Das Portal
für Engagement
Ein Projekt des Magazins stern und der Amadeu Antonio Stiftung
Ein Hauptseminar am Institut für Geschichtswissenschaften der Humboldt-Universität in Berlin. Unvermittelt spricht ein Student die Vertreibung der deutschen Bevölkerung nach dem Zweiten Weltkrieg an. Seine Aussagen sind nicht eindeutig rechtsextrem. Würde nicht die ‚Junge Freiheit’ aus seiner Tasche ragen, wäre der Widerstand gegen seine revisionistischen Thesen wohl geringer ausgefallen. Auch so scheinen nicht wenige der Kursteilnehmer unschlüssig, wie sie reagieren sollen. Der Provokateur ist gut vorbereitet und versteht es, zu argumentieren. Die Gegenwehr einiger Studenten ist heftig aber auch emotional und dadurch weniger sachlich. Es ist nicht auszuschließen, dass am Ende einer oder mehrere der unbeteiligten Zuhörer im Raum nicht alles falsch fanden, was der rechte Kommilitone von sich gegeben hat.
Von Christopher Egenberger
Was ich schon im Sommer 2004 miterlebt habe, ist jederzeit auch an einer anderen Universität in Deutschland denkbar. Man sollte sich nicht in der trügerischen Sicherheit wiegen, dass Studenten gegen rechte Parolen immun sind. Gerade hat eine Studie der Friedrich-Ebert-Stiftung gezeigt, wie stark fremdenfeindliche Ansichten auch in höher gebildeten Bevölkerungsschichten präsent sind. Die Wahlergebnisse zu den Studentenparlamenten erwecken zwar den Eindruck, als ob eher linke Einstellungen in der Studentenschaft überwiegen würden. Doch spätestens wenn man sich die Wahlbeteiligung vor Augen führt, muss man erkennen, dass dies ein Trugschluss ist. Die Kräfteverhältnisse in den Allgemeinen Studierendenausschüssen (AStA) sagen wenig darüber aus, was die große Mehrheit der Studenten denkt. Denn für Hochschulpolitik interessieren sich im Endeffekt nur die Wenigsten.
Ein neuer Anlauf - der 'Nationale Bildungskreis'
Es ist zwar auch richtig, dass der NPD-nahe ‚Nationaldemokratische Hochschulbund’ (NHB) in der Hochschulpolitik keine Rolle spielt. Bereits seit den 70er Jahren beteiligt sich der NHB aufgrund anhaltender Erfolglosigkeit nicht mehr an Hochschulwahlen. Eine Zeit lang gab es nach Angaben der Verfassungsschutzes an deutschen Universitäten keine einzige Hochschulgruppe der NPD. Dies hat sich nun aber geändert.
An der Martin-Luther-Inuversität in Halle/Wittenberg hat sich unter den Namen 'Nationaler Bildungskreis' (NBK) wieder eine rechtsextreme Universitätsgruppe formiert. Sachsen-Anhalt, wo sich seit einiger Zeit auch die Bundeszentrale der NPD-Jugendorganisation (JN) befindet, scheint einen Schwerpunkt der neuen rechten Universitätspolitik zu bilden.
In Magdeburg nahm Anfang Juni eine zweite NBK-Gruppe ganz offen an den Studentenratswahlen teil. Hatten sie ein Jahr zuvor noch die harmlos klingende Listenbezeichnung "Studentische Interessen statt Politik" benutzt und damit 224 Stimmen erhalten, trauten sie sich nun aus der Deckung. Als NBK mit dem JN-typischen Pfeil-Symbol feierten sie eine scheinbare Verdoppelung ihres Vorjahresergebnisses (586). Da jeder Wähler aber bis zu 15 Stimmen vergeben konnte, relativiert sich diese Zahl schnell wieder. Dennoch überrascht die Stimmenzahl. Und dies obwohl die im Studentenrat vertretenen Gruppen im Vorfeld der Wahl mit Flyern, Plakaten usw., sowie einer Informationsveranstaltung über die NBK-Gruppe aufgeklärt und die Studenten aufgerufen hatten, demokratisch abzustimmen. Dass deren verbliebene Wähler eigentlich gar nicht wussten, wen sie da eigentlich wählen, kann aufgrund dieser Aufklärungsarbeit mehr als bezweifelt werden.
