In diesem Jahr waren die Gegendemonstranten in Bad Nenndorf in der Überzahl: Als am Samstag rund 600 Neonazis in den niedersächsischen 10.000-Einwohner-Ort gekommen waren, um vorgeblich zu trauern und damit ihre Täter-Opfer-Verkehrung zu inszenieren, demonstrierten mehr als 1.100 Menschen dagegen. Gute Ideen hatten sie dabei auch.
Von Christoph M.
Das Gute vorweg: Es waren mehr Gegendemonstranten und Gegendemonstrantinnen als Neonazis auf der Straße. Das war nicht immer so. Im vergangenen Jahr marschierten im niedersächsischen Bad Nenndorf 400 Rechtsextreme auf und gerade einmal 250 Menschen zeigten, dass sie etwas dagegen hatten. Nun waren die Gegendemonstranten in der Überzahl: Als am Samstag die Neonazis nach Bad Nenndorf gekommen waren, um vorgeblich zu trauern und damit ihre Täter-Opfer-Verkehrung zu inszenieren, demonstrierten mehr als 1.100 Menschen dagegen.
Doch auch die Neonazis hatten personell zugelegt: Mehr als 600 von ihnen nahmen an dem Aufmarsch am vergangenen Samstag teil. Weitere 130 wurden von der Polizei gleich am Bahnhof wieder zurückgeschickt. Sie hatten sich geweigert die strengen Kontrollen der Polizei über sich ergehen zu lassen. Die Polizisten hatten sowohl die Neonazis als auch die meisten angereisten Gegendemonstranten einzeln durchsucht.
Zu den Auflagen der Polizei gehörte auch, dass die Neonazis sich nicht zu einem „schwarzen Block“ formieren durften und das Verbot einer Uniformierung. Für diese sorgte die Polizei dann letztlich allerdings selbst, als sie den Rechtsextremen hunderte weiße T-Shirts spendierte.
Ganz in Weiß
„Um die Auflagen umzusetzen und zu verhindern, dass es zu unangenehmen Situationen kommt, haben wir den Teilnehmern, von denen wir schwarze T-Shirts und Pullover vorübergehend beschlagnahmt haben, weiße T-Shirts zur Verfügung gestellt.“, erklärt ein Polizeisprecher. Rund um das Wincklerbad ergab das ein gespenstisches Bild. Hunderte Neonazis marschierten in Formation aus je vier Personen, fast alle in den schlichten weißen T-Shirts der Polizei, schweigend durch die Straßen. Aussagekräftig waren die Slogans auf den Transparenten der Nazis und die Parolen, die aus den Lautsprecherwagen gebrüllt wurden: „Ich hasse diese Demokratie“, „Nationaler Sozialismus, jetzt!“ und „Wir tun alles für ein nationalsozialistisches Deutschland!.“ Mit Parolen wie diesen, machten die Neonazis wieder ganz klar, dass es ihnen nicht darum ging zu „trauern“, sondern den Nationalsozialismus zu verherrlichen.
Protest auf Plakaten und mit Pyramide
Ganz ungestört konnten die Neonazis dies vergangenen Samstag aber nicht tun. Überall auf der Strecke der Nazis hingen Banner und Plakate von Vereinen und Parteien, auf denen zu lesen, war, was sie von den Rechtsextremen halten: „Nazis raus“ und „Wir sind gegen Rechtsextremismus und Rassismus“. Außerdem war es einigen Antifaschisten und Antifaschistinnen trotz der rigorosen Absperrungen der Polizei gelungen in Rufweite der Nazis zu gelangen. Schon früh am Morgen sorgte eine andere Aktion für Aufmerksamkeit. Gegen sechs Uhr war es einer Gruppe von Nazigegnern gelungen vor dem Wincklerbad eine Blockade zu errichten. Mehrere Aktivisten ketteten sich an eine selbst gebaute Pyramide aus Holz und Beton. Diese Aktionsform war bisher vor allem von den Anti-Castor Protesten im Wendland bekannt. Die Polizei wurde von der Aktion überrascht und brauchte Stunden, um den Platz zu räumen. Der Aufmarsch der Neonazis konnte so um Stunden verzögert werden.
Nazi-Demo als Schau-Ereignis
Diese Aktion löste bei den Anwohnern geteilte Meinungen aus. Viele hatten sich Stühle in den Vorgarten gestellt oder sich auf dem Balkon versammelt um den Aufmarsch der Rechtsextremen zu verfolgen. Eine ältere Dame bemerkte die Anti-Nazi-Aktivisten, die sich an die Pyramide ketteten, hätten wohl keinen Verstand oder gar ihre Menschenwürde verloren. Es gab aber auch zahlreiche Anwohner und Anwohnerinnen, die erkannten, dass es vor allem die Neonazis sind, die gegen die Menschenwürde hetzen. Etwa Sabine Erdmenger, die einen kleinen Bioladen betreibt und gar nicht damit einverstanden ist, dass die Neonazis jedes Jahr aufs Neue an ihrem Laden vorbei marschieren. „Ich verstehe nicht, warum sich hier so viele nur darüber aufregen, dass sie wegen der Demos einen Tag im Jahr kein Auto fahren können, statt sich über die Nazis und ihre Gesinnung zu beschweren“, erklärt Erdmenger. Im letzten Jahr hat sie Antifaschisten und Antifaschistinnen, die von der Polizei gejagt wurden, sich hinter ihren Ladenregalen verstecken lassen. Aber auch Polizistinnen lässt sie auf ihre Toilette. „Nur wenn Nazi kommen würden, würde ich ganz klar sagen: „Nazis raus!“. Sie sympathisiert eindeutig mit den Gegendemonstranten.
Gemeinsam mehr erreichen
Diese waren am Samstag laut und bunt durch den Kurort gezogen. Antifa-Gruppen, Gewerkschaften, Parteien, Bürgerinitiativen und Sportvereinen hatten zu der Demonstration aufgerufen und mehr als Tausend Menschen waren gekommen um die Nazi-Propaganda nicht unwidersprochen zu lassen. Sebastian Wertmüller der die Demonstration für den DGB angemeldet hatte, zeigte sich mit dem Ablauf der Proteste hoch erfreut. Endlich hätte sich ein größerer zivilgesellschaftlicher Protest formiert. Nun wünscht er sich, dass die Öffentlichkeit dem Problem Rechtsextremismus auch dauerhaft die nötige Aufmerksamkeit schenkt: Er rief bei der zentralen Kundgebung zu einem schnellen und entschiedenen Handeln auf, wann immer sich Rechtsextremisten versammelten. Wertmüller verlangte außerdem dauerhaft eine bessere Aufklärungsarbeit gegen Rassismus, Rechtsextremismus und Antisemitismus in Niedersachsen.
Dieser Text wurde mut-gegen-rechte-gewalt.de freundlicherweise zur Verfügung gestellt von Christoph M., christophm.blogsport.de
Das Foto wurde freundlicherweise zur Verfügung gestellt von: indi-rex.com
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