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Rechtsextreme Frauen: Wie ein offenes Rasiermesser

Viel ist von Neonazis zu hören, wenig von ihren "Bräuten". Frauen gelten als harmlos. Eine Fehleinschätzung, wie der neue Film "Kriegerin" zeigt. Und wie die Forschung belegt.

Von Ulla Scharfenberg, mit freundlicher Genehmigung von stern.de

Sommer in der ostdeutschen Provinz, ein blutiger Sommer. Grölend zieht eine Horde Neonazis durch die Waggons eines Regionalzugs. Sie pöbeln, sie schreien, sie attackieren. Einem Passagier, der einen Döner in den Händen hält, schmieren sie das Fladenbrot ins Gesicht. Fünf Schritte weiter sitzt ein vietnamesisches Paar. Der Anführer der Faschos, ein Tier von einem Mann, zerrt sie von Sitzen. Schreie, panische Angst, niemand kommt den Opfern zu Hilfe. Und dann treten sie zu, auch die 20-jährige Marisa. "Nazibraut" steht auf ihrem T-Shirt, sie hebt den Arm zum Hitlergruß.
 
Eine Szene aus "Kriegerin", dem preisgekrönten Regiedebüt von David Wnendt (34), eine Co-Produktion mit dem ZDF, die ab dem 19. Januar in Kino zu sehen ist. Für ihr brillantes Spiel der Marisa gewann Alina Levshin, 27, bekannt aus Dominik Grafs "Im Angesicht des Verbrechens", den "Förderpreis Deutscher Film" als beste Hauptdarstellerin. "Kriegerin" zwingt den Zuschauer in eine Welt voller Hass, Gewalt, Einsamkeit, provinzieller Langeweile und Perspektivlosigkeit. Vor allem aber ist es der neue Blickwinkel, der so fesselnd ist: Zum ersten Mal porträtiert ein Spielfilm die Unbekannten der Szene - Frauen.

Was macht Frauen zu Neonazis?

Beim Dreh ahnte die Crew noch nicht, wie viel Aufmerksamkeit ihr Film nach der Fertigstellung erhalten würde. Ganz Deutschland beschäftigt sich derzeit mit Beate Zschäpe, Mitglied der "Zwickauer Zelle", eine Person, die uns daran erinnert, dass Neonazis nicht nur männlich sind. Was macht Frauen zu überzeugten "Nazi-Bräuten"? Michaela Köttig, die David Wnendt für "Kriegerin" beriet, forscht seit den frühen 90er Jahren über Frauen in der Neonazi-Szene. Sie nennt drei Dimensionen, die im Leben der rechtsextremen Frauen weitgehend übereinstimmen. Erstens: Die Familien der Mädchen sind schuldig geworden in der NS-Diktatur, sie haben "beispielsweise einen Groß- oder Urgroßvater, der an den Nazi-Verbrechen beteiligt war". Offen angesprochen würde das allerdings nicht, "die Mädchen bekommen das subtil mit". Zweitens: Die Biographien der Mädchen sind "von einer traumatisierenden oder unsicheren Elternbindung geprägt". Und drittens exisitiert ein soziales Umfeld, das den Kontakt zur rechtsextremen Szene ermöglicht: "Mädchen und junge Frauen greifen die Themen dort auf, mit denen sie biografisch und familiengeschichtlich verbunden sind", sagt Köttig. Erst wenn alle drei Dimensionen vorhanden sind, seien die Frauen auch längerfristig rechtsextrem.

Frauen sind seltener gewalttätig

Es fällt schwer, sich Frauen als brutale Nazi-Schlägerinnen vorzustellen. Konkrete Zahlen über die weibliche Beteiligung an rechtsextremen Gewalttaten existieren nicht, das liegt unter anderem daran, dass die Verfassungsschutzbehörden nicht differenzieren. Auch Michaela Köttig kann nur vage Schätzungen abgeben: "Zu Beginn meiner Forschungen wurde der Anteil von Frauen an Gewalttaten auf ein Prozent geschätzt, heute wird immerhin von zehn Prozent ausgegangen - eine enorme Steigerung. Leider gibt es hierzu kaum zuverlässige Zahlen, sicher ist aber, dass Rollenstereotype dazu beitragen, Frauen als Täterinnen weniger wahrzunehmen." Greift die Polizei weibliche Neonazis an Tatorten auf, würden sie häufig als Zeuginnen oder Schaulustige behandelt. "Ich habe rund 40 rechtsextreme Frauen über einen längeren Zeitraum interviewt und erfahren, dass viele von ihnen schon an Gewalttaten beteiligt waren, eine Strafverfolgung hat bei keiner von ihnen stattgefunden", erzählt Köttig.