Mit der Entstehung und dem Auftreten dieser Gruppen, die sich klar zur NPD bekennen und von dieser unterstützt werden, ist eine neue Dimension rechtsextremistischen Engagements an deutschen Hochschulen erreicht. Der NBK fordert in seinem „Programm” unter anderem die Auflösung weiter Teile der bestehenden studentischen Selbstverwaltung und der politischen Bildungsarbeit. Wie auch konservative oder liberale Gruppen fordern sie, dass sich die Arbeit des AStA auf die Universität beschränken soll. Jegliche andere politische Betätigung soll unterbunden werden. Den Rechtsaußen sind dabei insbesondere die Gleichstellungspolitik, z.B. in Form des Schwulen- und Lesbenreferats, sowie antifaschistische Projekte ein Dorn im Auge. Neben der Hetze gegen ausländische Studierende steht somit die „Trockenlegung“ der studentischen Finanzen auf der Agenda des NBK.
Nazis an den Unis - ein ostdeutsches Problem?
Rechtsextremen Aktivitäten an Universitäten beschränken sich aber keineswegs auf Sachsen-Anhalt oder den Osten Deutschlands. Auch aus anderen Bundesländern kommen Nachrichten über rechte Umtriebe an den Hochschulen. In Trier konnte die 'Freiheitliche Soziale Liste' des NPD-Mitglieds Safet B. im Jahr 2003 sogar einen Sitz im AStA ergattern. Safet B. hatte sich zuvor bereits bei Streiks und Protesten hervorgetan, seine rechtsextreme Gesinnung aber verschwiegen. Nach dieser Zeit als „Maulwurf“ scheiterte er zunächst bei den Wahlen 2002. Sein Erfolg ein Jahr später sicherte ihm dafür bundesweite Aufmerksamkeit. In mehreren Anträgen forderte er den AStA auf, sich allein mit Hochschulpolitik zu beschäftigen, wollte diese Forderung sogar gerichtlich durchsetzen. Er scheiterte aber vor dem dem Oberverwaltungsgericht in Koblenz. Wie ernst es ihm mit der von ihm geforderten politischen Abstinenz des AStA war, zeigte er, als er Stellungsnahmen zu den Bombenangriffen auf Dresden und der Kapitulation der deutschen Wehrmacht durchzusetzen versuchten.
Auch aus dem Rheim-Main-Gebiet kommen vermehrt Nachrichten über Rechtsextreme an den dortigen Universitäten. Im Januar dieses Jahres griff ein Student der Johannes-Gutenberg-Universität in Mainz vor der Zentralbibliothek einen Kommilitonen an, weil dieser an einer antifaschistischen Demonstration teilgenommen hatte. Das Opfer erlitt Prellungen in Gesicht und am Körper und verlor einen Zahn. Der vermeintliche Täter, Mario M., galt zu diesem Zeitpunkt als der Vorsitzende des NPD-Kreisverbandes Mainz-Bingen. Daneben leite er eine lokale Kameradschaft und trat häufig als Redner bei neonazistischen Aufmärschen auf, recherchierte der ASTA. Seine ‚Bewegung deutsche Volksgemeinschaft’ arbeite nach Verfassungsschutzerkenntnissen eng mit der neonazistischen „Schwarzen Division Germania“ zusammen. Dort ist auch Sören B. Mitglied, ein Student der Fachhochschule Frankfurt, der sich seine rechtsextreme Gesinnung auch auf die Haut tätowieren ließ. Dessen Dozent hat es nach einem Gespräch im Januar abgelehnt, den Neonazi zu prüfen, obwohl dieser bereits bei ihm seine schriftliche Diplom-Arbeit bestanden hatte. Zwar müsse es Sören B. erlaubt sein, trotz seiner politischen Überzeugung einen Abschluss zu machen, er selbst könne dies aber nicht mehr, da er sich befangen fühle, nachdem er den Studenten einen Rassisten genannt hat.
Auch der AStA der Universität in Potsdam fühlte sich Anfang des Jahres genötigt, darauf hinzuweisen, dass zunehmend Studenten mit rechten Gedankengut und fremdenfeindlichen Äußerungen in den Seminaren auffallen. Dennoch scheint es unwahrscheinlich, dass NBK oder ähnliche Gruppierungen in nächster Zeit über AStA-Wahlen einen maßgeblichen Einfluss auf die Universitätspolitik ausüben könnten. Zum einen schließen sich in solchen Fällen die im AStA vertretenen Gruppen rasch zu einem Abwehrblock gegen rechtsextreme Bestrebungen zusammen. Und zum anderen wären die bundesweit 400 JN-Mitglieder wohl auch kaum in der Lage, unter den zwei Millionen Studenten in Deutschland dauerhaft, systematisch aufzufallen. Große Wahlerfolge erwartet aber auch nicht einmal der optimistischste Rechte.
Was versprechen sich die Rechten dennoch von ihren Bemühungen?
