmino, der zum Zeitpunkt der Ermordung seines Vaters gerade einmal acht Jahre alt war, beschreibt ihn als „konsequent, immer nett, fürsorglich“.
Vier Jahre hatte er für ein Flugticket gespart, um seine Familie in Mosambik zu besuchen. Es war auf den 3. Juli 2000 ausgestellt. Er starb drei Wochen vor dem Flug.
Adriano begegnet seinen Mördern in Stadtpark von Dessau
Am Abend des 10. Juni 2000 – ein Pfingstsonnabend – ist Alberto Adriano bei Freunden. Sie schauen gemeinsam das Eröffnungsspiel der Fußball-Europameisterschaft zwischen Belgien und den Niederlanden. Gegen 1 Uhr nachts macht er sich auf den Rückweg zu seiner Familie. Er muss dafür einen knappen halben Kilometer von der Wohnung seiner Freunde quer durch den Stadtpark von Dessau laufen.
Dort begegnete er seinen späteren Mördern, die wenige Stunden zuvor am Dessauer Hauptbahnhof ihre Anschlusszüge in ihre jeweiligen Heimatstädte verpasst hatten: Christian R. (16) und Frank M. (16) aus der nahen Stadt Wolfen und Enrico H. (24) aus Finsterwalde (Brandenburg).
Ein Gewaltexzess sondergleichen
Das Trio betrinkt sich und grölt indizierte Lieder, zum Beispiel das so genannte „Afrika-Lied“ der Neonazi-Band „Landser“. Nach Mitternacht laufen die drei jungen Rechtsextremen durch die Dessauer Innenstadt und skandieren lauthals „Hier marschiert der Nationale Widerstand“, „Juden Raus“und „Heil Hitler“. Niemand stellt sich ihnen in den Weg, wie es „rechte Gewalt Sachsen-Anhalt“ schildert.
Der 24-jährige Enrico H. schlägt zuerst zu, als sie auf Alberto Adriano treffen. Nach diesem ersten Schlag beginnt ein nicht enden wollender Gewaltexzess gegen den bereits bewusstlosen Alberto Adriano. Die drei Neonazis treten und schlagen auf ihn ein, schleifen ihn in den Park, wo sie ihn weiter mit Tritten und Schlägen traktieren. Ihr Hass scheint grenzenlos: Sie entwürdigen ihr Opfer, indem sie Adriano ausziehen und seine Kleidungsstücke ins Gebüsch hängen. Erst als die Polizei eintrifft, lassen sie von ihrem Opfer ab. Alberto Adriano stirbt am 14. Juni 2000 an seinen schweren Verletzungen im Krankenhaus. Am Tatort erinnert eine Stele an die schreckliche Nacht des 11. Juni 2000.
Die Täter zeigen keine Reue
Am 30. September verurteilt das Oberlandesgericht Halle den 24-jährigen Enrico H. zu lebenslanger Haft. Der 16-jährige Christian R. und der gleichaltrige Frank M. erhalten eine Haftstrafe von jeweils neun Jahren. Der Richter stellte in seinem Urteil fest, dass die Täter genau wussten, was sie taten, „sinnlos, grundlos und erbarmungslos“. Reue hätten die Täter während der Gerichtsverhandlung „in ernsthaftem Maße nicht gezeigt“. Das hohe Strafmaß begründete der Richter damit, dass dieser rechtsextremen Gewalt, die Alberto Adriano das Leben kostete, ein Ende gesetzt werden müsse.
Nicht das erste und nicht das letzte Opfer rechter Gewalt
Adriano war nicht das erste Opfer rechter Gewalt. Und nicht das letzte. Doch die Tat rief erstmals bundesweites Entsetzen hervor. Die Bundesregierung unter Kanzler Gerhard Schröder (SPD) forderte einen „Aufstand der Anständigen“ und begründete neue Programme gegen Rechtsextremismus. Es entstand das Musikerkollektiv „Brothers Keepers“ von schwarzen und migrantischen Sängern wie Adé Bantu, Samy Deluxe, Afrob, D-Flame, Xavier Naidoo, Gentleman, Nosliw, Toni-L und Torch. 2001 erschien ihre Single „Adriano (Letzte Warnung)“.
„Warum Adriano?“ – Tag der Erinnerung 2020
Am 11. Juni 2020, 20 Jahre nach der Ermordung Alberto Adrianos – und nach der Ermordung von mindestens 14 weiteren Menschen durch rechte Gewalttäter in Sachsen-Anhalt seit der Wende – wird an Alberto Adriano und alle anderen Opfer rechter Gewalt gedacht. Unter der Adresse www.warumadriano.de sind Diskussionen zum Thema Gewalt und Rassismus geplant.