Beate Z., das "Killer-Luder"

Dieser verzerrte Blick lässt sich auch im Falle von Beate Zschäpe beobachten. In den Medien galt sie als Mitläuferin, das Klischee will, dass Frauen keine politische Überzeugung haben, eine rechtsextreme schon gar nicht. "Dunkle Haare, dunkle Augen, dezentes Make-up: Beate Z. (36) aus Thüringen sieht nicht grade aus wie eine Verbrecherin", schreibt "Bild Online" und spekuliert über ihren Beziehungsstatus zu den beiden Mittätern: "Zschäpe führt über Jahre eine Dreierbeziehung mit Mundlos und Böhnhardt. 'Mal war sie mit dem einen zugange, mal mit dem anderen', sagte ein früherer Bekannter". Ein Foto zeigt Zschäpe im Bett mit Mundlos, die "Bild" urteilt: "Die junge Frau folgt den beiden Männern blind". Bild-Kolumnist Franz Josef Wagner schreibt an die "unheimliche" Beate Zschäpe: "Wer sind Sie? Mitläuferin? Hörige Komplizin, die das Bett mit den beiden Killer-Nazis teilte? Was für eine Rolle spielten Sie da? Killer-Luder oder Killer-Servicefrau, Geschirr spülen, das Versteck im Untergrund sauber halten?" Nicht nur die "Bild", auch die "Frankfurter Rundschau" glaubt, "sie soll sich politisch kaum engagiert haben". Michaela Köttig, die an der Fachhochschule in Frankfurt am Main lehrt, ärgert sich über solche Schlagzeilen: "Als die Ermittlungsbehörden davon sprachen, bislang keine Erkenntnisse über die Beteiligung Zschäpes an den Morden zu haben, titelten Zeitungen gleich, 'Zschäpe war an den Morden offenbar nicht direkt beteiligt'. Aus fehlenden Erkenntnissen in der laufenden Ermittlung wird sogleich der Schluss gezogen, eine Beteiligung habe es nicht gegeben. Ganz nach dem Motto, 'was nicht sein kann, ist auch nicht'."

Braune Missionarinnen

Für Köttig ist Zschäpe alles andere als harmlos: "Es ist ein hohes Maß an politischer Überzeugung und ideologischer Festigung Voraussetzung dafür, dreizehn Jahre lang im Untergrund zu leben" und es erfordere "ein ausgeprägtes Wissen, eine Wohnung in die Luft zu sprengen, um Beweise zu vernichten". Die Verharmlosung rechtsextremer Frauen beobachten Köttig und ihre Kolleginnen schon lange, "von der Neonazi-Szene und der NPD wird die öffentliche Wahrnehmung der harmlosen Frau bewusst benutzt und auch die Frauen setzen ihr 'friedfertiges' Image ganz gezielt ein".

Der Forschung zufolge sind Frauen zwar tatsächlich weniger gewaltbereit. Ungefährlicher sind sie deshalb nicht. Als neonazistische Missionarinnen infiltrieren sie die Gesellschaft, sie eröffnen Kindertagesstätten oder lassen sich in Elternbeiräte wählen. "Wer hätte vor fünfzehn Jahren gedacht, dass die Neonazis heute Kinderfeste organisieren? Die strategische Unterwanderung aller gesellschaftlichen Bereiche ist zu einer Hauptaufgabe der Rechtsextremen geworden und Frauen eigenen sich dafür besonders." Das ist es, was der Film "Kriegerin" nicht zeigt.
 

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