Der NBK ist vorrangig eine Schulungs- und Bildungsorganisation der NPD, eine Art Kaderschmiede. Auf diese Weise sollen auch Studenten und Akademiker zur NPD gelockt und die "Intellektualisierung" der Partei vorangetrieben werden. Irgendjemand muss schließlich die Denkarbeit für die Partei übernehmen, Programme entwickeln und die Strategien entwerfen, mit denen sie sich langfristig in der Gesellschaft etablieren will. Bislang brüstet sich die NPD zwar intern damit, eine ideologische "Dresdener Schule" (in Kontrast zur Frankfurter Schule der 68'ger) etabliert zu haben - mehr als ein Ein-Mann-Unternehmen des Dresdner NPD-Parlamentariers Jürgen Gansel ist dies im Grunde aber nicht.
Dennoch hegt die NPD offensichtlich ein längerfristiges Ziel: Sie will offenkundig erreichen, dass nicht bloß schlecht ausgebildete Wendeverlierer ohne Arbeitsplatz das Bild der Rechtsaußen-Partei prägen. Im Prinzip geht es darum, den in der deutschen Öffentlichkeit noch recht gut funktionierenden 'Ekelreflex' unterlaufen, den Bomberjacken, Glatzen und platt formulierte „Ausländer-raus“-Parolen hervorrufen. Auch daher stellt sich die NPD bei Wahlkämpfen gerne mit neutral klingenden Forderungen, z.B. gegen ‚Hartz 4’, als soziale Protestpartei dar. Anfang 2005 stellte die NPD-Fraktion im sächsischen Landtag auch einen Antrag für ein Verbot von Studiengebühren. Mit einer solchen Einschmeichelpolitik und Sozial-Propaganda tun sich nicht nur die demokratischen Parteien in den Parlamenten schwer. Auch die hier umworbene Studentenschaft muss derartige Bündnispartner klar und deutlich zurückweisen.
Noch haben sich die studentischen Körperschaften in solchen Fällen stets deutlich gegen den Rechtsextremismus positioniert. Dennoch darf eben nicht vergessen werden, dass die Masse der Studenten nicht im AStA aktiv, politisch eher uninteressiert und daher weniger gut informiert ist. Weiß man aber nicht, wer sich hinter den gut klingenden Forderungen oder vermeintlich richtigen Thesen verbirgt, dann ist die Wahrscheinlichkeit weitaus höher, sich von ihnen beeinflussen zu lassen.
Studenten müssen sich letztendlich stets bewußt sein, dass auch an ihrer Universität eventuell Neonazis studieren und sich in Kursen oder politischen Veranstaltungen zu Wort melden. Dazu sind sie rein äußerlich meist nicht als Nazis auszumachen. Ein gutes Beispiel hierfür ist Michael S., der Bundesvorsitzende der JN, der Politikwissenschaften in Halle studiert. Er kann zudem ruhig, eloquent und flott argumentieren. Im Gespräch vermag er geschmeidig jede radikale Forderung seiner Mutterpartei zu umschiffen. In Seminaren können solche Studenten der „Wortergreifungsstrategie“ der NPD folgend, zunächst populistische, aber nicht offen rechtsextreme Meinungen vertreten. Zu erkennen geben sie sich in der Regel erst später, wenn der eine oder andere innerlich den Soft-Varianten der Nazi-Thesen vielleicht schon zugestimmt hat.
Derartige Aktivitäten von Einzelpersonen oder ganzen Hochschulgruppen, die sich auf den ersten Blick harmlos geben, müssen erkannt und die Studentenschaft darüber aufgeklärt werden. Man sollte sich nicht darauf verlassen, dass alle Studenten in der Lage sind, die rechtsextremen Strategien zu durchschauen und richtig darauf zu reagieren. Dies gilt insbesondere für Fachhochschulen oder kleinere Universitäten mit technischen Schwerpunkten, an denen politisch aktive Studentengruppen selten sind. Auf jeden Fall wäre es fatal, sich in der falschen Sicherheit zu wiegen, dass deutsche Studenten in jeden Fall schlau genug sind, um gegen rechtes Gedankengut immun zu sein. Auch an Unis ist Nachhilfe wichtig.
Mehr MUT-Infos zum Thema:
Wie sich rechte Studenten ihr mageres Ergebnis in Magdeburg schönreden.
Zum Thema Burschenschaften.
Ein Uni-Seminar zum Thema Rechtsextremismus? So könnte es aussehen.
Mannheim: Gezielter Überfall auf israelischen Professor.
Ausschluss rechtens? Was tun, wenn Nazifunktionäre an der Uni lauschen?