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Nazi sucht Asyl

Er wird der „Rote Tarzan“ genannt, aber seine Ideologie ist braun. Vyacheslav Datsik ist Mitglied der in Russland verbotenen Nazi-Organisation „Slawische Union“, extrem gewaltbereit und aus der Psychiatrie entflohen. Nun sucht er Asyl in Norwegen und bringt damit die Regierung in Bedrängnis.

Die Norwegischen Behörden sind verunsichert. Seit mehreren Jahren ist es eher ruhig um die militante Neonazi-Szene des Landes. Leichtes Aufsehen erregte nur der Antritt der an nordischer Mythologie orientierten Nazi-Organisation „Vigrid“ zu den Parlamentswahlen im vergangenen Jahr. Die von den Norwegischen Behörden als gewaltbereit eingeschätzte Gruppierung hatte allerdings keinerlei Erfolg. Umso verwunderter waren die Behörden im September: Im Zusammenhang mit einer Razzia im kriminellen Milieu Oslos, bei der mehrere Waffen sichergestellt worden waren, stellte sich der in Russland gesuchte Nazi Vyacheslav Datsik von selbst den Behörden. Dabei übergab er ihnen gleichzeitig eine geladene Handfeuerwaffe. Datsik hatte zuvor in einem Video auf youtube.com angekündigt, dass er Asyl in Norwegen beantragen werde. Im Video präsentiert er eine Pistole und Axt, während er vor einer Flagge mit der norwegischen Aufschrift „Oslo SS – Meine Ehre heißt Treue“ sitzt.

Täter! Opfer? Beides?!

Zurzeit ist noch nicht klar, wie mit Datsik verfahren werden soll. Vorerst sitzt er in Untersuchungshaft wegen illegalen Waffenbesitzes. Gerätselt wird derweil, wie er ins Land gelangt ist und welche Verbindungen es zwischen den russischen Nazis der „Slawischen Union“ und Norwegen gibt. Die Organisation, deren Namen auf Russisch die Initialen SS hat, ist seit März dieses Jahres in Russland verboten. Trotzdem ist sie weiter aktiv und hatte erst im September auf ihrer Website verkündet, dass sie neuerdings ein Büro in Norwegen unterhält.

Kurz zuvor floh Datsik aus einer psychiatrischen Klinik in der Nähe St. Petersburgs. Der für seine Brutalität gefürchtete Mixed Martial Arts Kämpfer heißt der „Rote Tarzan“ im Ring. Mit seiner politischen Ausrichtung hat der Name nichts zu tun. Er ist langjähriges Mitglied der „Slawischen Union“ und steht in deren Hierarchie weit oben. Von sich selbst behauptet er in Videos stolz Rassist zu sein. Nach einer Serie von Raubüberfällen in St. Petersburg wurde er bei der Verurteilung für psychisch krank befunden. Die Russischen Behörden untersuchen derzeit intern, warum Datsik in eine Klinik mit sehr niedrigen Sicherheitsvorkehrungen überwiesen wurde. Bei einem Spaziergang mit einer Krankenpflegerin auf dem Hof der Klinik gelang ihm die Flucht.

Ein psychologisches Gutachten in Norwegen hat Datsik mittlerweile mentale Gesundheit bescheinigt. Dieser Umstand macht es den Behörden schwer ihn abzuschieben, obwohl sich der Norwegische Inlandsgeheimdienst und die Polizei dafür aussprechen. Datsiks Anwalt wirft inzwischen Russland vor, seinen Mandanten aus fingierten Gründen in die Psychiatrie eingeliefert zu haben. Dort soll er außerdem misshandelt und Opfer von Menschenrechtsverletzungen geworden sein.

Rechtspopulisten im Nacken

Das Verhalten der Norwegischen Politik in diesem Fall könnte interessant werden. Der Fall Datsik ist ein Dilemma. Dem Rot-Rot-Grünen Regierungsbündnis Norwegens sitzt die rechtspopulistische Fortschrittspartei im Nacken. Seit 1997 ist die Fortschrittspartei die zweitstärkste Partei im Norwegischen Parlament und baute seitdem ihren Stimmanteil von 15,7 Prozent auf 22,9 Prozent im Jahr 2009 aus. Antrieb gibt der Partei bei Wahlen ihr einwanderungsfeindliches Programm. Dort heißt es „Flüchtlingen kann in ihrem eigenen Land am Besten geholfen werden“. Gemäß ihrem Programm müsste die Partei also für die Abschiebung Datsiks sein. Sollte sich auch die Regierung zu diesem Schritt entschließen, könnte damit ein argumentatives Tor für die restriktive Einwanderungspolitik der Fortschrittspartei geöffnet werden. Andererseits würde die Duldung Datsiks einen Brückenkopf zwischen der Russischen und Norwegischen Nazi-Szene indirekt legalisieren und etablieren.

Offene Gesellschaft für Nazis?

Das würde an Norwegens Image kratzen. Mit Klagen gegen die Verwendung der Norwegischen Flagge durch die bei Nazis beliebte Bekleidungsmarke Thor Steinar hatte der Staat zuletzt ein klares Zeichen gegen deren menschenverachtenden Einstellungen gesetzt. „Wir wollen, dass unsere Staatsflagge, als Symbol des demokratischen Norwegens, nicht weiter in Verbindung mit dem rechtsextremen Milieu gebracht wird“, sagte 2008 der norwegische Gesandte Andreas Gaarder gegenüber dem Tagesspiegel. Die nazistische Einstellungen Norwegischer Intellektueller vor dem Zweiten Weltkrieg, die Geschichte des Landes unter deutscher Besatzung und die schon damals vorhandene und bis heute existierende Affinität deutscher Nazis zum Land sind schwierige Themen in Norwegen.

Die Reaktionen auf nazistische Umtriebe sind entsprechend empfindlich. Immerhin war zum Beispiel der norwegische Nobelpreisträger Knut Hamsun ein glühender Verehrer Hitlers und bleibt doch aufgrund seiner literarischen Leistungen ein Aushängeschild der Norwegischen Literatur. „Quisling“ ist bis heute ein norwegisches Schimpfwort für Verräter. Eigentlich ist es der Nachname des von den deutschen Besatzern eingesetzten Ministerpräsidenten. Dieser Begriff ist Symptom des lange gepflegten Selbstbildes als einer den Nazis Widerstand leistenden Bevölkerung, die von einzelnen Verraten wurde. Die Aufarbeitung dieser Zeit und der Kollaboration setzt erst seit wenigen Jahren ein und ist ein zusätzlicher Spagat der Gesellschaft beim Versuch einer Neudefinition ihres Selbstbildes in Zeiten der Globalisierung. Der gewaltbereite Datsik wird diesen Spagat nicht aus dem Gleichgewicht bringen. Eine Gefahr stellt er trotzdem dar.
 

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Foto: Bernt Rostad via Flickr, cc. Die Stadt Tönsberg in Norwegen, deren Namen regelmäßig als Bezeichnung für Zweigstellen von Thor Steinar Läden herhalten muss.