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Das Schweigen der Bürger

Ein Gastbeitrag aus der am 30. 11.2007 neu erschienenen Ausgabe von Q-rage - der Schülerzeitung des bundesweiten Schülernetzwerks "Schule ohne Rassismus":

Eine kleine Stadt im Süden Brandenburgs. Hier ist Wirklichkeit, was unter dem Begriff No-Go-Area diskutiert wird. NPD und rechtsextreme Kameradschaften sind eine Macht. Sie schüchtern ihre Gegner mit Drohungen und Gewalt ein. Die Gefährdung ist so groß, dass unser Autor aus Angst vor den Folgen diesen Artikel nur anonymisiert schreiben möchte. Der Autor und der Ort des Geschehens sind der Redaktion bekannt.


Nur selten widmet sich die lokale Tageszeitung dem Thema „Rechte Gewalt“. Undf ür einen Großteil derBürger ist es nur ein Streit unter Jugendlichen, wenn während eines gewalttätigen Übergriffs Worte wie „Neger“ oder „Jude“ verwendet werden. Presse und Polizei schweigen. Einen politischen Hintergrund der Auseinandersetzungen wollen sie nicht erkennen. Dabei ist die traurige Realität sichtbar und mit den Händen zu greifen.

Auf dem Schulhof des örtlichen Gymnasiums sind bei einigen Schülern Pullover, Hosen und Jacken der Marke „Thor Steinar“ zu einer trendigen Mode geworden. Sie wissen, dass die in KönigsWusterhausen ansässige Firma als echtsextrem und fremdenfeindlich eingestuftwird. Es ist ihnen recht, denn sie wollen ein Teil der „deutschen Jugend“ sein, wie es die NPD formuliert.

In ihrer Freizeit treffen sie sich in den örtlichen Jugendclubs, hören die neuesten Rechtsrockhits. Sie fahren gemeinsam zu Fußballspielen, demonstrieren dort ihreMilitanz und Gewaltbereitschaft. Wenn gerade keine „sportliche“ Begegnung ansteht, sitzen sie mit ihrem Bier in der Stadt und bepöbeln andere Jugendliche.

Am Tage bleibt es bei Bedrohungen.

Sobald es dunkel wird...

Sobald es dunkel wird, sind Teile der kleinen Stadt eine No-Go-Area mit vielen gefährlichen Ecken. Auch das Gymnasium ist den meisten Rechten ein Dorn im Auge. Das Schild am Eingang „Schule ohne Rassismus – Schule mit Courage“ provoziert sie. Regelmäßig fliegen Farbbomben gegen die Hauswand, werden Scheiben eingeworfen und NPD-Sticker in großer Zahl an Fenster und Wände geklebt. Die Strategie ist klar: Lehrer und Schüler sollen eingeschüchtert werden.

Die Öffentlichkeit verschließt die Augen.Wie soll es anders sein? Für viele Bürger sind es keine Kriminellen, die so etwas machen. Es sind ihreTöchter und Söhne, Enkelinnen und Enkel. Der Begriff „Neonazi“ passt nicht in das heile Bild der Familie. Unter dem Beifall vieler Jugendlicher, startet die NPD Monat für Monat neue rassistische Kampagnen. Sie ehren die Waffen-SS als „Elite-

formation“ des „Großdeutschen Reiches“ und hetzen gegen Andersdenkende.

Erst kürzlich griffen Neonazis in der Stadt einen Jugendlichen aus der alternativen Szene an. Sie beschimpften das Opfer als „Zigeuner“ und schlugen auf den am Boden liegenden Schüler ein. Es dauerte eine Stunde, bis die Polizei vor Ort erschien und eine Anzeige gegen „unbekannt“ aufnahm. Der Schüler hatte Glück im Unglück und konnte mit einigen Prellungen nach der ambulanten Versorgung das Krankenhaus verlassen. Es war nicht der erste Fall. Heute traut sichder Jugendlichenachts kaum noch aus dem

Haus. Wo man sich weder auf die Zivilcourage der Bürger noch auf die staatlichen Behörden verlassen kann, haben die Neonazis gewonnen.

Unser Autor wird den Süden Brandenburgs verlassen, sobald er das Abitur in der Tasche hat.


Aus: Q-rage,
die Zeitung des größten Schülernetzwerks in Deutschland. Die 3. Ausgabe der Zeitung ist soeben erschienen und wird bundesweit an Schulen verteilt. Hier zum Download: >klick.

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www.mut-gegen-rechte-gewalt.de
30.11.2007

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