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Ein rechter Märtyrer?

Nach dem Tod eines vermeintlichen Sympathisanten der rechtsextremen Szene in Stolberg bei Aachen mobilisiert diese verstärkt ihre Anhänger. Die Verklärung des Falles durch Rechtsextreme wirft viele Schatten.

Von Susanne Beyer

Nachdem ein Jugendlicher aus Eschweiler in der Nacht zum 5. April 2008 bei einer Auseinandersetzung mutmaßlich von einem 18-jährigen Mann mit Migrationshintergrund erstochen wurde, kommt es verstärkt zu regionalen Demonstrationen und bundesweiten Protesten in der rechten Szene.

Als eine Gruppe von mindestens zwei Jugendlichen, darunter zumindest einem NPD-Anhänger, in dieser Nacht auf zirka fünf Personen stieß, von denen einige einen Migrationshintergrund hatten, kam es zu tätlichen Auseinandersetzungen zwischen den beiden Gruppen. Im Laufe des Streits wurde der 19-jährige Berufsschüler Kevin erstochen. Dieser soll am späten Abend ein NPD-Mitglied in einer Stolberger Gaststätte, in welcher der NPD-Kreisverband seine Jahreshauptversammlung abhielt, abgeholt haben und anschließend in der Rangelei auf der Straße um etwa 23 Uhr mit einem Messer angegriffen worden sein.

Der inzwischen verhaftete 18-jährige, in Stolberg geborene Jugendliche ohne formale Nationalität hat die Tat weitestgehend gestanden. Nach Informationen der taz scheint der Streit "einen banalen Hintergrund gehabt zu haben: Täter und Opfer waren in das gleiche Mädchen verliebt".

Unklarheit über Zuordnung des Opfers zur rechtsextremen Szene

NPD und Kameradschaften bemühen sich seit jener Nacht, den Fall für ihre Zwecke zu missbrauchen und Anhänger der rechten Szene in ganz Deutschland zur Teilnahme an „Trauermärschen“ zu mobilisieren. Darüber hinaus stellen sie die Ereignisse als Beweis für die verfehlte (Einwanderungs-)Politik der Bundesregierung dar. Und das, obwohl unklar ist, inwieweit der verstorbene Jugendliche überhaupt der rechten Szene nahe stand. Angeblich habe er lediglich einen Freund von der NPD-Tagung abholen wollen. Der NPD-Kreisverband bestätigte kurz nach der Tatnacht, dass der Jugendliche weder Mitglied im NPD-Kreisverband noch Sympathisant der Partei gewesen sei.

Auch Staatsanwaltschaft und Polizei schließen einen politischen Hintergrund als Tatmotiv aus. Das Opfer könne nach intensiven Ermittlungen nicht mit Sicherheit der rechten Szene zugeordnet werden. Vielmehr ging der Auseinandersetzung zwischen den beiden Gruppen wohlmöglich ein ganz anderer Grund voraus: Täter und Opfer seien in dasselbe Mädchen verliebt gewesen.

Rechtsextremen Szene verunglimpft Migranten bei ihren „Trauermärschen“

Ungeachtet dessen marschierten seither bereits drei Mal in wachsender Zahl Anhänger der rechten Szene im rheinländischen Stolberg zu „Trauermärschen“ für „ihren verstorbenen Kameraden“ auf. Zuletzt mobilisierten die NPD und der Hamburger Neonazi-Führer Christian Worch bundesweit für eine Demonstration am 26. April 2008.

Zudem verkündet man auf einschlägigen Internetseiten der Rechtsextremen stolz die Solidarität von Anhängern der rechten Szene in Holland. Inzwischen planen Rechtsextreme sogar Stolberg zum jährlich Wallfahrtsort zu machen. Sie stilisieren Kevin zum Märtyrer.

Auf ihren Demonstrationen hetzen sie vor Geschäften, die im Besitz von Stolberger Bewohnern mit Migrationshintergrund sind, gegen Bürger nichtdeutscher Herkunft und skandieren Sprüche wie „Deutschland uns Deutschen“, „Wir kriegen Euch alle“ und „Türken haben Namen und Adressen. Kein Vergeben, kein Vergessen!“.

Unterdessen wehren sich die Angehörigen des Verstorbenen gegen den Missbrauch des Falles durch die Rechtsextremen. Er habe sich nie der rechten Szene zugehörig gefühlt. Rechtsextreme propagieren da anderes. So zeigen sie auf ihren Internetseiten Ausschnitte seines StudiVZ-Profils, auf dem er sich als politisch Rechtsgesinnter zu erkennen gab. Außerdem kursieren Gerüchte, dass Kevin eine Tätowierung mit dem Neonazi-Symbol „88“, das in diesen Kreisen als Zeichen für den Hitlergruß gilt, getragen hat.

Schwester des Verstorbenen wird nun als Märtyrerin der rechtsextremen Szene verklärt

Dass seine Eltern sich in einem Plakat eindeutig gegen die Instrumentalisierung des Mordes durch die Rechtsextremen positionierten, führt zur Verklärung der Familie vonseiten der Szene. So heißt die pietätlose Reaktion bei Altermedia „Warum sollen wir auf solche Eltern Rücksicht nehmen?“.

Dennoch nutzen rechtextreme Anhänger eine Anzeige der Zwillingsschwester des Verstorbenen, um dieses als vermeintlichen „Terror“ gegen Kevins Familie auszulegen. Angeblich sei die junge Frau von „Ausländern krankenhausreif geschlagen worden“, so heißt es unter anderem auf dem rechtsextremen Internetportal Altermedia.

Unklar bleibt, ob nicht möglicherweise auch die Schwester Verbindungen zur rechtsextremen Szene hat. So wurde sie nach eigenen Aussagen bereits am 17. April zusammengeschlagen; zur Anzeige bei der Polizei kam es jedoch erst am 23. April gegen neun Uhr. Die lokale NPD nutzte diesen Fall für ihre Propaganda jedoch bereits einige Stunden zuvor auf ihrer Webseite. Warum sie besser und früher informiert war als die örtliche Polizei, bleibt also unklar.

Als Reaktion auf die zunehmenden rechtsextremen Aktivitäten in der Region hat sich ein Antifaschistisches Aktionsbündnis in Aachen gegründet, das versucht der Hetzerei entgegenzutreten und Gegendemonstrationen und –aktionen organisiert.

Bleibt zu hoffen, dass dieses Bündnis die Bewohnerinnen und Bewohner der Region in Zukunft stärker gegen die rechtsextremen Aktivitäten zu mobilisieren vermag, als es in der Vergangenheit von Stolberg gelungen ist. Denn die Region um Stolberg galt seit jeher als eine Hochburg der rechtsextremen Szene.

Ein ergänzender Kommentar unter: http://www.z-ac.de/content/view/277/29/


www.mut-gegen-rechte-gewalt.de

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